Schleswig-Holsteins Regionalplanung: So könnte die Zukunft aussehen

Wie soll sich Schleswig-Holstein entwickeln? Darüber stimmen sich Kommunen und Landkreise mit dem Innenministerium ab. Einige befürchten Stillstand.

Mehrere Reihen von Solaranlagen auf einer Wiese

Wo sind wertvolle Böden für die Landwirtschaft, wo könnte eine Wiese mit Photovoltaik-Anlagen bestückt werden? Foto: Daniel Reinhardt/dpa

RENDSBURG taz | Neue Gewerbegebiete, neues Bauland, neue Straßen: Mit der Regionalplanung, die zurzeit zwischen Kommunen, Kreisen und der Planungsabteilung des Innenministeriums abgestimmt wird, gibt Schleswig-Holstein die Richtung seiner zukünftigen Entwicklung vor. Doch die sieht eher von gestern aus, findet unter anderem der Naturschutzbund BUND, der eine Stellungnahme abgegeben hat.

Die Pläne decken einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten ab, reichen also bis in die 2050er-Jahre, wenn Schleswig-Holstein klimaneutral sein will und auch sein muss, um die Vorgaben der internationalen Abkommen zu erfüllen. Doch wie das gelingen soll, zeigen sie nicht.

Preisfrage: Wenn bis zum Jahr 2040 die Bevölkerung in der mittleren Region Schleswig-Holsteins um 18.000 sinkt, wie viele Wohnungen werden dann gebraucht? Antwort laut der Regionalplanung des Landes: gut 24.000 mehr als heute. Auf die Anfrage der taz, warum weniger Menschen mehr Wohnraum brauchen, antwortet das von Sabine Sütterlin-Waack (CDU) geführte Innenministerium mit einer ausführlichen Erklärung.

In Kurzform: Ja, die Bevölkerung schrumpft langfristig, aber zunächst wächst sie noch. Und auch wenn die Zahlen sinken, werden die Menschen im Durchschnitt älter. In einer alternden Gesellschaft gebe es viele Alleinlebende, die mehr Wohnungen brauchen. Und ja, es werde dadurch mehr Boden verbraucht werden – trotz des erklärten Ziels, Flächenfraß zu verhindern.

Nachverdichtung statt Flächenfraß

Um dieses Ziel dennoch zu erreichen, verweist das Ministerium auf allgemeine Vorgaben: Die Gemeinden sollen innerörtliche Brachflächen nutzen, statt Felder und Wiesen zu bebauen, und sie sollen „flächensparende Siedlungsformen realisieren“. Aber, das stellt das Ministerium auch klar: Die Entscheidung, was im Ort gebaut wird, liegt beim jeweiligen Gemeinde- und Stadtrat. Vorgaben, wie die Verantwortlichen Flächen sparen könnten, zum Beispiel durch Mehr- statt Einfamilienhäuser, gebe es daher nicht.

Das Land Schleswig-Holstein sieht es als „wichtiges Thema“, dass Häuser in neuen Wohngebieten nach wenigen Jahren statt von Familien von Paaren und schließlich von Alleinstehenden bewohnt werden. Um das Problem zu lösen, schlägt das Ministerium vor, „adäquaten Wohnraum in der direkten Umgebung“ zu schaffen – wie genau das aussehen kann, bleibt unklar. Anstöße für Gemeinden, wie sie mehr Wohngemeinschaften oder Mehrgenerationenprojekte schaffen könnten, fehlen in den Planungen.

„Wir machen laufend Rollen rückwärts“, sagt Merlin Michaelis, beim BUND Schleswig-Holstein, zuständig für ländliche Räume und Flächenverbrauch. „Der Klimawandel findet jetzt statt, diese Pläne müssten das einbeziehen und Vorgaben machen – aber es bleibt bei einer Bestandsaufnahme.“

Die Umweltorganisation beklagt in ihrer Stellungnahme auch methodische Probleme. So sei nicht ganz klar, was auf einer Fläche passieren dürfe: „Gebiete, die dem Naturschutz zur Verfügung stehen sollten, werden mit Rohstoffabbau oder Tourismus zusammengeworfen“, sagt Michaelis.

