Aktuelle Lage im Westjordanland: Proteste und Generalstreik

Nach dem Tod von Hamas-Führer Saleh al-Aruri demonstrieren Hunderte Pa­läs­ti­nen­se­r. Wegen eines Generalstreiks bleiben Schulen geschlossen.

PalästinenserInnen protestieren in Ramallah, ein Geistlicher und ein Mann tragen palästinensiche Flaggen über der Schulter

Palästinenser nehmen an einem Protest gegen die Ermordung des hochrangigen Hamas-Beamten Saleh al-Arouri in Ramallah teil Foto: Ali Sawafta/reuters

RAMALLAH taz | Auf dem Al-Manara-Platz im Zentrum von Ramallah ist der Unmut groß. Am Dienstagabend haben sich hier Hunderte Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen zu Protesten versammelt. Ein junger Mann ruft in ein Mikrofon: „Freiheit“, „Gott ist groß“, aber auch Rufe nach Vergeltung gegen Tel Aviv sind zu hören. Vor ihm stehen Dutzende Männer, ihre Kapuzen sind hochgezogen, einige schwenken die grüne Hamas-Flagge. Anlass der Proteste ist die Tötung von Saleh al-Aruri in Beirut. Er war Vizeleiter des Politbüros der Hamas. Al-Aruri ist in der Nähe von Ramallah geboren und hat die militärischen Strukturen der Hamas im Westjordanland mitaufgebaut.

Am Protest nehmen Männer und Frauen unterschiedlichen Alters teil, traditionell gekleidete Frauen mit Kopftuch sowie Teenager auf Fahrrädern. „Ich bin hier, weil Israel Saleh Aruri, Führer des palästinensischen Widerstandes, getötet hat“, sagt etwa eine 48-jährige Demonstrantin aus Ramallah, ohne Schleier und im Regenmantel, die Suhara genannt werden will. „Wir wollen von der israelischen Besatzung befreit werden, wollen so leben wie jeder andere Mensch auch und den Genozid in Gaza stoppen.“

Ein 28-jähriger Demonstrant erklärt am Rande des Protestzuges: „Wir sind alle aufgebracht. Wir sind hierhergekommen, um der Welt zu zeigen, dass wir zu den Menschen in Gaza stehen, dass wir ein einziges Volk sind.“ Er habe in den sozialen Netzwerken vom Protest erfahren und sei sofort herbeigeeilt. Die Demonstration in den leeren Straßen von Ramallah bleibt friedlich. In einem Flüchtlingslager nahe Hebron meldet die Fatah-nahe Nachrichtenagentur Wafa hingegen, israelische Streitkräfte hätten einen Protest gegen die israelischen Angriffe mit Tränengas aufgelöst. Eine entsprechende Anfrage an das israelische Militär blieb unbeantwortet.

Wegen der Tötung al-Aruris ist am Mittwoch im gesamten Westjordanland ein Generalstreik ausgerufen worden. Schulen, Universitäten, Banken, Restaurants und Regierungsbüros blieben geschlossen. Im Zentrum von Ramallah sind gegen Mittag nur einige Dutzend De­mons­tran­t*in­nen im Nieselregen unterwegs, die Rollläden vor den Schaufenstern der Geschäfte überall zugezogen. Verschiedene Parteien haben zum Protest aufgerufen.

44 Prozent unterstützen Hamas

Issam Bakr, politischer Koordinator der Parteien im Bezirk Ramallah und Mitveranstalter der Demonstration, sagt zu den jüngsten Ereignissen: „Wir verurteilen diese Tötung, es ist ein Kriegsverbrechen und überschreitet alle roten Linien. Und persönlich denke ich, dass sie niemals den Kampf der Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung beenden wird.“ Das Westjordanland sei bereits davor unruhig gewesen, der Tod al-Aruris könnte die Lage zusätzlich destabilisieren, so Bakr.

Ähnlich sieht es Ibrahim Dalalsha, Direktor des palästinensischen Thinktanks „Horizon Center“: „Die Sicherheitslage im Westjordanland wird wahrscheinlich auf zwei verschiedenen Ebenen davon beeinflusst.“ Zum einen könnte es für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland schwieriger werden, die Kontrolle zu behalten.

Nach jüngsten Umfragen unterstützen inzwischen 44 Prozent der Menschen im Westjordanland die Hamas, vor drei Monaten waren es 12 Prozent. „Gestern Abend haben wir Hunderte Menschen gesehen, die mit Hamas-Flaggen marschiert sind, trotz des PA-Verbots, Hamas-Flaggen zu hissen“, sagt Dalalsha. Zum anderen könnte die Tötung al-Aruris Angriffe auf israelische Sol­da­t*in­nen und Sied­le­r*in­nen befeuern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.