„B.Z.“-Chefredakteurin über Boulevard: „Auch ohne Haudraufmentalität“

Haltung sei wichtig, weniger die politische Richtung, findet Miriam Krekel, die neue „B.Z.“-Chefredakteurin. Ein Gespräch über Inhalte, Klischees und Chancen.

Fing als Polizeireporterin an: Melanie Krekel Foto: Stefanie Herbst

taz.am wochenende: Frau Krekel, Sie sind Chefredakteurin der B.Z., einer Boulevardzeitung, die zuletzt öfter mit linken Themen aufgefallen ist – feministisch, antirassistisch, pro Homo. Der Springer-Verlag gilt als konservativ. Wie passt das zusammen?

Miriam Krekel: Was Sie ansprechen, sind keine rein linken Themen mehr, Feminismus und Antirassismus sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Eine breitere Masse identifiziert sich inzwischen damit. Berlin ist ohnehin eine liberale Stadt. Grundsätzlich entsteht unsere Themenauswahl aus einer blattmacherischen Logik, indem wir uns über konkrete Themen unterhalten und weniger über politische Ausrichtungen.

Die B.Z. wird also auch unter Ihnen keine linke Zeitung?

Nein. Es gibt auch überhaupt keinen Grund, sich in eine politische Richtung zu orientieren. Man kann Haltung zeigen oder Meinungen stark machen, ohne dass man sich als explizit rechts oder links begreift.

Boulevard simplifiziert und emotionalisiert. Nach der Kölner Silvesternacht aber hat die B.Z. die Aufregung kritisch hinterfragt. Das kann die B.Z. ihren LeserInnen zumuten?

Emotionen wecken wir alle. Dass aber Fakten und deren Überprüfung wichtiger denn je sind – das wird bei Bild im Übrigen genauso gesehen –, gehört zur aktuellen politischen Debatte. Je mehr Angriffsfläche wir durch Falschnachrichten bieten, desto weniger erreichen wir das Ziel, extremen Lagern entgegenzuwirken.

Das zeigt auch die Bild-Geschichte über den Sexmob in Frankfurt, die offenbar unsauber recherchiert war. Wo sehen Sie ethische und qualitative Grenzen des Boulevards?

Wenn Fehler passieren, stehen wir dazu. Bild hat sich für diesen Fall entschuldigt. Dabei hat jede journalistische Marke ihren eigenen Weg, um Qualität sicherzustellen und mit den Lesern in Austausch zu treten. So hat Bild kürzlich mit Ernst Elitz in der Position des Ombudsmannes einen Ansprechpartner geschaffen, den Leser kontaktieren können, wenn sie ihre politische Ansicht oder eine Debatte falsch oder verzerrt dargestellt finden, Zweifel an Fakten oder Fragen zur Quellenlage haben.

Im Kern geht es doch um die Frage: Wie sehr vertrauen uns die Leser, in komplizierten Zeiten zu informieren. Dabei müssen wir uns auf unsere Quellenlage verlassen und auf unsere Reporter, die mit Sorgfalt an Geschichten herangehen und auch mit einem ethischen Kompass.

Die Frau: Anfang Februar wurde die 39-Jährige Chefredakteurin bei der B.Z. Diese Woche ist sie in Mutterschutz gegangen.

Die Zeitung: Gegründet wurde die B.Z. 1871, heute ist sie auflagenstärkste Lokalzeitung Berlins. Sie gehört einem Tochterunternehmen des Springer-Verlags.

Worin besteht der? Nach schlimmen Ereignissen lässt der Boulevard Menschen – überspitzt gesagt – einmal ins Blatt weinen. Sogenanntes Witwenschütteln.

Na, jetzt schütteln Sie aber gerade mich mit alten Klischees. Der Boulevard hat sich insgesamt sehr gewandelt. Ich habe als Polizeireporterin angefangen und hatte schon damals oft mit Menschen zu tun, die schlimme Dinge erlebt haben. Wenn jemand bereit ist, seine Geschichte zu erzählen, wenn ihm möglicherweise sogar daran gelegen ist, sie zu erzählen, dann bringen wir diese Geschichten. Von unserer Redaktion wird niemand jemanden nötigen, etwas zu tun, das er nicht will.

