Olaf Scholz im Umfragetief: Der Unverstandene

Nach zwei Jahren Kanzleramt steckt die Regierung in der Krise. Was die So­zi­al­de­mo­kra­t:innen erwarten und was das mit der Olsenbande zu tun hat.

Olaf Scholz spricht mit Bürgern und Bürgerinnen

„Es ist gut, dass wir sprechen.“ Olaf Scholz beim Kanzlergespräch mit Bür­ge­r:in­nen in Cottbus Foto: Matthias Rietschel/reuters

BERLIN taz | Olaf Scholz und Egon Olsen haben etwas gemein. Der Boss der Olsenbande stellt sich am Anfang jedes Teils der dänischen Gangster-Filmreihe hin und behauptet: „Ich habe einen Plan.“ „Mächtig gewaltig, Egon“, freuen sich Benny und Kjeld, die beiden anderen Ganoven. Der geniale Plan geht dann doch immer schief.

So ist es Scholz auch ergangen. Noch als Finanzminister hatte er den Plan ersonnen, 60 Milliarden Euro an Coronakrediten in den Klimafonds umzubuchen. Schulden, die im Kernhaushalt nicht auftauchen. Mit diesem im Koalitionsvertrag hinterlegten Trick wollte Scholz die gegensätzlichen Vorstellungen seiner zwei künftigen Koalitionspartner zusammenführen: Der eine – FDP-Chef und designierter Finanz­minister – konnte sich damit rühmen, nahezu keine neuen Schulden zu machen, der andere – künftiger Grüner Klima- und Wirtschaftsminister – hatte trotzdem eine üppige Kasse fürs Klima. Mächtig gewaltig, Olaf.

Der Plan funktionierte – bis ihn das Bundesverfassungsgericht Mitte November für nichtig erklärt hat. Nun landet Scholz zwar nicht wie Egon im Knast. Aber zwei Jahre nach seiner Wahl zum Bundeskanzler am 8. Dezember 2021 ist die von Scholz geführte Regierung in ihrer schwersten Krise seit Bestehen. Eine Krise, von der sie sich möglicherweise nicht mehr erholt. Und der Kanzler steht da wie ein Depp.

Ausgerechnet er, der alles vom Ende her denkt, der Vielleser, der stets den Eindruck vermittelt, er habe als Einziger durchdrungen, worum es wirklich geht, und wisse, was zu tun sei. Doch nur noch ein Fünftel der Wäh­le­r:in­nen hält ihn derzeit für kompetent. Zu Beginn seiner Amtszeit waren es über 60 Prozent. Das ist für Scholz besonders schwerwiegend.

Miese Umfragewerte

Denn er hat die SPD ja 2021 nicht wegen seines bezwingenden Charmes oder seiner charismatischen Reden zum Wahlsieg geführt, sondern weil er den Wäh­le­r:in­nen das Gefühl vermitteln konnte, er habe es einfach besser drauf als seine Mitkon­kur­ren­t:in­nen von Union und Grünen. Er habe einen Plan.´

Kann Scholz dieses verloren gegangene Vertrauen wiedergewinnen? Das ist die entscheidende Frage für ihn und für die Sozialdemokraten, die sich von Freitag bis Samstag zum Parteitag in Berlin treffen. Aktuellen Umfragen zufolge käme die SPD auf 15 Prozent und würde die Hälfte ihrer Sitze im Bundestag verlieren. In den Reihen der Partei macht sich Nervosität breit. Schafft Scholz die Trendwende, so wie 2021, als er in sechs Monaten vom abgeschlagenen Dritten zum Wahlsieger durchzog?

„Das Vertrauen ist da“, meint der Sprecher des Seeheimer Kreises Dirk Wiese und rettet sich dann doch lieber in griffige Fußballmetaphern, um die Misere zu beschreiben. Man stehe am Ende der ersten Halbzeit, für die zweite sei noch Luft nach oben, aber „abgepfiffen wird auch erst am Schluss“.

