Journalistin über Sinti und Roma: „Bilder im Kopf hinterfragen“

Die Journalistin Gilda Horvath engagiert sich seit Jahren für Rom:nja. Im Interview spricht sie über Vorurteile und bedrohte Erinnerung an NS-Verbrechen.

Frauen tanzen lachend währen einer Demonstration

Rom:n­ja bei ihrem Kampf für Anerkennung auf einer Demonstration in Frankfurt a. M. 2015 Foto: Alex Kraus/laif

taz: Frau Horvath, in Wien soll bald ein Denkmal für die Rom:­nja und Sin­ti:z­ze entstehen, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurde. Gemeinsam mit NGOs haben Sie sich dafür starkgemacht. Wie ist der aktuelle Stand?

Gilda Horvath: Im November hat die österreichische Regierung beschlossen, dass es ein Denkmal geben wird. Das ist schon mal ein großer historischer Erfolg für die Community, die insgesamt 30 Jahre lang gefordert hat, dass es einen Ge­denk­ort für die unter den Nationalsozialisten ermordeten Rom:­nja geben muss. Wir haben nun seit zwei Jahren als Kollektiv dafür gearbeitet. Erst vor ein paar Tagen war die erste Sitzung im österreichischen Parlament, in der wir mit dem Nationalfonds über die Ausschreibung gesprochen haben. Wir sind sehr glücklich über diese Fortschritte.

wurde 1983 in Wien geboren und gehört der Rom:nja-Gruppe der Lovara an. Sie arbeitete für den ORF und schreibt unter anderem für die Deutsche Welle.

In Berlin wurde das Denkmal für die Rom:nja-Opfer der Nazis bereits 2012 eingeweiht, heute ist es bedroht. Die Deutsche Bahn will einen Tunnel darunter bauen, was mindestens den heutigen Charakter des Denkmals verändern würde.

Man muss sich vor Augen führen, worum es da geht. Die Deutsche Bahn ist ein Konzern mit Gewinnabsicht: Es geht ihr also letztlich ums Geld. Für die Rom:­nja und Sin­ti:z­ze ist dieser Ort aber auch eine Grabstätte, ein Ort, wo Menschen gedenken, die keine Gräber für ihre Vorfahren haben, weil sie vergast wurden. Und das wird vergessen. Ich denke, wenn wir in eine christliche Grabstätte eingreifen würden oder in die Grabstätte einer anderen Religion, würde man das respektvoller diskutieren.

Auch in der weiteren Gesellschaft werden Sin­ti:z­ze und Rom:­nja nach wie vor diskriminiert.

Genau. Mehr als 40 Prozent der Diskriminierung in der Gegenwart passiert bei öffentlichen Institutionen und Behörden: in Schulen, bei Ärzten, die uns die Behandlung verweigern, bei Polizisten, die ihre Kompetenzen überschreiten, bei Ämtern, die die Belege nicht lesen, sondern Anträge einfach ablehnen. Der Bundesbeauftragte für Roma und Sinti, Dr. Mehmet Daimagüler, plant daher eine Wahrheitskommission, die das Unrecht, das bis in die Gegenwart geschieht, aufarbeiten soll.

Trägt auch die mediale Berichterstattung zu dieser Ungleichbehandlung bei?

Es ist wissenschaftlich belegt, dass Medien eine verzerrte Darstellung haben. Sie fallen auf kollektive Illusionen herein. Es gibt jahrhundertealte Lügengeschichten, wie etwa, dass Rom:­nja Kinder stehlen würden. Vor ein paar Jahren gab es einen Fall von einem Mädchen namens Maria, wo die Medien dann riesige Mythen verbreitet haben über einen angeblichen Menschenhändlerring, der nie existiert hat. Das Kind war letztlich ein Teil der Familie. Aber weil es blond und blauäugig war, wollte man ihr einfach nicht glauben, es wurde sogar ein DNA-Test durchgeführt. Diese falschen Informationen in den Medien führen zu Gewalt in der Realität.

