Innenministerin gegen Fußballfans: Auswärts bleibt man draußen

Niedersachsen will Fußball-Partien zwischen Hannover und Braunschweig ohne Auswärtsfans stattfinden lassen. Geht das? Neun Antworten auf neun Fragen.

Fanblock, in dem ein Bengalo gezündet wurde

Kein Derby zwischen Hannover und Braunschweig ohne Pyrotechnik: Da platzte der Innenministerin der Kragen Foto: Swen Pförtner/dpa

HAMBURG taz | Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) will, dass die Derbys künftig ohne Auswärtsfans stattfinden. Warum?

Die Spiele gelten wie viele andere Derbys ohnehin als Hochrisikospiele mit entsprechend großem Polizeiaufgebot. Bei den letzten beiden Aufeinandertreffen von Hannover 69 und Eintracht Braunschweig half das allerdings nur bedingt, vor allem auf den Auswärtsrängen blieb es nicht so ruhig wie gewünscht. Beim Hinspiel in Hannover flogen Feuerwerkskörper und Metallteile durchs Stadion, im Braunschweiger Block sogar ganze Sitzreihen. Die Innenministerin kochte angesichts dieser Szenen bereits im November vor Wut: „Mir ist beim Derby in Hannover der Kragen geplatzt“, sagte sie.

Das Rückspiel vor zwei Wochen war zwar deutlich friedlicher, doch für Behrens noch immer nicht zufriedenstellend: Der Einsatz großer Mengen Pyrotechnik auf beiden Seiten verletzte einige unbeteiligte Zu­schaue­r:in­nen und Ordner:innen. Die Logik von Behrens Forderung: Sind nur Gleichgesinnte vor Ort, bleibt alles friedlich.

Keine Auswärtsfans in Stadien – ist das wirklich so dramatisch?

Es wäre jedenfalls eine Zäsur im deutschen Fußball. An dieser Selbstverständlichkeit zu rütteln, hat sich außer Behrens bislang noch niemand derart vehement getraut. In anderen europäischen Ländern und bei internationalen Wettbewerben gibt es solche Entscheidungen auch nur sehr selten.

Kontrollieren die Vereine am Einlass einfach nicht gut genug, um Pyrotechnik aus dem Stadion zu halten?

Vor allem Auswärtsfans werden in der Regel intensiv am Eingang gefilzt, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Versteckt werden können sie etwa in der Unterhose oder in Fahnenhaltern. Mitunter sind sie schon einige Tage vor dem Spiel heimlich deponiert worden.

Pyrotechnik auf den Tribünen – ist das so schlimm?

Da gehen die Meinungen auseinander. Einerseits: Bengalos brennen mit hoher Temperatur, Böller sind ziemlich laut, und wenn die Dinger in andere Blöcke oder aufs Spielfeld fliegen, geht das nicht immer glimpflich aus. Andererseits: Auf rund 13 Millionen Zu­schaue­r:in­nen in der Bundesliga-Saison 2022/2023 kamen rund 400 Verletzte. Fußballspiele gehören damit weiter zu den sichersten Großveranstaltungen – trotz Pyrotechnik. Die sorgt außerdem für eine besondere Atmosphäre, liefert schöne Bilder.

Ein Weg, den Widerspruch zwischen Sicherheit und Fankultur aufzulösen, ist bislang nicht gefunden worden. Ideen gibt es aber: Der Hamburger SV etwa hat vorgeschlagen, Pyrotechnik teilweise zu erlauben – unter besonderen Bedingungen: mit Sicherheitsabständen, unter Brandschutzauflagen und vor allem mit wissenschaftlicher Begleitung, die mögliche Gefahren für andere Stadionbesucher wie eine Rauchgasatmung untersucht. Doch die Fronten, die quer durch die Vereine und den Verband, durch die Fanszenen und die Politik verlaufen, sind immer noch verhärtet.

Kann die Innenministerin einfach beschließen, dass bei künftigen Derbys keine Gästefans anwesend sind, oder ist das nur heiße Luft?

Behrens hat das als „deutliche Bitte an die Vereine“ formuliert. Sollten sich die Clubs dem widersetzen, würden sie aber im Zweifel keine Genehmigung nach der Versammlungsstättenverordnung erhalten und das Spiel müsste ausfallen – Behrens kann das letztlich also auch einfach anordnen.

Wollen die Vereine die Bitte der Ministerin denn umsetzen?

Die reagierten ziemlich zurückhaltend. „Wir nehmen den Wunsch von Frau Ministerin Behrens sehr ernst, die kommenden zwei Derbys ohne Gästefans austragen zu lassen“, sagte etwa Eintracht Braunschweigs Präsidentin Nicole Kumpis. Ein Versprechen klingt anders. Martin Kind, Geschäftsführer Hannover 96, spielte den Ball direkt an den Verband weiter, sich in die Diskussion einzumischen. „Es reicht mit Blick auf die Gesamtentwicklung nicht, dass es nur Maßnahmen in Braunschweig und Hannover gibt“, sagte er.

Also steht ein Streit zwischen Clubs und der Politik darüber an?

Kaum ein Verein hat Lust auf eine Konfrontation mit der jeweiligen Landesregierung. Die Bundesländer übernehmen bislang die Kosten für die Großeinsätze der Polizei – mit Ausnahme von Bremen, das die Mehrkosten für Polizeieinsätze teils den Organisatoren der Spiele in Rechnung stellt. Längst gibt es Diskussionen, den Profifußball, also die Deutsche Fußball-Liga, an den Kosten zu beteiligen. Diese Debatte könnte bald an Dynamik aufnehmen, denn seit vergangenem Donnerstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Frage, wer Polizeieinsätze bei Fußballspielen zahlt. Sollte das Gericht Bremen recht geben, drohen den Vereinen mitunter Gebührenbescheide über mehrere Hunderttausend Euro pro Hochrisikospiel – dagegen ist ein leerer Gästeblock finanziell leicht zu verschmerzen.

Was sagen die Fans zum Vorschlag der Innenministerin?

Fans sind keine homogene Masse, was sich schon an der üblichen Aufteilung der Stadionblöcke zeigt: Da gibt es etwa den Familienblock, die VIP-Tribüne, und die Ultras haben ihre Stehplatz-Bereiche. Aber aus Sicht der organisierten Fans ist der Vorschlag inakzeptabel und populistisch, besonders weil es sich dabei um eine Kollektivstrafe handelt – eine große Masse wird dann für das Fehlverhalten einiger weniger Fans bestraft. „Niemand würde bei der vorherrschenden Datenlage in anderen Bereichen beispielsweise ein Alkoholverbot auf Volksfesten oder ein Fahrverbot für Motorradfahrer fordern“, erklärte etwa die Fanhilfe Hannover.

Sollte es zu einem Verbot kommen: Können sich die auswärtigen Fans dann nicht einfach Tickets für andere Blöcke besorgen?

Das ließe sich relativ einfach verhindern: Die Heimvereine lassen zum Beispiel nur ihre Mitglieder Karten für das jeweilige Spiel kaufen. Wer es doch irgendwie ins Stadion schafft, wird sich aber inmitten gegnerischer Fans wohl eher unauffällig verhalten wollen.

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