Betreuung in Niedersachsens Kitas: Aus Krise wird Kollaps

Immer mehr Kommunen in Niedersachsen verkürzen die Kernzeiten ihrer Kitas. Doch gelöst werden damit die Probleme bei der Kinderbetreuung nicht.

Eine Betreuerin zieht einem Kind eine Jacke an

Benötigt Zeit und Personal: Betreuung in Kitas Foto: Oliver Berg/dpa

HANNOVER taz | Die Steigerung von Krise heißt Kollaps. Man kann es ja auch kaum noch hören: Vor allem in den Wintermonaten, als die Grippe- und Erkältungswellen durch die Kindergärten fegten, klagten täglich Eltern, die ihre Kinder früher abholen oder gleich ganz zu Hause betreuen mussten.

Doch die kurzfristigen Ausfälle sind nur das eine. Immer mehr Kommunen und freie Träger in Niedersachsen kürzen die Betreuungszeiten oder denken zumindest darüber nach. In den letzten Wochen waren es die Städte Gehrden und Laatzen, in der Region Hannover sind sie damit – je nach Zählung – die dritte oder vierte Kommune, bei der die Betreuung standardmäßig nur noch von 8 bis 14 Uhr reicht. Darüber, wie viele es im ganzen Land sind, hat niemand einen Überblick.

Die Szenen häufen sich jedenfalls: Draußen vor dem Rathaus protestieren erschöpfte, wütende, verzweifelte Eltern, drinnen ziehen Kommunalpolitiker und Verwaltungsfachleute unbehaglich die Schultern hoch. Wir würden es gern anders machen, aber uns bleibt ja nichts anderes übrig, heißt es fast überall. Wir haben einfach keine Leute.

Wobei diese Reduktion der Kernzeiten nicht bedeutet, dass es überhaupt keine Nachmittagsbetreuung mehr gibt – was man den aufgeschreckten Eltern aber erst einmal erklären muss. Was hier zum Tragen kommt, ist eine Option, die das niedersächsische Kita-Gesetz schon seit 2021 möglich macht: Die Unterscheidung zwischen Kern- und Randzeiten ist sozusagen der Trick, der helfen soll, einen schwer lösbaren Zielkonflikt in den Kitas auszutarieren.

Konkurrierende Ansprüche

Da ist zum einen der hohe Anspruch an frühkindliche Bildung, der vor allem dann hochgehalten wird, wenn die Pisa-Ergebnisse mal wieder desaströs ausgefallen sind – und auf der anderen Seite der Anspruch der Eltern, Familie und Beruf irgendwie unter einen Hut zu bekommen.

Kernzeiten sind die, in denen der Bildungsauftrag realisiert werden soll – mit festen Gruppen und Bezugserziehern. Randzeiten sind die, in denen eher betreut wird. Nur in den Randzeiten dürfen die Kinder aus unterschiedlichen Gruppen zusammengeführt werden und in Einzelfällen sogar von weniger Fachkräften betreut werden. Wie lang die Kernzeit ist und wann die Randzeit beginnt, kann für jede Einrichtung einzeln definiert werden.

Die Hoffnung, die sich für Kommunen mit der Reduktion der Kernzeiten verbindet, ist: Man kann das kostbare Fachpersonal auf diese Stunden konzentrieren und bessere Arbeitsbedingungen bieten – damit diese Erzieherinnen nicht auch noch ausbrennen, krank werden oder hinwerfen.

Gleichzeitig versucht man, den tatsächlichen Bedarf, vor allem in den Nachmittagsstunden, realistischer zu kalkulieren, sagt Kerstin Schlüter, Leiterin des Fachbereich für Kinder, Jugendliche und Familien bei der Stadt Osnabrück. Die Erfahrung habe nämlich gezeigt, dass viele Eltern zwar Ganztagsplätze buchen, aber nicht voll in Anspruch nehmen. Das ist eine Folge der schon 2018 eingeführten Beitragsfreiheit.

In Kernzeiten soll der Bildungsauftrag erfüllt werden, in Randzeiten wird eher betreut

Osnabrück gehörte in Niedersachsen zu den ersten Städten, die die Kernzeit konsequent auf 8 bis 14 Uhr für Kita-Kinder und 8 bis 14.30 Uhr für Krippen-Kinder beschränkt haben und den Bedarf, der darüber hinaus geht, systematisch abfragen. Gleichzeitig legt die Stadt Wert darauf zu betonen, das es vor allem um eine bedarfsgerechte Steuerung geht.

Es reicht, den Bedarf anzumelden, umständliche Nachweise werden nicht verlangt. Und auch die Kinder mit besonderem Förderbedarf habe man in den Einrichtungen genau im Blick und biete den Eltern entsprechende Betreuungszeiten an, sagt Schlüter.

Das ist allerdings nicht überall so. Manche Kommunen verlangen Bescheinigungen vom Arbeitgeber inklusive der Arbeitszeiten oder andere Nachweise über Ausbildungs-, Studien- und Pflegeverpflichtungen. Andere denken sich komplizierte Punktesysteme aus, um die knappen Ressourcen zu verteilen. Förderbedürftigkeit taucht darin nicht zwingend auf.