Sie kritisieren die Medien auch dafür, dass sie zu eng mit Internetplattformen kooperieren. Weshalb?

Facebooks Mutterkonzern Meta hat ein „Journalismus-Programm“, bei dem er anbietet, Jour­na­lis­t:in­nen auszubilden. Da lernt man aber keinen Journalismus, sondern wie man Inhalte so produziert, dass sie auf Facebook die größte Reichweite bekommen. Das ist ein Paradigmenshift: Ein Privatkonzern fängt an, Jour­na­lis­t:in­nen auszubilden, die dann Informationen an sein System angepasst schreiben. Damit geben wir die Deutungshoheit über die Realität ab. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Wir Jour­na­lis­t:in­nen können unsere Verantwortung nicht an Drittanbieter wie Meta oder Facebook delegieren.

Und wenn selbst die Presse immer noch auf alte Mythen über Rom:­nja hereinfällt, verbreitet ein soziales Netzwerk, das viel weniger kuratiert ist, eher noch solche Bilder.

Absolut. Wir sehen das auch bei der künstlichen Intelligenz: Wenn man das Bild eines CEO anfragt, und es kommt bei acht Versuchen immer ein Mann raus. Die KI hat eine stark verzerrte Spiegelung unserer Realität.

Sie kennen die Redaktionen als Journalistin auch von innen. Wie reagieren Sie, wenn Sie dort auf Vorurteile stoßen?

Von Mensch zu Mensch reagiere ich in erster Linien mit Güte und Humor. Weil ich glaube, dass die allerwenigsten Menschen absichtlich etwas sagen, das mich verletzen könnte. Eine sehr gute Journalistin, die ich schätze, hat mich in einem Interview einmal gefragt, wie ich zu einem Vorfall stehe – irgendwo in Griechenland hatte es Ausschreitungen gegeben, bei denen Rom:­nja angeblich Marktstände zerstört hätten. Ich habe geantwortet: Ich habe gehört, am Ballermann haben wieder 300 Deutsche randaliert, ein paar Biergläser zerhauen, und da gibt’s jetzt ein Verfahren: Wie stehen Sie dazu? Dann hat sie sehr schnell verstanden, wo ich hin wollte. Dieses Kollektiv-verantwortlich-Sein für ein ganzes Volk ist ein typischer Fehler, den Jour­na­lis­t:in­nen machen.

Was können Medien konkret besser machen, um eine vorurteilsbehaftete Berichterstattung über Rom:­nja zu vermeiden?

Jour­na­lis­t:in­nen müssen die eigenen Bilder im Kopf hinterfragen. Über 95 Prozent aller Roma weltweit sind sesshaft, wandern nicht, leben in Wohnungen und arbeiten. Sie führen ein ganz normales Leben. Das Bild in den Medien spiegelt das nicht wider. Armut und Obdachlosigkeit gibt es nicht nur in der Community, sondern auch in der deutschen Bevölkerung. Das ist aber medial nicht so präsent und somit auch nicht in unserem kollektiven Bewusstsein.

Sie probieren sich beruflich gerade anderweitig aus und entwickeln gemeinsam mit Partnern ein Computerspiel, bei dem es um Selbstermächtigung geht. Was hat es damit auf sich?

Das soll ein Spiel für alle Menschen werden, die sich in einem Prozess der Selbstreflexion und Transformation befinden. Es wird ein RPG, also ein Role Play Game. Das heißt, man hat einen Charakter, den Protagonisten, und den kann man über das Spiel entwickeln. In diesem Fall gibt es einen ganz großartigen Dreh, der dazu führen wird, dass wir unsere Realität anders sehen werden. Und zwar nicht nur im Spiel, sondern auch außerhalb. Das Spiel wird auf die Realität außerhalb des Screens wirken.

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