Abdel-Maksoud und Schleef in München: In steter Grenzüberschreitung

An den Münchner Kammerspielen fühlen Nora Abdel-Maksoud und Marie Schleef mit ihren neuen Theaterinszenierungen der Gegenwart auf den Zahn.

Blick auf die Bühne der Inszenierung "Die Möglichkeit des Bösen", mit einer Toranordnung in Grün und Rot, eine große Rose darüber

Bühnenbild von Ji Hyung Nam für „Die Möglichkeit des Bösen“ von Maria Schleef Foto: Gabriela Neeb

In Marie Schleefs aktueller Inszenierung bohren sich Dornen durch die angedeutete Fassade eines Hauses, in dem eine Rosenliebhaberin Allmachtsfantasien entwickelt. In der neuen Produktion von Nora Abdel-Maksoud schießt Wasser aus dem Bühnenboden und weitere Flüssigkeiten rinnen diverse Hosenbeine hinab. Beide Abende sind dieser Tage an den Münchner Kammerspielen herausgekommen.

Beide Regisseurinnen haben einen Sensor für soziale und körperliche Grenzüberschreitungen, aber komplett unterschiedliche Methoden und Stile: Schleef, Jahrgang 1990 und stets auf der Suche nach Texten von wenig bekannten Frauen, orientiert sich in „Die Möglichkeit des ­Bösen“ an der gleichnamigen Kurzgeschichte der US-Autorin Shirley Jackson. Abdel-Maksoud, geboren 1983, hat sich wie immer ihre Stückvorlage selbst gezimmert.

Marke: knallige Social Comedy am Puls aktueller Diskurse, meist herrlich politisch unkorrekt. „Doping“ heißt ihre neueste Wut-Geburt. Sie folgt in München auf ihre Erfolgsproduktion „Jeeps“, worin eine von der regierenden FDP angezettelte Erbschaftslotterie in einem Jobcenter etliche rasante Wendepunkte nahm. In „Doping“ bleibt Abdel-Maksoud der FDP und ihren ideologischen Sollbruchstellen dicht auf den Fersen. Ein Jungpolitiker hält eine Rede vor der Geldelite auf Sylt. Und mitten in seinem glühenden Appell pro Willensstärke und Eigenverantwortung lässt ihn sein Körper im Stich.

Denn Lütje Wesel, Spitzenkandidat des FDP-Ortsverbands Wenningstedt-Braderup, ist inkontinent, sein stahlhartes Entrepreneurshipimage ist gewissermaßen nicht ganz dicht. Und als auch das vermeintliche Edelresort, in dem er behandelt werden soll, ein Leck aufweist – die Außenhaut rostet, weil seine Partei das Gesundheitssystem kaputtrationalisiert hat – ist der Schlamassel perfekt.

Vor allem, weil sich das Resort auf einem U-Boot befindet, das jetzt sinkt. Auf diesem U-Boot, das eigentlich eine mobile Geburtenstation für die Sylter ist, die so etwas nicht mehr haben, lässt Abdel-Maksoud das sichtbare mit dem „unsichtbaren Wirtschaftssystem“ kollidieren, dem Feld der unbezahlten Care-Arbeit.

Opiumschnuller für Kids

Die Grundkonstellation ist großartig, die Einfälle sind es teilweise auch – von der „Krankheitsnehmerin“, die für Geld allen ihre Leiden abnimmt, bis zum „Mohnzutzler“ (Opiumschnuller für Kids arbeitender Eltern, nachdem alle Kitas weggespart worden sind). Allein, die Gags sind so zahlreich und schießen wie Querschläger umher, die man rasch aus den Augen verliert.

Auch schauspielerisch wirkt „Doping“ fahrig, oft unnötig laut und im Vergleich zu „Jeeps“ verloren im größeren Raum. Selbst Wiebke Puls als Dr. Bob, ein angeschickerter U-Boot-Pirat mit fettem Nordsee-Dialekt, der „vom Stress zerfickte Körper ganz ohne Entspannung“ zu heilen verspricht. Das Quäntchen Schmerz und Tragik, ohne das Komik bloß Klamauk ist, habe ich nur bei Vincent Redetzki gespürt.

Alles ganz anders bei Marie Schleef. Mit Ausnahme von „Name Her“, der gut siebenstündigen wortreichen Rehabilitation von der Geschichtsschreibung vergessener Frauen, mit der sie 2021 zum Theatertreffen eingeladen war, sind ihre Arbeiten weitgehend stumm. Sie setzen auf Langsamkeit und Atmosphärisches.

„Die Möglichkeit des Bösen“ ist darin so konsequent wie bestechend. Eine Bühne in grellem Pink und Grün, auf der über einer dornenbewehrten Wand eine blinzelnde Rose wacht: Textil-Skulpturales plus Projektionen machen’s möglich, auch Ungesagtem und Gefühlen Raum zu geben. Die Menschen in Ji Hyung Nams Pop-up-Bilderbuch bewegen sich in Zeitlupe durch diese „Nahaufnahme eines heimlichen Vergnügens“, wie der Abend im Untertitel heißt.

Alles ist minutiös durchchoreografiert bis hin zum Zücken des Schweißtuches, mit dem sich Walter Hess’ Postbote die Stirn abwischt.

Vorbeugende Selbstjustiz

Gar lieblich setzt die zierliche Miss Strangeworth von Johanna ­Eiworth ihre Schritte, die aus Sorge um „ihre“ saubere kleine Stadt, in der ihre Familie seit mehr als 100 Jahren lebt, zu einer Art vorbeugender Selbstjustiz greift. Das Baby, das quäkt; die Frau, die sich „keine Mühe mit ihrem Haar“ gibt: Derlei Kleinigkeiten sind der Rosenliebhaberin ein Dorn im Auge. Darum schreibt sie anonyme Briefe, die alternative Fakten über mögliche Affären und Erbschleichereien streuen. Denn: „Die Menschen sind lüstern, böse und verkommen und müssen im Auge behalten werden.“

Ein unheimlicher Soundtrack voller Wetter-, Atem- und schabender Schreibgeräusche und einige spektakuläre Transformationen von ­Eiworths Rosenkleidern (Kostüme: Teresa Vergho) machen den latenten Grusel komplett und kreieren eine erhebliche Spannung, obwohl höchstens ein Dutzend Wörter gesprochen werden. Nur die Geschichte hält nicht ganz, was diese Spannung verspricht.

Die wenigen Sätze, die auf der grünen Wand eingeblendet werden, sind auch sprachlich eher banal. Das Ende ist voraussehbar, der weibliche Troll fliegt auf und erntet das Böse, das er im Keim ersticken wollte. Die Rache ist kurz. Und zum Schlussapplaus gibt’s Rosenduft.

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