Beschwerden von Arbeitgebern habe er noch nicht gehört, sagt Gehrdens Bürgermeister Malte Losert. Allerdings merke er in seiner eigenen Verwaltung die Auswirkungen: „Da möchten Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten anpassen, weil sie ihr Kind früher aus der Kita holen müssen.“

Er würde sich vor allem flexiblere Regelungen beim Einsatz der bestehenden Kräfte wünschen: „Wir hatten gerade den Fall, dass in einer Krippengruppe eine Erzieherin Ende August gekündigt hat und die Neueinstellung erst zum 1. Oktober gelang“, berichtet er.

„Da standen zwei erfahrene Sozialassistentinnen bereit, die mit den Kindern vertraut waren und die diesen einen Monat hätten überbrücken können. Das haben wir aber nicht genehmigt bekommen. Wir mussten die Gruppe für den gesamten September schließen beziehungsweise die Betreuungszeiten massiv einschränken.“ Kürzlich musste man in Gehrden sogar Integrationskindern den Platz kündigen, weil eine heilpädagogische Fachkraft fehlt.

Hürden bei der Ausbildung

Auch der Weg in den Beruf sei reformbedürftig, findet Bürgermeister Gehrdens. Er habe erst neulich mit Neuntklässlerinnen nach ihrem Berufspraktikum gesprochen. „Von der Arbeit in der Kita sind die begeistert, aber die lange Ausbildung ohne Vergütung schreckt sie ab“, sagt er.

Auf die duale Ausbildung hatten viele Elternvertreter und Fachverbände große Hoffnungen gesetzt, aber in Niedersachsen scheint sie nicht recht vom Fleck zu kommen. Städte wie Osnabrück und Lingen, die dicht an der Grenze liegen, weichen deshalb schon nach Nordrhein-Westfalen aus. Dort gibt es das Modell PiA – praxisintegrierte Ausbildung –, mit dem innerhalb von drei Jahren Erzieher ausgebildet werden, die schon während ihrer Ausbildung jede Woche zwei Tage in der Kita verbringen.

In Niedersachsen gibt es das nur vereinzelt. Die Stadt Burgwedel fährt mit der Pestalozzi-Stiftung ein ähnliches Modell. Generell setzt das Land eher auf ein zweistufiges Modell, das erst zur Sozialassistentin und dann zur Erzieherin ausbildet und in x Varianten möglich ist, im Extremfall aber auch fünf Jahre dauert.

„Ich würde mir manchmal wünschen, ich könnte jungen Menschen einfach sagen, schick mir deine Bewerbung, den Rest machen wir“, sagt die Osnabrücker Fachbereichsleiterin Schlüter. Aber das geht eben nicht. Die Bewerber müssen sich beim Träger und bei einer Berufsfachschule bewerben, können die Ausbildung berufsbegleitend oder in Vollzeit absolvieren, bezahlt, teilweise bezahlt oder mit Bafög-Anspruch.

Landeselternrat tritt zurück

„Wir haben wirklich Fortschritte gemacht bei der Ausbildung von Quereinsteigern, die sich mit einem Jahr Ausbildungszeit zum sozialpädagogischen Assistenten ausbilden lassen können“, berichtet Schlüter. „Aber danach hapert’s.“ Viele verharrten auf dieser Stufe, weil sich ihr Einkommen erst einmal reduziere, wenn sie weitermachten. „Und das ist vor allem für Berufstätige, die nicht mehr Anfang 20 sind, schwierig“, sagt Schlüter.

Auch was die Bedarfsprognosen angeht, sind die Praktiker in den Kommunen skeptisch. Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) hatte sich jüngst zu der Äußerung hinreisen lassen, ab 2028 würden sich die verstärkten Ausbildungsbemühungen bemerkbar machen.

Aber der höheren Anzahl an Absolventen und den sinkenden Geburtenraten stehen eben ein paar gegenläufige Trends gegenüber: Da ist der steigende Betreuungsumfang, der von den Eltern nachgefragt wird, die anstehende Einführung der dritten Fachkraft in den Kita-Gruppen und der versprochene Ausbau der Ganztagsbetreuung an den Grundschulen. Die kommunalen Spitzenverbände mahnen deshalb schon seit Langem, das sei alles nicht zu stemmen, man habe den Eltern schlicht zu viel versprochen.

Ausgerechnet in dieser Situation ist nun auch noch der Landeselternrat für den Kita-Bereich zurückgetreten. Vorausgegangen war ein langer Streit darum, wie dessen Arbeit finanziert wird. Die ehrenamtlich engagierten Eltern hätten gern wenigstens Reisekosten und sonstige Aufwendungen erstattet bekommen – das ist bisher aber nicht vorgesehen. „Ich habe den Eindruck, dass der Dialog mit den Eltern nicht wirklich gewünscht ist, schon gar nicht, wenn es kritisch wird“, sagt die ehemalige Vorsitzende Christine Heymann-Splinter.

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