Bio aus der Region: Ostwestfalen-Lippe wagen

Fast jede zweite Biomöhre kommt aus den Niederlanden, Israel oder Italien. In Paderborn und Minden versucht man, das zu ändern.

Alles aus der Region? Wohl kaum. Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Am Anfang lässt sich am besten gleich ein Vorurteil ausräumen. Es heißt: Bioapfel und Biosteak aus der Region sind gut für das Klima. Denn diese werden nicht so weit transportiert, haben damit die perfekte CO2-Bilanz. Falsch. Der Gießener Professor Elmar Schlich hat mehrfach nachgerechnet. „Der Biosupermarkt bietet das ganze Jahr Äpfel an, aber es ist nicht immer Apfel-Saison“, sagt der Forscher.

Die heimischen Früchte müssten mit großem Aufwand gelagert und gekühlt werden. Sei in Neuseeland Saison trage die Ladung, die mit Schiff und Laster hergeholt wird, „vergleichsweise wenig zur Erderwärmung bei.“ Anders sehe das aus, wenn die Ware mit dem Flugzeug käme. Das sei aber selten.

Allein: Energie ist nicht alles. Knapp achtzig Prozent der Verbraucher geben in Umfragen an, sie wünschten sich Regionales im Bioregal. „Zumal“, erklärt Felix Prinz zu Löwenstein vom Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft, „die Ökopioniere von einst haben Öko nicht als lukrativen Markt verstanden. Sie wollten vor der Haustür eine andere Landwirtschaft, weil sie in Sorge um den Boden waren.“

Doch dieses Etikett ist der Bio-Branche verloren gegangen. Bio ist heute exotisch. Kaffee, Tee, und Kakao sowie Ananas, Kiwi und Zitronen kommen aus großer Ferne. Jede zweite Biomöhre stammt aus den Niederlanden, aus Israel oder aus Italien. Jede zweite Biogurke ist Importware. Genau wie acht von zehn Biotomaten. Frühkartoffeln kommen aus Ägypten oder Israel. Bioschweinefleisch und Bioeier stammen zu 20 Prozent aus dem Ausland. Mit ländlicher Idylle haben die Lieferungen von der anderen Seite der Erde nichts mehr zu tun. 

Mehr Auslauf, weniger Antibiotika

Der größte Biohof im australischen Outback soll 6,5 Millionen Hektar umfassen. Immerhin: Auch importierte Biowaren müssen die Anforderungen des EU-Öko-Siegels erfüllen. Das Öko-Schwein oder das Öko- Rind muss mehr Platz, mehr Auslauf, weniger Antibiotika bekommen als sein konventionelles Pendant. Und die Äpfel müssen ohne Spritzgifte, Gerste und Weizen ohne Kunstdünger gepäppelt werden. Das entlastet die Umwelt und vor allem das Grundwasser.

Hinter der Ware aus der Ferne steckt diese Entwicklung: Noch immer macht der Bio-Anteil am gesamten Lebensmittelumsatz zwar nur 3,9 Prozent aus. Im Jahr 2012 haben die Deutschen aber sieben Milliarden Euro für Bioessen und -getränke ausgegeben – und damit gut sechs Prozent mehr als im Jahr zuvor. Umetikettierte Bio-Lebensmittel aus Italien, Tierquälereien in einzelnen Biobetrieben und auch die Frage, ob Bio wirklich gesünder ist – all das hält die Verbraucher nicht ab.

Der Markt wächst von Jahr zu Jahr. Derweil hat der hiesige Ökoacker 2012 nur magere 2,7 Prozent im Vergleich zum Jahr zuvor zugenommen. Die 23.000 Bio-Höfe entsprechen gerade mal einem Anteil von acht Prozent an allen landwirtschaftlichen Betrieben. Die heimischen Bauern können den Bedarf nicht decken und klagen auch darüber, dass Energiemais die Pacht für Äcker verteure. Und der Großhandel speist sie gerne ab: Die Bauern müssen möglichst billig fette Mengen liefern – sonst platzt schnell mal der Vertrag.

Der Speiseplan der Kunden eintönig? Im Winter nur Kartoffeln, Kohl, Rote Bete? Der Lebensmittelhandel weiß sich anders zu helfen. Markus Rippin sagt es so: „Sobald die großen Händler einsteigen, haben wir ein Mengenproblem.“ Rippin hat das Marktforschungsinstitut Agro Milagro research in Bonn gegründet, seit Jahren erforscht er die Ökobranche weltweit. 

„Regionales ist ein Megatrend“

Kaum einer kennt sich in der Branche so gut mit den Zahlen und Daten aus wie er. Der grüne NRW-Landwirtschaftsminister Johannes Remmel hat ihm den Auftrag erteilt, in Detmold und Minden, in Paderborn und Höxter und rundherum mehr Bio aus der Region in die Geschäfte zu bringen. Ein Pilotprojekt.

Rippin hat in den letzten Monaten geredet und geredet. Mit Bauern. Mit den Chefs der Supermarktketten. Und hat Erfolg. Ein Bauer wird nun ein Gewächshaus bauen, die Energie dafür wird aus einer Biogasanlage des Nachbarn kommen. Und vor allem: Er hat Andreas Berg überzeugt, den Einkaufsleiter der Edeka-Regionalgesellschaft Minden/Hannover. In 100 Filialen, die Berg in Ostwestfalen-Lippe von seiner Zentrale aus beliefert, liegen seit Juli Zucchini, Kohl, Möhren, Zwiebeln, Sellerie von den Biobauern der Region.

Nächstes Jahr soll Obst hinzukommen. Fleisch auch. Er mache das, sagt Berg, „weil Regionales ein Megatrend ist.“ Wie teuer das wird? Zahlen nennt er nicht. Nur, dass er den Erzeugern erklärt habe, Edeka sei „nicht das große Monster“, sehe die „Bauern als Partner.“

Und dass ihm die Filialleiter nun sagen: „Toll, dass Sie sich um die Region kümmern“. Allerdings: Das Biogemüse mache nur einen Prozent seines Umsatzes aus. Klein. Fein. Regional. Noch. Wenn alles gut läuft, will Berg den Naheinkauf auf seine Filialen in Niedersachsen ausweiten. Ostwestfalen- Lippe könnte über die Region hinaus noch Mal berühmt werden.

Hanna Gersmann, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 1/2014.

Der Artikel kann gerne auf unserer Facebook Seite diskutiert werden.