Die Wahrheit: Das neue Jahr wird verboten gut

„Spatzi“, Schwarzfahren und Streiks: 2024 schleicht sich leise an als Jahr des woken Wahnsinns und nimmt dann voll Fahrt auf.

Bei einem Verdi-Streik blasen Protestierende in Hörner

Weg mit Weselsky! Motto 2024: Streiken fürs Streikverbot Foto: Christian Mang

Ojemine! Auf 2024 zurückschauen wird man aller Voraussicht nach als das Jahr, in dem die Wokeness explodierte und von allen gesellschaftlichen Sphären Besitz ergriff. In der Folge tanzt der nackte Irrsinn auf den Straßen, und die Frage, ob denn jetzt alle verrückt geworden seien, kann abschließend mit einem kristallklaren Ja beantwortet werden.

Im Januar werden deshalb – im Rahmen eines juristischen Feldzugs gegen das zwanghafte Gendern – von den unionsgeführten Bundesländern vorsorglich schon mal sämtliche weiblichen Spitz- und Kosenamen in Familie und Beruf verboten. Es geht gegen jene, an denen der Ruch der sprachlichen Sichtbarmachung von Frauen klebt: von „Spatzi“ über „Frollein“ bis „Herrin Medusa“. Damit soll der ständigen Bevorzugung von Personen weiblichen Geschlechts in der charmanten Alltagskommunikation ein Riegel vorgeschoben werden.

Dass auch das damit verschwisterte Flirten unter die Räder kommt, wird von den hölzernen und ungeschickten Konservativen gerne hingenommen. Den Damen gefällt das allerdings überraschenderweise ausgezeichnet, da haufenweise peinliche Anlässe für Nerverei und Belästigung entfallen, und die Herren trauen sich nicht mehr, wahllos verschwiemelte Komplimente zu verteilen sowie Union zu wählen – 1:0 für die Wokeness!

Davon ermutigt, verbietet der Verband christdemokratischer Kommunalkörperschaften im Frühjahr den regionalen Verkehrsbetrieben im ganzen Land, durch ihre Tarifstrukturen eine unfaire Altersdiskriminierung durchzusetzen. In der Folge werden alle Privilegien junger Menschen im öffentlichen Nahverkehr abgeschafft, also alle vergünstigten Fahrscheine für Kinder und Jugendliche verboten. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und die AfD-Bundestagsfraktion feiern den Beschluss als Sieg der Leistungsgerechtigkeit und Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen Normalität.

Ende 2024 gleicht die BRD in Form und Inhalt einer latein­amerikanischen Militärdiktatur traditionellen Zuschnitts

Die Betroffenen aber fahren anschließend verbotenerweise schwarz, wandern nach Schnellurteilen zuhauf in die Kinder- und Jugendgefängnisse, dort kommt es zu Aufständen – vor allem jeweils in Zellenblock Nr. 9. Eine rebellische Jugendmusik entsteht aus dieser Bewegung hinter Gittern („Jailhouse Rock“), die Regierung wankt und wackelt bedenklich, und wie es weitergeht, soll hier noch nicht verraten werden – schauen Sie ab April doch gegen alle Gewohnheit hin und wieder in die Abendnachrichten!

Im Frühsommer geht es dann Schlag auf Schlag: Der Deutsche Städtetag untersagt Krankenhäusern, Gesunde zu diskriminieren, sodass für sie eigene Gesundenzimmer und Fitnessräume eingerichtet werden müssen; der Immobilienbesitzer-Lobbyverein Haus & Grund verbietet für Vermieter jede andere Anrede als „Hoheit“ oder „Ihro Gnaden“; und weil die Masche so gut zieht, irgendetwas strikt zu verbieten mit der Rechtfertigung, anderenfalls würden die Mächte des Woken demnächst gewiss das genaue Gegenteil unter Strafe stellen, gelingt es dem Unions-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz in Verbund mit FDP-Abtrünnigen aus der Ampelkoalition, die Besteuerung von Einkünften über 100.000 Euro im Jahr zu verbieten.

Ziel des Gesetzespakets ist, Hassverbrechen gegen wohlhabende Personen schon im Ansatz, also in Gedanken, zu ersticken und wenigleistenden Personen mit niedrigerem Einkommen einen Denkzettel zu verpassen. Das Bundesverfassungsgericht begrüßt diese erzieherische Zielsetzung ausdrücklich. Es kündigt für Mitte 2025 eine kritische Überprüfung des Sozialstaatsgebots an.

Am Jahresende gleicht die Bundesrepublik jedenfalls in Form und Inhalt einer lateinamerikanischen Militärdiktatur traditionellen Zuschnitts. Sie gilt jedoch international als abschreckendes Beispiel für die strangulierende Macht von Woke­ness und Gutmenschentum. Damit vereint sie das Beste aus beiden Welten: Unterdrückung und Repression! Wundersamerweise waren es just die lautesten, vorgeblich antiwoken Kräfte in Konservatismus und Reaktion, die diese Tendenz flächendeckend durchsetzen, ganz im Sinne von Goethes Mephistopheles und seinem ewig gültigen Prinzip der Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

Erschütternde Streikwellen in 2024

Genau andersherum verfährt hingegen eine gesellschaftliche Kraft, der wir 2024 viele graue Haare und abgekaute Fingernägel verdanken. Von Jahresbeginn an erschüttern nämlich verschiedene Streikwellen das Land. Aus Empörung über die freche Lokführer-Gewerkschaft GdL und ihren unverschämten Führer Claus Weselsky, die es wagen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten für ihre Rechte und Interessen einzutreten, streiken von Woche zu Woche immer weitere Berufsgruppen für ein endgültiges Verbot von Streiks.

„Es passt einfach nicht zu uns Deutschen, die Arbeit streikweise niederzulegen.“ Das sagt zum Beispiel im März eine als Arbeiterin verkleidete Pressesprecherin der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) in den „Tagesthemen“: „Wir sind doch eher Ameisen, Duckmäuser und Schleimer, die ihren Chefs gefallen wollen!“ Laut einer Umfrage am folgenden Tag stimmen 87 Prozent der Deutschen dieser Aussage uneingeschränkt zu.

„Streiken ist Mist“ und „Streiken schadet allen“ werden die Slogans der Massendemonstrationen des Sommers. Im Herbst versteht auch die SPD endlich, dass es keinen Sinn ergibt, gegen die Bevölkerungsmehrheit zu regieren, und kündigt für das kommende Jahr an, den Faschismus einzuführen, damit es kein anderer oder keine andere tut.

Die Aussichten fürs just begonnene Jahr erscheinen also insgesamt alles andere als rosig, nämlich absolut hammerhart krass ätzend, auch angesichts der weltumspannenden Kämpfe, Kriege und Konflikte, die im Laufe von 2024 in ganz neue Dimensionen vorstoßen. Dafür entschädigt uns das Jahr allerdings mit zahllosen Genussmomenten, auf die sich besonders all jene freuen dürfen, die sich das genussvolle Genießen mit allen Sinnen nicht verbieten lassen – ganz gleich, was heute dieser Politiker und morgen jener sagt!

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kari

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