Die Seeheimer und Scholz eint ihr pragmatisches Politikverständnis als rechte Sozialdemokraten. Scholz denkt im Grunde so wie Wiese. Umfragen sind ihm egal, abgepfiffen wird am Ende. Und wenn sein Selbstvertrauen seit dem Schock-Urteil angeknackst sein sollte, dann zeigt er das jedenfalls nicht.

Lob von links

„Olaf Scholz ist als Kanzler besser als sein Ruf“, meint aber auch einer, von dem man so viel Lob nicht erwartet. Ralf Stegner gehört zum linken SPD-Flügel und ist Mitglied des Parteivorstands. Scholz habe das Land gut durch die Krise geführt und Deutschland nicht in einen Krieg gezogen.

Aus Parteikreisen höre man zwar, dass die Besserwisserei manchmal nerve. Scholz habe zu jedem Problem das passende Buch gelesen, die richtigen Experten konsultiert und schon vor fünf Jahren gewusst, wie die Lösung aussehe. „Aber so ist das eben bei sehr intelligenten Menschen, sie sind anstrengend.“

So isser eben. Dass der Hanseat Scholz gewisse kommunikative Schwächen hat, damit haben sie sich in der Parteiführung abgefunden. Er redet oft leise, macht manchmal lange Denkpausen, äußert sich zuweilen so technokratisch verschachtelt, dass man sich fragt, was er eigentlich gerade gesagt hat. An sich ein kleiner Makel, der nun jedoch zum großen Malus wird.

Wenn Erik von Malottki im Wahlkreis unterwegs ist, schlagen ihm Frust und Enttäuschung entgegen. Von Malottki hat 2021 in Vorpommern-Greifswald spektakulär das Direktmandat gegen einen AfD-Kandidaten und den CDU-Jungstar Philipp Amthor gewonnen. Nun muss er um den Wiedereinzug in den Bundestag fürchten. „Die Leute machen uns für die Inflation verantwortlich. Uns.“ Der russische Überfall auf die Ukraine, die Energiekrise? Sind keine mildernden Umstände.

Fehlende Anerkennung

Dabei hat die Ampelkoalition gehandelt. Sie hat Tochterfirmen der russischen Gazprom verstaatlicht, Flüssiggas für die ausbleibenden Gaslieferungen organisiert und nach einigem Hickhack die Preise für Strom und Gas gedeckelt und bezuschusst. Mithilfe ­eines weiteren Sondervermögens, des 200-Milliarden-Euro-„Doppelwumms“ – der nun verfassungsrechtlich allerdings auch bedenklich scheint. Die Idee für die Preisbremse kam von den Parteilinken, Scholz hat sie nach einigem Zögern aufgegriffen und bei den Partnern durchgeboxt.

Die Menschen konnten heizen, ohne Gefahr zu laufen zu verarmen. Aber dankbar sind sie dem Kanzler dafür nicht. Aus dem Kanzleramt heißt es, das sei das das Präventionsparadox: man werde nicht für Dinge belohnt, die nicht eingetreten sind.

Von Malottki sagt, die Menschen beklagten sich bei ihm, dass sie trotz Gaspreisbremse immer noch das Doppelte für Energie zahlen müssten, wie vor dem Ukrainekrieg. Die SPD-Linken hatten vorgeschlagen, ein Grundkontingent zum alten Marktpreis zur Verfügung zu stellen. Das hätten FDP und Grüne nicht gewollt. „Die Lebenshaltungskosten steigen, da müssen wir uns nicht wundern, dass niemand dankbar ist“, sagt von Malottki.

Aber auch das, was die Regierung mit SPD-Signatur frei Haus geliefert hat, scheint zu verpuffen: Bürgergeld eingeführt, Mindestlohn auf 12 Euro angehoben, Wohngeld erhöht und ausgeweitet – zahlt sich für die SPD nicht aus. Im Gegenteil: Im thüringischen Sonneberg, wo rund 40 Prozent der Erwerbstätigen von der Mindestlohnerhöhung profitieren sollen, wählten sie mit Robert Sesselmann einen AfD-Mann zum Landrat.

