Bombardierung des Gazastreifens: Was passiert in Rafah?

Bereitet Israels Armee eine Bodenoffensive vor? Könnte der Internationale Gerichtshof das verhindern? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Ein Lastwagen fährt beladen mit Matrazen auf denen ein Mann liegt inder Zeltstadt von Rafah

Nach ­israelischen Bombardierungen verlassen Menschen die Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen Foto: Yasser Qudih/dpa

Steht eine Großoffensive auf Rafah bevor?

Immer wieder hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in den vergangenen Tagen eine Offensive auf die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens angekündigt. „Militärischer Druck und harte Verhandlungen“ seien der Schlüssel zur Freilassung der noch immer mehr als einhundert Geiseln aus der Gewalt der Hamas, betonte er auch nach der Befreiung von zwei israelischen Zivilisten durch ein Sondereinsatzkommando. Wann und ob eine Bodenoffensive kommt, ist schwer abzusehen.

Der Analyst Anshel Pfeffer von der israelischen Tageszeitung Haaretz sieht kaum Anzeichen, dass eine Offensive direkt bevorsteht. Die Truppenpräsenz in Gaza sei aktuell auf dem niedrigsten Stand seit drei Monaten. Viele der einberufenen Reservisten seien wieder entlassen. Der Großteil der Kampfeinheiten in Gaza sei durch Kämpfe in Chan Junis gebunden. Auch Aufforderungen an die Zivilbevölkerung durch Flugblätter oder SMS, Rafah zu verlassen, gebe es bisher nicht.

Miri Eisin, Ex-Offizierin der israelischen Armee und Geheimdienstexpertin, sieht das anders: „Der Angriff muss nicht dem gleichen Ablauf folgen wie die Operationen in Gaza-Stadt oder Chan Junis.“ Sie ist sicher, dass die Angriffspläne ausgearbeitet sind und Einheiten für die Mission trainieren. „Die Frage ist, wann die Regierung die Entscheidung trifft, den Plan umzusetzen.“

Wohin sollen die Menschen fliehen?

Vor einer Offensive sollen Netanjahu zufolge alle Zivilisten Rafah verlassen können. Doch anders als vor den Offensiven auf Gaza-Stadt oder Chan Junis gibt es kaum noch Ausweichorte.

Rafah grenzt im Süden an Ägypten, das eine Flucht von Palästinensern auf sein Staatsgebiet entschieden ablehnt. Laut einem Bericht des Wall Street Journal soll es dennoch mit dem Bau eines ummauerten Auffanglagers auf der Sinai-Halbinsel begonnen haben.

Die israelische Regierung hat auf „geräumte Gebiete nördlich von Rafah“ als Zufluchtsort verwiesen und Zeltlager vorgeschlagen. Offen ist aber unter anderem, wie Hunderttausende Menschen auf den Brachflächen zwischen zwei Kampfgebieten versorgt werden sollen. Das UN-Nothilfebüro Ocha hat eine Beteiligung an Zwangsevakuierungen ausgeschlossen.

Kann ein Deal eine Bodenoffensive abwenden?

Im Laufe dieser Woche trafen sich Vermittler aus Katar und Ägypten sowie Vertreter Israels, der Hamas und der USA in Kairo. Doch die Verhandlungen kommen angesichts der Bedingungen beider Seiten nur schleppend voran. Am vergangenen Mittwoch sagte Netanjahu die weitere Teilnahme der israelischen Delegation ab und warf der Hamas „wahnhafte Forderungen“ vor. Allerdings habe er seine Entscheidung ohne Abstimmung mit dem Kriegskabinett und entgegen den Empfehlungen des Geheimdienstes getroffen, hieß es in israelischen Medien. Empört reagierten Angehörige der Geiseln. Sie warfen Netanjahu vor, die Entführten zu „opfern“.

Hinter Netanjahus Entscheidung steckt politisches Kalkül: Die Mehrheit der Israelis ist nicht bereit, den Krieg zu diesem Punkt zu beenden. Netanjahu adressiert mit seinem Taktieren um eine Teilnahme an Verhandlungen und mit seinen Ankündigungen zu Rafah auch an seine potenzielle Wählerschaft sowie seine rechtsextremen Koalitionspartner, die ihn unter Druck setzen. Seine Likud-Partei würde ak­tuel­len Umfragen zufolge die Hälfte ihrer Sitze verlieren.

