Bewegungstermine in Berlin: Erinnern heißt immer noch kämpfen

Vor 85 Jahren wütete der Nazimob bei den Novemberpogromen, heute grassiert der Antisemitismus erneut. Deshalb am 9. November raus auf die Straße!

Ein Mann hält auf einer Kundgebung in Berlin-Neukölln im Jahr 2021 ein Schild mit der Aufschrift "Gegen jeden Antisemitismus" hoch. Darüber ist ein kleines Antifa-Logo zu sehen.

Ist so schwer zu kapieren, was das bedeutet? Foto: dpa | Jörg Carstensen

Die staatlich orchestrierte Pogromnacht am 9. November 1938 stellte einen Wendepunkt in der nationalsozialistischen Judenverfolgung dar: Aus einer Politik der systematischen Diskriminierung wurde eine Politik der Vernichtung. Unter der Führung der SA wurden unzählige Wohnungen und Geschäfte geplündert, Friedhöfe und Synagogen zerstört und in Brand gesetzt. Jüdische Menschen wurden durch die Straßen getrieben, sie wurden gedemütigt, geschlagen, vergewaltigt, getötet. In einer Nacht ermordeten die Nazibanden Hunderte Menschen.

In der antifaschistischen Linken sagt man an Tagen wie dem 9. November gerne Sätze wie „Erinnern heißt Kämpfen!“. Damit ist gemeint, dass es keine historisierte Erinnerungskultur geben darf, weil das Gedenken mit dem antifaschistischen Kampf heute verbunden werden muss. Und der bleibt bitter notwendig in einem Deutschland, in dem der Judenhass wieder grassiert, während die bürgerliche Mitte einen glühenden Nationalstolz aus ihrer Vergangenheitsbewältigung zieht.

Wie sehr sich die Deutschen inzwischen von aller Verantwortung befreit sehen, zeigt, dass es selbst der Freie Wähler-Chef Aiwanger wagt, das deutsche Antisemitismusproblem auf migrantisierte Menschen zu schieben. Ja, genau der Aiwanger, der einst Flugblätter besaß, auf den „Vaterlandsverrätern“ ein „Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz“ gewünscht wurde, verkündet heute ohne rot zu werden: Die Ausländer sind das Problem.

Erinnerungskultur als Nationalstolz

Und die Entgleisungen des Hubert Aiwanger stehen nicht alleine. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Max Mordhorst hat kürzlich völlig ungeniert zwischen „Deutschengrundrechten“ und „Jedermannsgrundrechten“ unterschieden und über ein „politisches Betätigungsverbot für Nicht-EU-Ausländer“ nachgedacht – im Namen des Kampfes gegen Antisemitismus. Im selben Atemzug fordert Ministerpräsident Söder (CSU) Ausbürgerungen von durch ihn migrantisierten Menschen, die er offenbar nicht wirklich als deutsch ansieht – womit er seinen völkischen Volksbegriff entblößt.

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Überraschen kann all das nicht. Die bürgerliche Gesellschaft war schon immer ein Chamäleon. Sie passt sich ihrer Umgebung an, ihre Po­li­ti­ke­r:in­nen sagen, was sie denken, was alle hören wollen, zumindest alle, die zählen. Und so reichen offenbar Umfragewerte von 20 Prozent für eine völkisch-nationalistische Partei, damit in Deutschland quer durch das Parteienspektrum (mit Ausnahme der Linkspartei) auf die Frage, was 85 Jahre nach den Novemberpogromen zu tun ist, der einhellige Chor ertönt: Abschieben, abschieben, abschieben!

In diesem Kontext muss der Satz des Schriftstellers und Holocaustüberlebenden Primo Levi eiskaltes Schauern auslösen: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ Dieser Satz ist auch das Motto der diesjährigen Demonstration des Antifaschistischen Bündnisses zum Gedenken an die Novemberpogrome, dem auch der VVN-BdA angehört. Auftakt ist am Donnerstag (9. 11.) um 18 Uhr am Mahnmal Levetzovstraße, von dort zieht die Demo zum Deportationsmahnmal an der Pulitzbrücke.

Gegen jeden Antisemitismus!

Völlig zu Recht rufen die Ver­an­stal­te­r:in­nen dazu auf, „jede Form des deutschen “Wirs“ anzugreifen“. Ihr Aufruf richtet sich aber auch gegen den Antisemitismus von Teilen der Linken, die sich ausgerechnet mit den Massakern der islamistischen Mörderbande Hamas solidarisieren – obwohl diese in ihrer genozidalen Absicht explizit auf den Holocaust Bezug nehmen.

Diese Liebäugelei mancher Antiimps mit Is­la­mis­t:in­nen ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht aller Jüdinnen und Juden weltweit, sondern auch in das all jener, die vor dem Islamismus nach Deutschland geflohen sind. Wenn kürzlich wie in Essen Is­la­mis­t:in­nen geschlechtergetrennt marschieren und das Kalifat fordern, muss ihnen der antifaschistische Kampf ebenso gelten, wie den deutschen Neonazis und Rassisten.

Es muss dieser Tage klar gesagt werden: Der Staat Israel bleibt als Rückzugsort und Sicherheitsgarant für Jüdinnen und Juden weltweit eine nicht zur Diskussion stehende antifaschistische Notwendigkeit – was aber wiederum keine Solidarität mit den Massakern der rechtsradikalen israelischen Regierung in Gaza voraussetzt. Denn genau diese unbeschränkte Solidarität ist ja der Kern der verdrehten Ideologie der deutschen Staatsräson, die versucht, sich durch eine Überidentifikation mit Israel von der Vergangenheit freizusprechen – wodurch dann der eigene Rassismus legitimiert wird.

Heraus zum 9. November!

Eine schöne Tradition für alle, die es ernst meinen mit der Verantwortung gegenüber der deutschen Nazigeschichte, ist das Stolpersteinputzen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Am 9. November finden solche Aktionen jeweils um 17 Uhr in Mitte, Steglitz und Zehlendorf statt – weitere Informationen gibt es hier. Ebenfalls am 9. November veranstaltet die Initiative “Wem gehört der Laskerkiez?“ eine ähnliche Aktion in Friedrichshain (18 Uhr, Treffpunkt Corinthstraße 50).

Um 15 Uhr rufen VVN-BdA und die North East Antifa auch dazu auf, vor den Toren des Jüdischen Friedhofs (Herbert-Baum-Straße 45) Blumen niederzulegen. Es wird auch Redebeiträge der antifaschistischen Organisationen geben.

Zeitgleich zur Demonstration in Moabit beginnt am Adenauerplatz um 18 Uhr ein Gedenkspaziergang der Feministischen Antifaschistischen Jugendorganisation Charlottenburg (F_AJOC). Das Motto: „In Gedenken an die Opfer führen wir den Kampf fort, bis der Faschismus in seinen Wurzeln vernichtet ist.“ Dieser Verweis auf den Schwur von Buchenwald ist schließlich ein wichtiger Hinweis darauf, dass der Faschismus letztlich nur über die Beseitigung der strukturellen Basis, die ihn ermöglicht, besiegt werden kann. Denn in Gaza wie in Deutschland gilt: Wer bessere Menschen will, muss für eine gerechtere Gesellschaft sorgen.

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