Kommunikative Defizite

Was läuft falsch? Hört man sich in der SPD um, geht es vor allem um eins: Kommunikation. „Die Koalition hat einiges geleistet, aber politische Logik funktioniert nun mal nicht mit dem Hochzeigen von abgehakten To-do-Listen“, sagt Generalsekretär Kevin Kühnert. „Das Handeln ist das eine, aber man muss auch die Menschen mitnehmen und erklären, was man macht“, meint die Sprecherin der Parteilinken Wiebke Esdar. „Scholz muss den Modus der Kommunikation ändern. Die Zeiten eines Kanzlers, der nur moderiert und über den Dingen schwebt, sind vorbei“, findet der neue Juso-Chef Philipp Türmer.

Scholz’ Kommunikationsmodus sei der des guten Hirten, meint der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroe­der. „Da ist er durch die Schule von Angela Merkel gegangen.“ Er vermittele zwar technokratische Gewissheit, doch speise die sich weniger aus sichtbarer Führung, sondern aus einer Moderatorenrolle hinter der öffentlichen Kulisse. „Und zudem ermöglicht sie kaum positive Emotionalisierung, die auch die Herzen erreicht.“

Der Kanzler der Herzen war Scholz noch nie. In seinen Augen sind die Medien mitverantwortlich für das schlechte Image seiner Regierung. Die würden einfach nicht über die Dinge berichten, die die Menschen wirklich bewegten, ritten darauf rum, ob Taurus-Marschflugkörper geliefert werden, statt die Erwerbsmindungsrente zu loben – die, na klar, die SPD eingeführt hat.

Doch ist das wirklich so einfach? Die Gruppe jener, die noch gedruckte Texte lesen und die Öffentlich-Rechtlichen einschalten, wird kleiner und älter, wie die „ARD/ZDF-Onlinestudie 2023“ zeigt. „Menschen klinken sich mittlerweile auch aktiv aus Kommunikationskanälen aus, weil sie sich von Nachrichten überfordert fühlen“, sagt der Politikberater Frank Stauss, der für die SPD mehrere Wahlkämpfe geführt hat. Die Bereitschaft zum Zuhören schwinde. „Da hat es mittlerweile jede Politikerin und jeder Politiker schwer, durchzudringen.“

Der menschelnde Kanzler

Dabei ist es ja nicht so, dass Scholz es nicht versucht. Verglichen mit Angela Merkel ist er eine Quasselstrippe. Er redet im Bundestag, in der Fraktion, nimmt sich auf Reisen Zeit für lange Hintergrundgespräche, er gibt Interviews, geht in Talkshows, nimmt Podcasts auf und trifft sich mit Bür­ge­r:in­nen zum Kanzlerdialog. Vor allem dabei blitzt der Mensch Olaf Scholz auf, der versucht Herablassung zu ver­meiden und Empathie zu zeigen.

„Es ist gut, dass wir sprechen“, sagte er im März in Cottbus einer älteren Dame, die gefragt hatte, warum Deutschland sich nicht stärker für Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland einsetze. Er kenne viele ältere Menschen, die sich noch an den letzten Krieg erinnerten und „denen wie Kopfkino einfällt, was sie damals erlebt haben“. Aber einfach nur zu verhandeln reiche nicht aus, mit der Waffe an der Schläfe könne man nur die Kapitulation unterschreiben. Einige im Saal applaudieren. Er kann es also.

Aber hängen bleibt das bei den meisten Menschen offenbar nicht, sonst wären Scholz und seine Regierung nicht so unbeliebt. Über 80 Prozent der Menschen finden, sie mache ihre Arbeit schlecht. Mit dem Haushaltsstreit ist das Misstrauen noch einmal gewachsen.

