Gericht kritisiert Räumung von Baumdorf: Polizei Hannover kassiert Klatsche

Die Einschränkung der Berichterstattung in der Leinemasch wird von Verwaltungsgericht kritisiert. Rodung für eine breitere Schnellstraße geht weiter.

Einige Aktivist:innen in einem Protestcamp.

Die Ak­ti­vis­t*in­nen im Protestcamp „Tümpel Town“ besteigen mehrere Tripods und zeigen, dass sie für die Räumung bereit sind Foto: Sitara Thalia Ambrosio

HANNOVER taz | „Ihr seid nicht allein“, schallt es am Dienstag über die Sportanlage Döhren. Auf dem Fußballplatz vor dem Baumhausdorf „Tümpel Town“ in der hannoverschen Leinemasch stehen Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen vor einem Bauzaun. Hoch oben greifen Po­li­zis­t*in­nen erste Be­set­ze­r*in­nen heraus. Immer wieder fliegt Pyrotechnik und undefinierbare Flüssigkeit durch die Luft. Seit September 2022 kampieren die ersten Be­set­ze­r*in­nen in der Leinemasch, um gegen den Ausbau des „Südschnellwegs“ zu protestieren. Um­welt­schüt­ze­r*in­nen und Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen sind gegen die geplante Verbreiterung der Schnellstraße von 14,50 auf 25,60 Meter.

Nun wird es offenbar richtig ernst. Seit mehreren Tagen haben die Ak­ti­vis­t*in­nen sich in dem Naturschutz- und Naherholungsgebiet verbarrikadiert, um sich der Rodung zahlreicher Bäume in den Weg zu stellen. „Die Besetzung hat bereits jetzt viel länger gehalten, als wir dachten“, schreiben die Ak­ti­vis­t*in­nen der taz per Messenger. Doch nun wird das Herz des Widerstandes geräumt. Geschätzt vierzig Personen in geschätzt 13 Baumhäusern dürften sich bislang in der Besetzung befunden haben, am Dienstagnachmittag waren es nach Angaben der Be­set­ze­r*inn­nen immer noch mehr als zehn in etwa der Hälfte der Baumhäuser.

Seit Montagfrüh ist das Gebiet Sperrzone. Es gilt ein Versammlungsverbot in einem für die Rodung eingerichteten Sicherheitsbereich. Um das Gebiet herum macht das Bündnis „Leinemasch bleibt“ mit Kundgebungen auf die Situation aufmerksam und unterstützt die Ak­ti­vis­t*in­nen im Waldstück.

Zahlreiche Medien berichten über den Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen und der Landesstraßenbaubehörde. Das ermöglichte die Polizei allerdings nicht immer problemfrei. Zunächst sollten Jour­na­lis­t*in­nen mit einem Platz etwa ein Fußballfeld von der Besetzung entfernt vorliebnehmen, um von dort aus das Geschehen zu beobachten. Die Betreiber der Sportanlage sorgten sich um den Rasen, hieß es.

Journalisten-Gewerkschaft schlug Alarm

Man wolle einen guten Blick auf die Situation ermöglichen, sicherte die Pressestelle der Polizei Hannover zu – und stellte am Montag einen Shuttleservice zur Verfügung. Die Fahrten starteten einen halben Kilometer vom Geschehen entfernt. Die zwölf Plätze waren schnell belegt. Für die übrig gebliebenen Be­richt­erstat­te­r*in­nen hieß es: Zwei Stunden auf die nächste Fuhre warten – ohne Möglichkeit, nahe ans Geschehen zu gelangen. Die Tour an sich: eine kurze Beschauung der Rodung, aber keine uneingeschränkte Berichterstattung. Immerhin etwas näher durften Jour­na­lis­t*in­nen am Nachmittag dann an die Besetzung heran.

Die Gewerkschaft Deutsche Jour­na­lis­t*in­nen­uni­on schlug schließlich Alarm: „Journalist*innen vor Ort berichten, dass ihnen die Beobachtung der polizeilichen Maßnahmen praktisch nicht möglich ist“, kritisierte Landesmediensekretär Peter Dinkloh. „Sicherheitsbedenken sind kein Blankoscheck für die Polizei“, so Dinkloh weiter. Unterschiedliche Medien protestierten gegen die Blackbox-Räumung: Bild, dpa, HAZ, Neue Presse und andere Medien riefen dazu auf, eine freie Berichterstattung zu ermöglichen.

Mittlerweile hat das Verwaltungsgericht Hannover diese Forderung bestätigt. In einem Beschluss, der der taz vorliegt, heißt es, die Polizei müsse das grundgesetzlich garantierte Recht auf Pressefreiheit wahren und einen Zugang ermöglichen – trotz Rodungsarbeiten. „Angesichts der Größe des genannten Gebietes rechtfertigen diese punktuellen, wenn auch mobilen Gefahrenquellen nicht die Unterbindung des Zugangs zum gesamten Bereich“, schreibt das Verwaltungsgericht. Eine Pressesprecherin der Polizei Hannover sagte der taz, der Beschluss werde umgesetzt.

Vor Ort war das am Dienstag spürbar: Während behelmte Po­li­zis­t*in­nen sich am Boden unter dem Baumhausdorf verteilten und Klettereinheiten von oben begannen, Menschen herauszugreifen, konnten sich Jour­na­lis­t*in­nen kurzzeitig frei im Hüttendorf „Tümpel Town“ bewegen.

Räumung vor dem Ende

Eine Aktivist*in, die sich „Wolke“ nennt und in einem der niedrigeren Baumhäuser sitzt, sagte der taz, es gehe allen Be­set­ze­r*in­nen den Umständen entsprechend. Sorge machte Wolke, dass die Polizei immer wieder Seile gekappt und damit Menschen gefährdet habe. Überprüfen ließ sich das nicht. Nach einer Stunde war wieder Schluss mit Bewegungsfreiheit, als die Me­di­en­ver­tre­te­r*in­nen hinter ein Flatterband verwiesen wurden. Die Räumung in der Höhe war derweil in vollem Gang. Darunter drohe Gefahr, sagte die Polizei per Lautsprecher.

Einzeln griffen sich die Po­li­zis­t*in­nen am Dienstag die Ak­ti­vis­t*in­nen heraus. Baumhäuser wurden abgeschnitten und fielen krachend zu Boden. Die Ak­ti­vis­t*in­nen sagten der taz, sie wollten kollektiv die Angabe ihrer Personalien verweigern. Die Polizei brach vorerst die Arbeit ab und wollte am Mittwoch weitermachen. Dann, so schätzen Beobachter*innen, dürfte die Räumung beendet werden.

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