Hürden der Bürgerbeteiligung: Eine echte Herausforderung

Es gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Partizipation ist das noch nicht. Vor allem aber irritiert unsere Kolumnistin der Tonfall, der oft herrscht.

Sibirischer Blaustern (Scilla siberica) und Narzissen blühen, während Passanten auf einer Parkbank sitzen

BürgerInnen im bestimmt konstruktiven Gespräch Foto: Julian Stratenschulte/picture alliance/dpa

Es tut mir leid, aber ich muss in dieser Kolumne nochmal auf das Thema meiner letzten zurückkommen: Ich hatte da darüber nachgedacht, wie Verkehrsberuhigung in meinen Kiez in Berlin-Neukölln durchgesetzt wird und welche exklusive Form von Bürgerbeteiligung dabei wohl angewendet wurde, die an mir als anwohnender (damals noch) Lokaljournalistin – und als solche eigentlich gut informiert – vorbeigegangen ist. Ich habe auf diese Kolumne so viele Reaktionen bekommen, dass ich darauf gerne eingehen möchte. Denn manche davon haben mich wirklich schockiert.

Da schrieb mir etwa jemand, dass in Berlin doch alle Beteiligungsverfahren auf der Webseite mein.berlin.de veröffentlicht würden. Das stimmt, allerdings ist dies eine Plattform für dafür qualifizierte und damit keineswegs für alle Bürger*innen. Man muss über ein internetfähiges Endgerät und eine E-Mail-Adresse verfügen, zudem braucht man einiges Wissen über Lokalpolitik und Partizipationsverfahren, um die Seite zu verstehen, und muss sehr gerne sehr viel lesen und auch Zeit dazu haben und ziemlich anspruchsvolles Deutsch verstehen können.

Was man aber übrigens nicht sein muss – da ist die Webseite überraschend inklusiv –, ist Berliner*in: Jede Person mit E-Mail-Adresse kann sich auf der Seite anmelden und ihre Meinung zu den sehr lokalen verkehrspolitischen und sonstigen Projekten in die Beteiligungsverfahren einbringen.

Nach welchen Kriterien diese Meinungen dann Eingang in die Verfahren finden, dazu gibt es auf der Webseite keine Erläuterung. In den knapp 200 Seiten Text über „Präsentationsveranstaltungen“ und „Beteiligungswerkstätten“ in meinem Kiez erfuhr ich immerhin, dass auf diesen Veranstaltungen für mein.berlin.de und auf der Webseite dann wiederum für die Veranstaltungen geworben wurde: Vermutlich wurde deshalb darauf verzichtet, den An­woh­ne­r*in­nen mal einen Infoflyer in die Briefkästen zu stecken.

Komplizierte Hürden

Sorry, aber das ist keine Bürgerbeteiligung, das ist bloß eine mit vielen komplizierten Hürden versehene Umsetzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung – das übrigens ein Menschen- und keineswegs nur ein Bür­ge­r*in­nen­recht ist: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“, steht im deutschen Grundgesetz. Dafür muss man überhaupt kei­n*e Bür­ge­r*in dieses Landes sein.

Ehrlich, Leute: Eure Hybris kotzt mich manchmal wirklich an

Schockiert hat mich auch der Tenor mancher Mails, die mich nach meiner Kolumne erreichten. Er sei von der Verkehrsberuhigung völlig überrumpelt worden und habe durch sie auch viele Kun­d*in­nen verloren, hatte da ein Ladeninhaber seine Erfahrungen beschrieben. „Das stimmt gar nicht!“, nutzte darauf ein anderer Bürger, der sich „Teilnehmer an der Bürgerbeteiligung“ nannte, sein Recht auf freie Meinungsäußerung – hallo? Geht’s noch herrischer beziehungsweise autoritärer? Ehrlich, Leute: Eure Hybris kotzt mich manchmal wirklich an.

Im Ernst: Wollen wir so diskutieren, geht ihr so miteinander um bei diesen Partizipationsveranstaltungen? Dann habe ich ehrlich gesagt überhaupt keine Lust, mich daran zu beteiligen – und hoffe, dass in euren „Beteiligungswerkstätten“ nicht wirklich irgendwo ein Hammer hängt!

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wohlgemerkt: Ich kritisiere hier nicht Ziele; weniger Autos in der Stadt sind aus vielen Gründen gut. Ich kritisiere Methoden und den Umgang mit Bür­ge­r*in­nen der für die Verfahren Verantwortlichen – und nun auch miteinander.

Demokratie ist kein Zustand wie schönes Wetter: „Oh, guck mal, so ein Mist, jetzt zieht es sich zu!“ Demokratie ist vor allem eine Praxis, und weil sie Demokratie heißt, eben eine mit möglichst umfassender Beteiligung. Und: Man muss sie wie jede Praxis praktizieren. Denn sonst verlernt man sie.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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