Scholz ist zuversichtlich, dass seine Regierung auch dieses Problem lösen wird. Aber wie, das hat er nicht verraten in seiner Regierungserklärung Ende November. Da war er mal wieder im Egon-Olsen-Modus. „Ich habe einen Plan.“ Im Film versichert Benny dann: „Wir machen das schon, Egon. Ruh dich aus, du musst nur die Ideen liefern.“ Wenn es doch nur so einfach wäre!

Zu viel Geschrei

„Alles was die Ampel tut, passiert unter großem vorherigem Geschrei“, meint Politikberater Stauss. Bis eine Maßnahme endlich verabschiedet werde, sei die Koalition schon so beschädigt, dass sie diese nicht mehr als Erfolg verkaufen könne – ein Beispiel sei das Heizungsgesetz. Die Regierung müsse jetzt stringente und gute Politik machen und jeden ihrer Schritte gut erklären, so Stauss. „Je unsicherer die Lage, desto besser muss Politik erklärt werden.“

Klingt einleuchtend. Die Netzwerker, eine etwa 50 Mitglieder zählende Strömung in der SPD-Fraktion, die sich selbst als „die Progressiven“ bezeichnen, sind zum gleichen Schluss gekommen. Kurz vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts veröffentlichten sie ein Strategiepapier zur besseren Kommunikation in der Ampel und forderten diese auf, „ein starkes, einheitliches Narrativ zu fördern, das von konstruktiver Zusammenarbeit, Vertrauen sowie durch eine geschlossene Kommunikation nach außen geprägt ist“.

Anzeichen dafür, dass die Ampel den Rat beherzigt, gibt es nicht. Während Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner seit Tagen im Haushaltsstreit über einer Lösung brüten, ventiliert die FDP Vorschläge, wo beim Sozialstaat gespart werden könnte, SPD und Grüne halten dagegen. Da ist Scholz als Vermittler gefragt. Eine Rolle, die Zurückhaltung erfordert.

Mehr Sozialdemokratie wagen

Seine Partei möchte aber mehr vom Genossen Scholz sehen. Am Samstag wird Scholz auf dem SPD-Parteitag ­reden. Generalsekretär Kühnert freut sich schon: „Das ist ein ganz wichtiger Moment, wenn der Kanzler vor der roten SPD-Wand über sozialdemokratische Politik spricht.“ Die Parteilinke Esdar fordert: „Ich erwarte SPD pur von Scholz“. Juso-Chef Türmer sagt: „Scholz muss eine sozialdemokratische Zukunftsvision vermitteln, die Zuversicht ausstrahlt.“ Und von Malottki meint: „Die Menschen wünschen sich bodenständige sozialdemokratische Politik.“

Doch Scholz ist längst nicht von allen Antworten, die seine Partei geben will, überzeugt. Die Einhaltung der strikten Schuldenbremse hat er 2022 in seiner Sommer-Pressekonferenz noch „sehr unterstützt“, steuerliche Entlastungen auch für Besserverdienende fand er richtig, das Wort Vermögensteuer nimmt er noch nicht mal in den Mund.

Die Antwort der SPD auf die multiplen Krisen müsse ein klug steuernder Staat sein, mehr garantierte Sicherheit bei gleichzeitiger Aktivierung, meint Politologe Schroeder. „Aber da wird die FDP kaum mitmachen.“ Für ihn hat „die Ampel zwar eine situative Gegenwart, aber keine programmatische Zukunft“.

Bei der nächsten Wahl würden die Karten neu gemischt. Ob die SPD in der Geberrunde ist, wird sich zeigen. „Wir wollen die nächsten Wahlen gewinnen“, meint Wiese, der Seeheimer. Aber trauen Scholz das wirklich alle nochmals zu? Doch, meint ein Mitglied des Parteivorstands, nach kurzem Zögern. Olaf habe sicher einen Plan.

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