Solarenergie statt Landwirtschaft

Weiterhin fehle eine Einteilung der Flächen nach der Beschaffenheit: Wo sind wertvolle Böden für die Landwirtschaft, wo könnte eine Wiese mit Photovoltaik-Anlagen bestückt werden? „Durch eine geeignete Planung ließe sich ein Konflikt zwischen Nahrungsmittelproduktion, Energie-Erzeugung und Naturschutz vermeiden“, sagt Michaelis. Dieser Konflikt ist bereits heute deutlich zu erkennen, etwa bei der Windkraft-Planung: Schleswig-Holstein will mehr Rotoren aufstellen, dabei aber Abstände zu Häusern lassen. So bleiben am Ende nur Felder oder Gebiete, die eigentlich dem Naturschutz vorbehalten sind.

Aber „eine intakte Natur liegt ebenso im überragenden öffentlichen Interesse wie der Ausbau der Windenergie“, betont Gerd Simon, beim BUND Schleswig-Holstein zuständig für Natur- und Umweltpolitik. „Schutz der Biodiversität und des Klimas müssen Hand in Hand gehen. Während der Ausbau der Erneuerbaren überall sichtbar ist, sehen wir im Vergleich dazu viel zu wenig Erfolg im Kampf gegen das Artensterben und zu wenig Aktivitäten beim Klimaschutz, wie Aufforstung und Wiedervernässung von Mooren.“

Durch die Regionalplanung, die die großen Linien der Entwicklung zeigt, würden „solche wichtigen Entscheidungen auf die chronisch unterbesetzte Verwaltungsebene der Kommunen weitergereicht, die mit immer weniger Mitteln immer mehr Aufgaben wahrnehmen sollen“, kritisiert Merlin Michaelis.

Gleichzeitig wollen sich die Gemeinden die Planung nicht nehmen lassen. Die Verantwortlichen wollen meist, dass ihr Ort wächst. Etwa im nordfriesischen Langenhorn: „Wir wollen kein Schlafdorf sein. Stillstand bedeutet, dass es rückwärts geht“, sagt der CDU-Gemeinderat Volker Feddersen.

Keine Zustimmung des Parlaments nötig

Einen Widerspruch zum Ziel, Flächenfraß zu vermeiden, sieht er nicht: „Wir liegen schließlich an einer Entwicklungsachse.“ Der 3400-Einwohner*innen-Ort habe Bahnanschluss und produziere Windkraft, eine Wasserstofftankstelle ist geplant. „Die Firmen müssen dahin, wo die Energie ist“, sagt Feddersen. Immerhin will Schleswig-Holstein, so steht es im Koalitionsvertrag der Schwarz-Grünen Regierung, das erste klimaneutrale Industrie-Flächenland Deutschlands werden.

Merlin Michaelis sieht das Konzept der Entwicklungsachsen dennoch kritisch: „Ja, es gibt Vorgaben, laut denen kleinere Orte nur im begrenzten Umfang wachsen dürfen. Aber praktisch jede Bahnstrecke oder größere Straße gilt als Teil einer Entwicklungsachse und erlaubt damit vielen anliegenden Orten zu wachsen.“

Zu den Regionalplänen gab es zahlreiche Einwendungen aus dem ganzen Land, viele auch von Mitgliedern lokaler Umweltgruppen. Die werden nun im Ministerium geprüft und teilweise eingearbeitet, aber „am grundsätzlichen Duktus wird sich wenig ändern“, vermutet Michaelis.

Auch eine politische Debatte wird es wohl nicht mehr geben, heißt es aus dem Innenministerium: Zwar könnte der Landtag nach einem entsprechenden Antrag über die Regionalpläne verfügen. Gesetzlich vorgeschrieben sei eine Zustimmung des Parlaments aber nicht.

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