Bertelsmann-Studie: Kosten für Nachhilfe in Milliardenhöhe

Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung werden bis zu 1,5 Milliarden Euro jährlich für Nachhilfe ausgegeben. Die Schulen scheinen nicht alle Schüler angemessen fördern zu können.

Bis zu 80 Prozent der Nachhilfe wird privat organisiert. Bild: dpa

GÜTERSLOH/BIELEFELD dpa/taz | Die private Nachhilfe für Kinder und Jugendliche in Deutschland boomt: Rund 1,1 Millionen Schüler nehmen mittlerweile regelmäßig bezahlten Nachhilfeunterricht, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Studie der Bildungsforscher Klaus und Annemarie Klemm für die Bertelsmann Stiftung (Gütersloh). Das ist etwa jeder achte (12,2 Prozent) der insgesamt neun Millionen Schüler an allgemeinbildenden Schulen. Insgesamt geben Eltern nach der Studie jährlich zwischen 942 Millionen und knapp 1,5 Milliarden Euro dafür aus.

In der Primarstufe sind es im Schnitt sechs Prozent der Schüler, die Nachhilfe in Anspruch nehmen, während der Anteil in den Sekundarstufen I und II im Durchschnitt bei 15 Prozent liegt. In jedem fünften Fall erfolgt die Nachhilfe über kommerzielle Institute, die zweimal pro Woche 90 Minuten Nachhilfe anbieten. Private Angebote, welche die restlichen 80% des Nachhilfeunterrichts einnehmen, bemessen im Schnitt einmal 90 Minuten pro Woche.

Unterschiede im Bereich Preis/Leistung zwischen den beiden unterschiedlichen Formen sind laut den Berechnungen der Studie nicht abzulesen. Die Bertelsmann Stiftung geht davon aus, dass pro Nachhilfeschüler im Schnitt entweder 750 Euro im Jahr für private Nachhilfe oder 1.550 Euro für kommerzielle Institute ausgegeben werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass im Schnitt kommerzielle Angebote den doppelten Zeitrahmen umfassen und somit auf den Stundenlohn gerechnet beide fast gleichauf liegen.

Beachtet werden muss auch ein starkes Gefälle zwischen West und Ost. Die Chancenungerechtigkeit im deutschen Bildungssystem nehme tendenziell zu, warnte die Stiftung. Der Boom bei der privaten Nachhilfe wird die Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem nach Einschätzung der Lehrergewerkschaft GEW nochmals verstärken. "Das ist eine dramatische Entwicklung", sagte die stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Marianne Demmer.

Kinder aus benachteiligten Familien hätten es in Deutschland ohnehin schwerer in der Schule, sagte Demmer. Ihre Eltern könnten sie meist weniger unterstützen. Das gegliederte Schulsystem sorge zudem für eine frühe Selektion. "Die zunehmende Unterstützung durch das Elternhaus mit privater Nachhilfe, die vom Geld abhängt, verringert die Bildungsgerechtigkeit nochmals."

Die GEW-Vertreterin mahnte: "Die individuelle Förderung ist eigentlich die Aufgabe der Schulen." Die Kultusminister machten es sich einfach, wenn sie diese Aufgabe den Schulen zuweisen, sie aber gleichzeitig nicht mit den notwendigen personellen und materiellen Ressourcen ausstatten. "Individuelle Förderung kann man nur machen, wenn man zusätzliches Personal hat und die Lehrkräfte entsprechend ausgebildet sind", sagte die Gewerkschafterin.

Auch die Ganztagsschulen, die eigentlich dafür sorgen sollen, dass mehr Zeit für den einzelnen Schüler da ist, seien überfordert. "Die sogenannten Ganztagsschulen sind zum großen Teil keine echten Ganztagsschulen. Es sind eher Stätten der Betreuung, wo teilweise mit möglichst billigen Lösungen versucht wird, eine Betreuung sicherzustellen", kritisierte Demmer. "Das hat mit systematischer Förderung der Kinder, die es nötig hätten, nichts zu tun." Mit den Nachhilfeinstituten entstehe ein Parallelsystem zum öffentlichen Schulwesen. "Darum müsste die Schulaufsicht auch die Aufsicht über diese Nachhilfeeinrichtungen übernehmen."

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