Die Wahrheit: Kannibalisierte Klassiker

Immer mehr grundsympathische Helden aus Kinderbüchern finden sich plötzlich als Schurken in blutigen Horrorstreifen wieder.

Mit lahmen Geschichten über Pinocchio, Bambi oder Pu den Bären lassen sich heutzutage nicht mal mehr Kleinkinder hinter dem Ofen hervorlocken. Diese Erfahrung machten die Veranstalter des „Willy-Wonka-Abenteuers“ vorigen Monat in Glasgow.

Eine Anzeige hatte den Besuchern vorgegaukelt, sie würden 35 Pfund für ein „großartiges Erlebnis“ bezahlen, das auf dem Kinderbuch „Charlie und die Schokoladenfabrik“ von Roald Dahl basiert. Stattdessen wurden sie in eine spärlich dekorierte Lagerhalle geführt, die manche Eltern an eine Crystal-Meth-Höhle erinnerte. Im Preis inbegriffen waren zwei Gummibärchen und ein viertel Becher Limonade pro Kind. Die Veranstaltung wurde nach einem halben Tag von der Polizei geschlossen.

Doch das Wonka-Erlebnis macht nun seinen Weg in die Kinos – als Horrorfilm. Er handelt von einem Illustrator und seiner Frau, die ihrer Trauer über den Tod ihres Sohnes Charlie in den schottischen Highlands entfliehen wollen, wo „ein Unbekannter“ auf sie wartet. Dieser „Unbekannte“ ist der böse Schokoladenhersteller Wonka, der in den Wänden lebt.

Es ist die neueste Horrorverfilmung eines Kinderbuchklassikers, aber nicht die einzige. In „Pu der Bär – Blut und Honig“ begibt sich A. A. Milnes Märchenbär auf einen Amoklauf. Ein kalter Winter im Hundertmorgenwald lässt Pu keine andere Wahl, als den Esel I-Aah zu kannibalisieren. Der Bär und das Ferkel metzeln dann noch eine Schar junger Frauen nieder.

Bambi, der Disney-Zeichentrickklassiker über ein junges Rehkitz, dessen Mutter ermordet wird, hat schon viele Kinder traumatisiert. Jetzt haben die Filmemacher in einem düsteren Remake mit Bambi als „bösartige Tötungsmaschine“ die Eltern im Visier. „Bereitet euch auf Bambi mit Tollwut vor“, rät der Filmverleih.

Auch Peter Pan („Peter Pans Nimmerland-Albtraum“), Pinocchio („Unstrung“) und Micky Maus („Mickey’s Mouse Trap“) werden zu Bösewichtern in Horrorstreifen, deren Ziel es laut Produzenten ist, „jedermanns Kindheit zu ruinieren“.

Es gibt viele Möglichkeiten. „101 Dalmatiner“ zum Beispiel, der 1961 unter dem Titel „Pongo und Perdita“ in die Kinos kam, muss kein Happy End haben. Stattdessen könnte Cruella De Vil am Ende ihren Mantel aus Dalmatinerfell bekommen, während Pongo und Perdita von der Staupe dahingerafft werden.

Auch das Dschungelbuch verdient ein böses Ende. Im Original droht Mogli durch den fiesen Shir Khan Gefahr, aber er gelangt schließlich unversehrt in die Menschensiedlung.

In der Horrorversion könnten Mogli und Shir Khan unter einer Decke stecken und den Tieren des Dschungels eine Falle stellen, um sie an einen Zirkus in Moldawien zu verkaufen, wo der lustige Bär Balu dann täglich stundenlang tanzen und singen muss. Ich schreibe gerne die Drehbücher.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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