Selenskyj in Berlin bei Scholz: Vertrauensbildende Maßnahmen

Die Ukraine und Deutschland haben einen historischen Vertrag unterzeichnet. Derweil dauern die russischen Angriffe an.

Wolodymyr Selenskyj steht neben Olaf Scholz, der gerade spricht und schaut ihn aufmerksam an

Wolodymyr Selenskyj zu Besuch in Berlin am 16.02.204 Foto: Liesa Johannsen/reuters

BERLIN taz | Kein einziges Gebäude steht mehr in Awdijiwka in der Ostukraine. Alle wurden zerstört von der russischen Armee, deren Luftwaffe jeden Tag bis zu 60 Lenkbomben auf die Stadt abwirft und sie mit Raketenartillerie, Panzern und Mörsern beschießt. In den letzten Wochen fiel es den Ukrainern von Tag zu Tag schwerer, die seit 2014 errichtete Verteidigungslinie zu halten.

Der Grund: Munitionsknappheit und die massiven Angriffe. Die russische Armee konnte die ukrainischen Stellungen im Süden und Norden der Stadt durchbrechen und die Streitkräfte einkesseln. Und es gelang ihr, die einzige Straße in die Stadt abzuschneiden und die Feldwege unter ihre Kontrolle zu bringen. Straßenkämpfe finden in unmittelbarer Nähe von Privathäusern statt.

Angesichts dieser verheerenden Lage hat der neue Chef der ukrainischen Armee, General Oleksandr Syrskyj, eine Sturmbrigade nach Awdijiwka geschickt, um die Blockade aufzulösen. Bisher hat dies der ukrainischen Armee keinen Erfolg im Kampf gegen die russischen Truppen gebracht. Rund 40.000 russische Soldaten befinden sich an diesem Frontabschnitt. Militäranalysten gehen davon aus, dass die Ruinen Awdijiwkas unter russische Kon­trol­le fallen werden, wenn es den ukrainischen Reserven nicht gelingt, die Lage innerhalb weniger Tage zu wenden.

Awdijiwka, fünf Kilometer vom seit 2014 besetzten Donezk entfernt, hatte vor dem Krieg rund 17.000 Einwohner. Heute leben etwa 900 vor allem in den Kellern zerstörter Häuser. Täglich sterben etliche durch den Beschuss. Hier befindet sich die größte Kokerei Europas. Auch diese Fabrik gleicht heute einem Schlachtfeld. Das Beispiel dieser Stadt zeigt, wie verheerend nahezu zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs die militärische Lage der Ukraine ist. „Sie werden keine Ruhe geben, wenn sie nicht alles zerstören, was es da noch gibt“, sagt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. „Unsere Soldaten sind unsere wichtigste Waffe.“

Solidaritätstour durch Deutschland und Frankreich

Selenskyj ist derzeit auf Tour durch Deutschland und Frankreich. Da die Unterstützung durch die USA bröckelt, setzt er auf verlässliche Partner in Europa. Bundeskanzler Olaf Scholz und Selenskyj haben an diesem Freitag in Berlin ein bilaterales Sicherheitsabkommen geschlossen. Es geht um eine „Vereinbarung über Sicherheitszusagen und langfristige Unterstützung“ der Ukraine.

Bereits auf dem Nato-Gipfel im litauischen Vilnius im Juli 2023 kündigten die G7 eine solche Vereinbarung an. Nach Großbritannien ist nun Deutschland an der Reihe, diese in die Tat umzusetzen. Sie hat historische Ausmaße, denn sie bezieht sich nicht nur auf die aktuelle Unterstützung für die Ukraine, sondern es gibt auch die Zusage, dass Deutschland nach dem Ende dieses Kriegs und im Fall eines erneuten russischen Angriffs weiter an der Seite der Ukraine steht. Sie gilt zunächst für die kommenden zehn Jahre, ist nicht rechtsverbindlich, aber ein eindeutiges Signal.

„Alle wünschen wir uns ein baldiges Ende des Kriegs“, sagte Scholz am Freitag. Leider sei Russland nicht zu einem dauerhaften Frieden bereit. Rund zwei Jahre nach Beginn des Kriegs sei diese Vereinbarung eine „glasklare Botschaft“ an Putin. Auch Selenskyj äußerte sich eindeutig: „Putin tötet immer. Er ist dieser Krieg. Wir können ihn nur gemeinsam stoppen.“

In der Vereinbarung geht es um Militärhilfen, um die Unterstützung der Ausbildung von Soldaten, um den Wiederaufbau, aber auch um Hilfen im Kampf gegen Korruption. Die Ukraine sagte im Gegenzug zu, Reformen voranzutreiben. Seit dem 24. Februar 2022 hat Deutschland das Land im Krieg mit rund 28 Milliarden Euro unterstützt.

Anlässlich der Vereinbarung und der Münchner Sicherheitskonferenz kann sich Selenskyj über ein neues milliardenschweres Militärpaket freuen. Mit Panzerhaubitzen, Artilleriemunition, einem zweiten Luftverteidigungssystem vom Typ SkyNex sowie 100 weiteren Flugkörpern für das System IRIS-T. Der Kanzler machte aber eindeutig klar, dass es keine deutschen Soldaten in der Ukraine geben wird und dass Deutschland mit der Vereinbarung keine Kriegspartei wird. Frankreich will eine ähnliche Vereinbarung unterzeichnen, weitere Staaten sollen in Kürze folgen. Die in Vilnius vereinbarte G7-Dacherklärung haben bisher 32 Staaten sowie die EU unterzeichnet.

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