Arte-Doku über Filmgeschichte: Traumfabrik mit Thermoskanne

100 Jahre "Unser Hollywood - Kino aus Babelsberg" auf Arte: Filmausschnitte, Zeitzeugen – und alles chronologisch. Das ist etwas bieder, aber nicht schlecht.

Traumfabrik Babelsberg: Das Studiogelände in Morgenstimmung. Bild: RBB/Finkernagel&Lück

Der große deutsche Filmregisseur Volker Schlöndorff ist stolz auf seinen großen Jaguar, den ihm der große Schweizer Schriftsteller Max Frisch vermacht hat. Für Fernsehinterviews, die Schlöndorff gerne gibt, fährt er gerne mit besagtem Automobil vor und gerne auch groß ins Bild.

Das ist ein Bild, das die Fernsehjournalisten gerne annehmen. Sie machen ja kein Kino, ihre Auswahl an Requisiten ist beschränkt. Da ist man natürlich dankbar, wenn die Interviewpartner selber was mitbringen.

So auch Henry Hübchen: "Hier! Ick habs mitjebracht, Leute!" Ein großes rotes Buch: "Das große Lexikon der DEFA-Spielfilme". Wolfgang Koolhaase hat nichts dabei und sitzt deshalb etwas trostlos vor einem Kaffeebecher und einer Thermoskanne, die ihm als Requisiten auf einen Tisch gestellt wurden, der einzig und allein für das Interview in die Babelsberger Filmlandschaft gestellt wurde.

Die funktionalen Hallen haben ästhetisch nicht viel zu bieten, weder von außen noch von innen. Auch Tom Tykwer stellt das ein bisschen mitleidig fest, die große Geschichte ist der Architektur nicht unbedingt anzusehen.

Und an der Größe der Geschichte kann kein Zweifel bestehen, denn: "Nirgendwo sonst hat das Kino so viele Brüche überstanden. Vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, die Nazizeit bis zur DDR und zum wiedervereinigten Deutschland. Babelsberg – eine deutsche Traumfabrik."

So tönt es resümierend aus dem Off, am Ende von Alexander Lücks und Daniel Finkernagels Film über "Unser Hollywood". Den Filmtitel hat ihnen freundlicherweise Michael Gwisdek geschenkt: "Für mich war ja Babelsberg nich Babelsberg, sondern für mich war Babelsberg Hollywood."

Und weil unser Hollywood in diesen Tagen seinen hundertsten Geburtstag begeht, sind die Lobhudeleien, die zu lesen sind, Legion. Dabei sagt ein Blick bekanntlich mehr als tausend Worte. Also reihen Lück und Finkernagel akribisch Filmausschnitt an Filmausschnitt, von Urban Gnads "Engelein" aus dem Jahr 1914 bis zu Roland Emmerichs "Anonymous" vom Vorjahr. Sie machen die Wahl ihres Filmtitels plausibel.

So gut oder schlecht, wie der Begriff Hollywood als Synonym für das amerikanische Filmschaffen taugt, taugt auch Babelsberg für das deutsche – wenn man die Chuzpe hat, die nicht ganz bedeutungslosen Jahre in der BRD bis zur Wiedervereinigung mal auszuklammern.

Deutsche Filmgeschichte

Wie aber ein richtig guter, sinnlicher, packender, lustiger Film über die deutsche Filmgeschichte aussehen kann, was für Möglichkeiten es da gibt, zeigten 2008 Hans Helmut Prinzler und Michael Althen, der im vergangenen Jahr gestorbene FAZ-Filmkritiker, mit "Auge in Auge". Zum Beispiel mit der typologischen Montage von Filmschnipseln nur mit Zigarettenrauchern oder klingelnden Telefonen. Brennglasmomente waren das.

Von solcher Virtuosität sind Lück und Finkernagel Lichtjahre entfernt. Immer schön chronologisch zeigen sie ihre Filmausschnitte und lassen die historischen Begebenheiten von den genannten und weiteren Zeitzeugen kommentieren. Ein bisschen bieder ist das, aber auch nicht schlecht. Sie machen ja kein Kino. Sie erzählen nur davon.

Dass übrigens die Größen des DDR-Staatsfilmunternehmens Defa so überproportional vertreten sind, hat gewiss mit der menschlichen Lebensspanne zu tun und damit, dass Interviews mit Tarantino oder Polanski, die in den vergangenen Jahren in Babelsberg gedreht haben, nicht so leicht zu bekommen sind. Anders als Interviews mit Volker Schlöndorff.

Der ist nicht nur ein großer deutscher Regisseur mit großem Auto, sondern war in den Jahren nach 1989 auch einmal Geschäftsführer in Babelsberg. Die (Ex-)Defa-Leute sind damals mit ihm so überhaupt nicht warm geworden und er nicht mit ihnen. Babelsberg hat auch diesen Bruch überstanden.

21.50 Uhr, Arte

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