Argwohn gegen die Willkommenskultur: Deutsch sein ohne Schuld

Die Medien misstrauen dem freundlichen Gesicht der Deutschen. Stattdessen herrschen antideutsche Reflexe vor. Doch treffen sie zu?

Der Organist Taylor Cameron Carpenter beim Benefizkonzert „Refugees Welcome?“ vor dem Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt. Foto: ap

Die Vertreter der langweiligen Querdenkerthese, dass in Deutschland die „Gutmenschen“ das Sagen hätten, dürfen sich nun endlich final bestätigt fühlen, denn Deutschlands oberster „Gutmensch“ ist die Kanzlerin selbst. Der offene Brandbrief von 34 CDU-Männern an Merkel ist nicht zuletzt ein Dokument der Angst vor einer moralisch begründeten Politik.

Doch auch in den Feuilletons „kippt die Stimmung“ wie die Formel des Augenblicks lautet, und die „Willkommenskultur“ gerät immer mehr unter Druck. In der aktuellen Zeit bringt Adam Soboczynski die neue deutsche Härte auf den Punkt, wenn er die „naive Menschlichkeit“ und die „rückhaltlose Begrüßung des Fremden“ beklagt.

Auch viele Linke hegen schon lange Argwohn gegen die massenhafte Solidarität mit Flüchtlingen. „Das Stück heißt: ‚Willkommenskultur‘ “, schreibt Georg Seeßlen in der aktuellen Konkret-Ausgabe in einem Bericht vom Münchner Hauptbahnhof. Und weiter: „Es ist offenbar mehr Selbsttherapie im Spiel als ernsthafte Zuwendung, und die mediale Verstärkung des Gefühlsrausches spielt dabei eine wichtige Rolle.“

Narzisstisches Mitgefühl

Mit anderen Worten: Was sich als Mitgefühl und Hilfsbereitschaft ausgibt, ist nichts anderes als narzisstische Selbstliebe; die Helfer wollen von ihrer eigenen Rührung gerührt sein. Es kommt einem so vor, als hätten die diversen Kritiker der Willkommenskultur Friedrich Nietzsches „Schule des Verdachts“ besucht. Deren Leitspruch – nachzulesen in „Jenseits von Gut und Böse“ – lautet: „Die Moralen sind auch nur eine Zeichensprache der Affekte.“

Fleißig machen die Vulgär-Nietzscheaner ihre Hausaufgaben und suchen nach den Wünschen und Trieben hinter dem „Berg der Moral“ (Necla Kelek vorletztes Wochenende in der NZZ). Georg Seeßlen hat dabei den üblichen Verdacht der Antideutschen zu Papier gebracht, dass in allem der Wunsch nach Entlastung stecke: „Ja, so hätten wir es gerne. In diesen Bildern könnte sich Deutschland, so sagt man, ‚neu erfinden‘. Als ein Land, das aus der Geschichte gelernt hat. Das seine Schuld beglichen wissen will.“ Nina Pauer konstatiert – auch in der aktuellen Zeit – einen „reinigenden Mitleidsexzess“. Der Deutsche will sauber sein.

Den Helfenden, so die Unterstellung, geht es also nicht um die Geflüchteten, sondern um sich selbst und noch mehr um die selbstbewusste Nation. Der helfende Deutsche ist nie uneigennützig, selbst die Flüchtlingssolidarität ist eine perfide Strategie, um die Schoah endlich loswerden zu können.

Völkisch programmiert

Dieser Antideutschismus ist essentialistischer als jeder Leitkulturappell, behauptet er doch, dass der Deutsche völkisch programmiert ist und gar nicht anders kann, als als Deutscher zu handeln. Und der größte Wunsch des Deutschen heißt: Endlich ohne Schuld sein! Ob das eigentlich für jüdische Deutsche, syrischstämmige Deutsche und all die „neuen Deutschen“ genauso gelten soll?

Dieses Rumdoktern an der Volksseele bestätigt die „Selbstbezogenheit“, die Philipp Ruch vom „Zentrum für politische Schönheit“ in der aktuellen Ausgabe des Kursbuchs (Titelthema: Wohin flüchten?) an der Flüchtlingsdebatte kritisiert. Tatsächlich kommen die Flüchtlinge und ihre Wünsche und Träume nicht vor, wenn das deutsche Wesen auf die Couch gelegt wird. Die Narzissmuskritiker sind nicht weniger narzisstisch als ihre Gegner. Den Hilfsbedürftigen dürfte es dagegen ziemlich egal sein, welche versteckten Affekte im Akt der Hilfe am Werk sind.

Auch ich bin einst strebsam in Nietzsches Schule des Verdachts gegangen und erkläre mir die Inflation des Argwohns durch eine Ideologie der Eigentlichkeit. Für deren Vertreter zählen nur die Werte tief drinnen, die freundliche „Willkommenskultur“ ist wie jeder inszenierte „Event“ zu verachten. Von diesem bedrückenden Hass auf die Oberfläche ist nicht allein „der letzte Deutsche“, Botho Strauß, getrieben.

Maske hinter der Maske

Aber Nietzsche wusste es damals besser als seine Adepten. Für ihn zeigte sich „hinter jeder Maske immer nur eine weitere Maske“, weshalb jede Suche nach dem authentischen Kern ins Leere laufen muss.

Wenn jetzt Grenzwächter und besorgte Bürger die Oberhand gewinnen und genervte Flüchtlinge medial interessanter als ertrinkende Flüchtlinge sind, dann hat das nichts damit zu tun, dass die Maske fällt und Deutschland sein „wahres Gesicht“ zeigt. Hinter der Maske kommt kein völkisches Gemüt zum Vorschein, sondern der immer härtere Kampf um Hegemonie.

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Politikwissenschaftler, seit 2022 Referatsleiter im Leitungsstab der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Autor für verschiedene Publikationen. Er schrieb von 2009 bis 2016 die monatliche taz-Kolumne "Bestellen und Versenden", seither freier taz-Autor. Themen: Popmusik, Theorie, Ideologiekritik.

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