Showkampf im Theater: Wrestling gegen Wohnungsnot

Beim Theaterfestival „Spielart“ in München wird auf der Bühne gekämpft. Wrestler ringen als „kleine Leute“ und Immobilienhaie um die gerechte Stadt.

Am Ende obenauf: Wrestler Boris Pain als "Kleine Leute"

Am Ende obenauf: Wrestler Boris Pain als „Kleine Leute“ Foto: Tobias Zangl

„Kleine Leute! Kleine Leute! Kleine Leute!“ Die Sympathien im Publikum sind klar verteilt. Sie sind ja auch verteilt worden von der Ringsprecherin an diesem sehr speziellen Wrestling-Abend in der Muffat-Halle in München, der zur Eröffnung des Theaterfestivals Spielart für Begeisterung, aber auch für Verwunderung gesorgt hat. „Kampf um die Stadt“ hieß die Show, die da aufs Premierenpublikum losgelassen wurde.

Es war nichts anderes als ein Kampfabend von Wrestling-Artisten. Die Guten kämpfen gegen das Böse. Die kleinen Leute versuchen sich zu wehren gegen die Vermieter, die Immobilienhaie, die Investmentfonds, die Versuchung von Rechts oder dem Markt.

Julian Warner und Veronika Maurer, die das Projekt leiten, haben sich für ihren Theaterkampfabend an den großen Wrestling-Shows orientiert, bei denen die Kämpfer auch einem Script folgen. Eine solche war in der vergangenen Woche auch in Deutschlands größten Hallen in München, Berlin, Köln und Hamburg zu sehen. Bei den Shows des größten Unterhaltungsunternehmens in der Branche der Showringer, der World Wrestling Entertainment WWE, wissen die Fans, wen sie lieben und wen sie zu hassen haben.

Als bei den jüngsten WWE-Kampfabenden in Deutschland der erfahrene Michael Gregory Mizanin, Kampfname „The Miz“, im Ring damit geprahlt hat, wie groß seine Eier sind, waren ihm die Buhrufe sicher. Gut, dass dann Cody Rhodes im US-Superhelden-Outfit die Bühne geentert hat und den fiesen Angeber niedergerungen hat. Zwischen 60 und 400 Euro kostet es, wenn man ein solches Spektakel sehen will.

Boris Pain kämpft am Immobilienmarkt

Beim Theaterfestival in München konnte man schon für knapp 20 Euro dabei sein und „Kleine Leute“ anfeuern. So hieß der Gute in diesem Kampf im Münchner Immobilienmarkt. Dargestellt wurde er von einem jungen Mann, der sich als Wrestler Boris Pain nennt. Ein Imagefilm vor seinem ersten Kampf gegen die Vermieterin, die ihn gerade rausgeschmissen hat, zeigt ihn in seinem Heimatstadtteil Giesing.

Auf seiner Jeanskutte prangte – wie kann es anders sein – ein Aufnäher mit dem Logo das TSV 1860 München. Klar, so stellen sich Theatermacher kleine Leute vor. Und das Publikum feuert „Kleine Leute“ auf Aufforderung brav an und brüllt „Giesing! Giesing! Giesing!“, auch wenn ihnen anzusehen ist, dass sie sich in einem Hipstercafé viel wohler fühlen als in einer der von der fortschreitenden Gentrifizierung bedrohten Arbeiter-Boazn.

Doch es gehört vielleicht zu diesem Theaterabend, dass die richtige Geschichte vor Leuten gespielt wird, die ein wenig fehl am Platz sind. Das Erschrecken im Publikum, wenn ein Kämpfer seiner Gegnerin mit den Füßen ins Gesicht springt, oder nach einem Wurf mit dem Rücken auf den Ringboden kracht, ist jedenfalls echt. So echt wie die Kämpfenden.

Pionierin Jazzy Gabert im Showringen

Die Fans der Szene kennen bestimmt Jazzy Gabert, die fiese Vermieterin im „Kampf um die Stadt“. Die ist so etwas wie eine deutsche Pionierin im Showringen und hat sich nach unzähligen Jobs im Dienstleistungsprekariat doch tatsächlich einst um ein Haar in die Showwelt der WWE hochgerungen. Darüber, wie schwer das war und wie unterirdisch, sexistisch und übergriffig man sie dort behandelt hat, das hat sie als eine der ersten aus der Szene einst offen gesprochen und unter dem Hashtag #SpeakingOut Mitstreriterinnen dazu animiert, es ihr gleichzutun. Eine wahrhaft große Kämpferin hat sich da dem Münchner Theaterpublikum präsentiert.

„Kleine Leute“ hat am Ende tatsächlich gewonnen. Wie das möglich ist in dieser kapitalistischen Welt, mag man sich fragen. Das Skript des Abends liefert die einfache Antwort. Wenn sich die Stadt, dargestellt von Jessy F’n Jay, mit den kleinen Leuten gegen die Investoren verbündet, dann wird eben alles gut.

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