Politikwissenschaftlerin Gayil Tal­shir von der Hebräischen Universität in Jerusalem sieht die Geiselverhandlungen als Zerreißprobe für den Likud. „Wir sehen bisher keine Bewegung weg von Netanjahu, weil seine Gegner in der Partei gespalten sind“, sagt sie. Doch eine weitere Ablehnung eines Gei­sel­deals könne Unzufriedenheit in der Partei schüren und Herausforderer vereinen.

Kann der Internationale Gerichtshof etwas bewirken?

Südafrika hat nach seiner Klage wegen Völkermords in Gaza im Januar angesichts des drohenden Angriffs auf Rafah nun erneut den Internationalen Gerichtshof (IGH) angerufen. Per Eilantrag soll er die angekündigte Militär­ope­ra­tion prüfen. „Der Antrag gibt dem Gericht die Möglichkeit, seinen Anordnungen vom 26. Januar nun stärkere Maßnahmen folgen zu lassen“, sagt Ahmed Abofoul, Experte für Internationales Recht bei der Menschenrechtsorganisation Al-Haq.

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Der IGH hatte im Januar die Klage Südafrikas wegen des Verdachts auf Völkermord angenommen, ohne in der Sache ein Urteil zu fällen, und Israel sechs einstweilige Maßnahmen auferlegt. Die Vorgaben sind indirekt auch für das weitere Vorgehen in Rafah relevant, da die Richter Israel zu besonderen Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung verpflichtet haben. Unter anderem muss es Tod und Zerstörung eindämmen, Aufrufe zu Völkermord, etwa von seinen Soldaten, verfolgen und bestrafen und eine ausreichende humanitäre Versorgung der Menschen in Gaza garantieren.

Möglich sei nun eine Feststellung des IGH, dass konkret ein Angriff auf Rafah ein Verstoß gegen die Maßnahmen wäre. „Vorstellbar ist auch, dass das Gericht Israel zur Teilnahme an Verhandlungen mit der Hamas verpflichtet oder dazu aufruft, Beobachter- und Untersuchungsmissionen in den Gazastreifen zu lassen, eine Maßnahme, auf die es im Januar verzichtet hat“, sagt Abofoul.

Ob Israel den bisherigen Auflagen des IGH nachgekommen ist, bezweifelt Yu­val Shany, Professor für Internationales Recht an der Hebräischen Universität in Jerusalem. „Die israelische Regierung sieht sich zwar zu humanitärer Hilfe verpflichtet, wir beobachten aber einzelne Minister, die andere Aussagen treffen oder diese Haltung untergraben.“

Finanzminister Smotrich hatte am Dienstag bestätigt, Mehllieferungen nach Gaza im Hafen von Aschdod zu blockieren. „Angesichts der Zustände im Norden des Gazastreifens könnte das den IGH-Vorgaben zuwiderlaufen.“ Mit Blick auf Rafah sagt Sha­ni: Eine Vertreibung von 1,5 Mil­lio­nen Menschen aus Rafah in Gebiete ohne jede Infrastruktur würde die Bereitstellung der nötigen humanitären Hilfe massiv erschweren.

Wie verhält sich die internationale Gemeinschaft?

Die Liste der Länder, die von Israel eine Absage der Bodenoffensive auf Rafah fordern, wird zunehmend länger. Auf ihr finden sich auch Verbündete wie die Vereinigten Staaten, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Kanada, Australien und Neuseeland. Ein niederländisches Gericht verpflichtete die Regierung in dieser Woche sogar, alle Lieferungen von Bauteilen für F-35-­Kampf­jets nach Israel einzustellen. Die Außenminister Spaniens und Italiens hatten bereits im Januar angekündigt, keine Waffen mehr an Israel zu verkaufen.

Israels wichtigste Waffenlieferanten dagegen, die USA und Deutschland, haben bisher keine derartigen Schritte erwogen. Im Gegenteil: Die deutschen Rüstungsexporte nach Israel stiegen 2023 massiv an. Der israelische Botschafter in den USA sagte dem israelischen Armeeradio kürzlich: „Die US-Regierung hat Fragen bezüglich der humanitären Seite des Kriegs, doch ich sehe keine US-Haltung, die darauf abzielt, uns zu stoppen.“

Hoffnungen für weitere Gespräche liegen nun auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz an diesem Wochenende. Neben Vertretern Is­raels und der Palästinenser werden dort auch führende Politiker aller im Nahostkonflikt relevanten Länder erwartet, darunter die Außenminister Saudi-Arabiens, Ägyptens, Katars, Jordaniens, der USA und Israels. „Wir haben alle Akteure hier“, sagte der Vorsitzende der Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, im Deutschlandfunk. Auf sie käme es jetzt an.

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