Im Fall des Politikers Claus-Brunner, der sich und einen Kollegen getötet hatte, hat die B.Z. suggeriert, dass es zu sexuellem Missbrauch gekommen sei – eine Behauptung, die die Staatsanwaltschaft umgehend dementierte. Ist da keine Grenze überschritten?

Das war eine typische Geschichte, wie sich eine Berichterstattung unnötig überschlagen kann. Zuerst haben sich alle Medien und Politiker betroffen gezeigt, bis plötzlich der ganze tragische Umfang dieses schrecklichen Ereignisses bekannt wurde. Entsprechend schnell entwickelten sich vor dem Hintergrund der Szene des Täters in diesem Fall leider auch die Spekulationen. Insbesondere im Hinblick auf das Opfer würden wir heute vorsichtiger darüber berichten.

Was macht kritischen Boulevardjournalismus aus?

Man kann Boulevard auch ohne Haudraufmentalität machen. Und man sollte dem Leser auch zutrauen, Dinge zu verstehen, die nicht plakativ in drei Worten gesagt werden können. Zu unserer BER-Titelseite der vorletzten Woche schrieben uns auf Facebook Menschen, Lieschen Müller verstehe so etwas doch nicht. Ein anderer Nutzer reagierte darauf und schrieb den großartigen Satz: „Warum unterschätzen wir eigentlich alle immer Lieschen Müller.“ Das trifft’s. Was ich schlimm finde, ist, zu orakeln, wie der Leser gerne etwas hätte und wie wir es ihm aufbereiten sollten.

Die B.Z. hat in den letzten Jahrzehnten zwei Drittel ihrer Auflage eingebüßt. Soll die Auflage gehalten werden?

Ich nehme mir vor, mit der Art von Journalismus, wie wir ihn gerade betreiben, auch neue Leser zu gewinnen. Menschen, die sich sonst nicht als Boulevardleser oder jedenfalls nicht als B.Z.-Leser gesehen hätten und jetzt sagen: Den Titel finde ich so witzig oder berührend, den kaufe ich mir. Daher ist es in jedem Fall richtig, mal etwas anders zu machen.

Wer sollen diese neue LeserInnen sein?

Wir wollen gar nicht eine genaue Zielgruppe festlegen. Wir wollen einfach etwas merklich anders machen. Unerwarteter.

Bei der Wahl in den Niederlanden könnten die Rechtspopulisten um Geert Wilders stärkste Kraft werden. Für die taz.am wochenende vom 11./12. März hat unser Autor Wähler besucht und mit ihnen über ihre Hoffnungen gesprochen. Außerdem: Politiker fordern mehr Härte gegen Gefährder – Menschen, meist potenzielle Islamisten, die bisher keine Straftat begangen haben. Wer widerspricht noch? Und: Was Plastikpuppenbordelle mit Feminismus zu tun haben. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Wie soll denn „anders, neu, mutiger“ unter Miriam Krekel konkret aussehen?

Inhaltlich sind wir schon jetzt jeden Tag anders, neu und mutiger. In diesem Sinne möchte ich den Kurs von Peter Huth fortsetzen und weiterentwickeln.

Vier Wochen vor dem Mutterschutz Chefin werden ist ungewöhnlich. Wie haben Sie das praktisch geregelt?

Mein Stellvertreter Jorin Verges wird für die Redaktion da sein. Sicher werde ich mit ihm in Kontakt stehen. Zunächst muss ich sehen, was es für ein Kind wird. Mein erstes hat sehr schnell gut durchgeschlafen, in dem Fall könnte ich bald wieder einsteigen. Ich habe aber die Möglichkeit, selber zu entscheiden, in welchem Rahmen und Zeitraum ich das hinbekomme.

Was würden Sie einer Kollegin raten, die unsicher ist, ob sie sich um eine Führungsposition bewerben soll, weil sie bald eine Familie gründen möchte?

Wenn sie sich für die Familie und gegen eine Führungsposition entscheidet, dann ist das erst mal ihr gutes Recht. Ich würde aber immer sagen: Guck dir mich an, guck dir andere Kolleginnen an, bei denen es funktioniert hat – und vielleicht unterhalten wir uns dann noch mal darüber, wie es gehen kann. Ich glaube, dass inzwischen alles möglich ist. Und das sehe nicht nur ich, das sehen auch männliche Chefs bei Axel Springer so.

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