Mützenichs Ukraine-Äußerungen: Wunde Stellen

Die Reaktionen auf SPD-Fraktionschef Mützenich zeigen, dass er einen Nerv getroffen hat. Der Krieg verläuft nicht, wie er sollte. Darüber muss man reden.

Muetzenich hebt die Hand zum Mund

Rolf Mützenich bei dem Pressestatement vor der wöchentlichen Fraktionssitzung am 19. März Foto: Michael Kappeler/dpa

Verteidigungsminister Pistorius ist dagegen, die polnische Regierung auch. Die Union sowieso. Und in den deutschen Leitmedien fällt SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich die Rolle des Prügelknaben zu. Der Sozialdemokrat hatte angeregt, „darüber nachzudenken, wie man den Krieg in der Ukraine einfrieren und später beenden kann“. Dass sich angesichts dieser vorsichtigen Formulierung eine solche Aufregungsfront bildet, ist erstaunlich. Woher diese Heftigkeit?

Der Kampf gegen den Aggressor bis zum Sieg ist das legitime Ziel der Ukraine. Doch der Kriegsverlauf legt nahe, dass es nicht schnell zu erreichen sein wird. Das liegt nicht daran, dass Deutschland zu wenig Waffen und Geld liefert oder Kanzler Scholz es an wuchtigen Formulierungen mangeln lässt. Die Bundesrepublik ist nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine. Die Idee, dass einzelne Waffensysteme wie Marschflugkörper das Blatt wenden würden, sind Wishful Thinking, ja, Wunderglaube.

Entscheidend ist vielmehr, dass die russische Kriegswirtschaft stabiler ist als vom Westen erhofft und die Sanktionen die russische Kriegsmaschine weniger stören als erwartet. Kann es sein, dass Mützenich eine wunde Stelle berührt hat? Dass die Wut, die der SPD-Mann provoziert hat, eigentlich der hässlichen Wahrheit gilt, dass der militärische Erfolg der Ukraine in weite Ferne gerückt ist? Verhandlungen stehen derzeit nicht an.

Verhandelt wird erst, wenn beide Parteien sich vom grünen Tisch mehr versprechen als von einem endlosen Krieg. Das ist für beide Seiten nicht der Fall. Putin hofft auf einen Sieg von Trump in den USA im November. Vorher wird er niemals Kompromissbereitschaft erkennen lassen. Nicht Taurus, Trump kann der Gamechanger werden. Mützenich hat versucht, die verengte mediale Debatte zu öffnen, wohl wissend, dass ein Einfrieren, ein Waffenstillstand entlang der Frontlinie, weder Moskau noch Kyjiw wollen.

Offen bleiben für Alternativen

Man muss dies trotzdem denken können. Nichts ist in Kriegen gefährlicher, als aufzuhören, Alternativen zu diskutieren, oder die trostlose Realität durch Illusio­nen zu ersetzen. Ein Ende des Ukrainekriegs ist nicht in Sicht. Berlin wird noch lange und nach einem möglichen Sieg von Trump noch viel mehr Waffen und Geld nach Kyjiw schicken müssen. Wie lange die Deutschen das mitmachen, ist nicht sicher. Demokratien sind stimmungsanfällig.

Die Unterstützung des Wahlvolks für die Hilfe für die Ukraine ist nicht garantiert. Scholz’ ruhiger Pragmatismus und Mützenichs nüchterne Skepsis sind eher geeignet, diese Unterstützung zu sichern, als der moralische Überdruck ihrer Kritiker.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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