Urteil zur Schuldenbremse: Keine Katastrophe

Ja, es ist lästig und nervig. Jede Partei der Ampel muss ihrer Klientel gewisse Opfer zumuten. Dennoch: die Einsparungen sind zu stemmen.

Christian Lindner guckt gedankenverloren

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) Foto: Fabrizio Bensch/reuters

Schwamm drüber“ ist eine hilfreiche Devise. Schwarze Folie hilft auch. Damit hat das Bundesfinanzministerium gerade ein riesiges Plakat an seiner Fassade verdecken lassen. „Mit Geld und Verstand. Schulden bremsen, Chancen schaffen. Unser Bundeshaushalt“, war dort vorher zu lesen. Leider gähnt im Haushalt jetzt ein tiefes Loch, weil das Bundesverfassungsgericht mindestens 60 Milliarden Euro annulliert hat. Der Spruch passte nicht mehr.

Schwamm drüber, dachte auch Peer Steinbrück, der ehemalige SPD-Bundesfinanzminister. 2009 trug er maßgeblich dazu bei, die Schuldenbremse ins Grundgesetz zu schreiben. Nun sagte er, dieser Verfassungsgrundsatz sei nicht mehr „zeitgemäß“. Nur 14 Jahre, ein Verfassungsartikel ist ja nicht für die Ewigkeit.

Beides sind Reaktionen auf das Urteil des obersten Gerichts vom 15. November. Es lautet: In früheren Jahren beschlossene Staatsschulden können nicht einfach für aktuelle und künftige Ausgaben verwendet werden – die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP habe also gegen die Schuldenbremse verstoßen. Damit fehlen der Koalition in diesem Jahr wohl 40 Milliarden Euro, in den kommenden Jahren weitere 60 Milliarden Euro. Die Regierung muss nun ihren Bundeshaushalt 2023 noch mal aufschnüren und kann den Etat für 2024 vorläufig nicht beschließen.

Gar nicht so gigantisch

Eine elegante, große Lösung für dieses Problem, das eine mittlere Regierungskrise ausgelöst hat, existiert nicht

Eine elegante, große Lösung für dieses Problem, das eine mittlere Regierungskrise ausgelöst hat, existiert nicht. Ein Weg bestünde zwar darin, die Schuldenbremse grundsätzlich zu lockern. Dafür plädieren etwa ÖkonomInnen. Doch das erforderte eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Bundestag, der sich FDP und Union verweigern. Diese Parteien lehnen auch Steuererhöhungen ab.

Trotzdem herrscht jetzt keine Katastrophe. Die fehlenden Summen sehen zwar riesig aus, bei genauerer Betrachtung sind sie dann aber doch nicht so gigantisch. Für 2023 wird die Koalition die Schuldenbremse noch mal aussetzen und sich die fehlenden 40 Milliarden Euro leihen, wofür sie keine Zweidrittelmehrheit braucht.

Und von den 60 Milliarden für die nächsten Jahre, die das Verfassungsgericht blockiert hat, sind im Klimafonds des Bundeshaushalts 2024 bisher nur etwa 18 Milliarden Euro vorgesehen. Zum Vergleich: Der Bundesetat soll nächstes Jahr ein Volumen von 476 Milliarden Euro umfassen.

So kann man entsprechende Einsparungen oder Umschichtungen im Bundeshaushalt als normale Regierungsarbeit betrachten. Wenn sich die Regierungsparteien darauf einigen, läuft es auf ein Potpourri verschiedener Maßnahmen hinaus.

Da wären zunächst die sogenannten Haushaltsreste – das ist eigentlich verplantes Geld, das 2023 jedoch nicht ausgegeben wurde und deshalb für 2024 zur Verfügung steht. In jedem Bundeshaushalt bleiben am Jahresende einige Milliarden Euro übrig.

Zweitens könnte die Ampel die eine oder andere Steuervergünstigung abschmelzen, etwa die heute niedrigen Abgaben für Diesel­treibstoff und Dienstwagen anheben. Das brächte ein paar Milliarden Euro Mehreinnahmen. Drittens kämen kleinere Einsparungen im Sozialbudget in Frage, dem größten Einzeletat der Regierung. Und schließlich könnte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seine Ausgaben für Klimapolitik und Industrieansiedlung etwas strecken. Sicherlich ließe sich eine gewisse Summe von 2024 nach 2025 und 2026 verschieben, ohne dass die geplanten Projekte sterben.

So etwas ist lästig und nervig. Jede Partei der Ampel muss ihrer Klientel dann gewisse Opfer zumuten. Dennoch erscheint es realistisch. Es handelt sich um Haushaltspolitik unter verschärften Um­­ständen. Wobei das Loch im Klimafonds 2025 absehbar größer ausfällt als 2024. Da müsste sich die Ampel noch mal zusammenraufen. Danach hätte sie die schlimmsten Folgen des Urteils jedoch bewältigt. Die vom Bundesverfassungsgericht annullierte 60-Milliarden-Euro-Rücklage wäre dann sowieso mehr oder weniger aufgebracht gewesen, und für die Klimapolitik stehen nur noch die eigenen, aber steigenden Einnahmen des Klimafonds zur Verfügung.

Ja, das Urteil des obersten Gerichts ist schwierig. Wenn es auch keine Katastrophe auslöst, werden seine Folgen dennoch zu spüren sein. Weil der staatliche Investitionsanschub später kommt, mag es die Transformation der hiesigen Wirtschaft zur Klimaneutralität etwas verzögern. Stattfinden wird sie trotzdem. Für den eigentlich geplanten sozialen Ausgleich, das Klimageld für die Privathaushalte, sind aus heutiger Sicht dann allerdings keine Mittel vorhanden. So könnte die Klimapolitik die sozialen Spannungen erhöhen – das ist der Preis.

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Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.

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