Britische Turner vor Olympia: Gewaltige Rolle vorwärts

Das britische Turnteam wurde lange belächelt. Für die Olympischen Spiele von London setzte die Förderung früh ein – mit Erfolg. Eine Medaille wäre keine Überraschung.

Spezialist am Pauschenpferd: Louis Smith Bild: dpa

Überraschungen sind selten im Turnen, Entwicklungen meist über die Jahre absehbar. So war es denn auch keine Überraschung, dass die britischen Turner nach der Qualifikation der Europameisterschaft in Montpellier ganz oben standen und beim heutigen Teamfinale gute Chancen auf eine Medaille haben.

„Ich sehe uns natürlich gerne dort oben“, sagt der Technische Direktor des britischen Männerturnens, Eddie van Hoof, und wirkt sehr entspannt. Die Spannung wird im Vorfeld der Olympischen Spiele zweifellos steigen, die Frage ist, wie groß der Druck wird.

„Wir haben alle Erwartungen bereits übererfüllt“, winkt van Hoof ab, die Qualifikation des Teams für die Heimspiele sei die einzige Vorgabe gewesen. „Alles, was in London passiert, ist Zugabe.“ Doch spätestens seit der souveränen Olympiaqualifikation des Teams um Kapitän Louis Smith im Januar werden die Briten gemeinsam mit den USA und Deutschland als Kandidaten für die olympische Bronzemedaille gehandelt.

Die jüngste Entwicklung des britischen Turnens ist beeindruckend und als solche dann doch eine Überraschung: Der letzte Auftritt bei Olympischen Spielen liegt 20 Jahre zurück, damals wurde man Zwölfter, das heißt Letzter. 2003 dann der Tiefpunkt mit Rang 23 bei der Weltmeisterschaft, woraufhin die Mittel für das Turnen komplett gestrichen wurden.

Erst ab 2006 gab es wieder Gelder

Erst mit dem Zuschlag für die Spiele in London gab es 2006 wieder Gelder. „Wir haben damals sofort entschieden, dass wir uns nicht nur um 2012 kümmern“, sagt van Hoof, selbst seit 2006 im Amt. Die Junioren des damaligen Teams sind heute die Stützen der Seniorenmannschaft, neben Louis Smith, Kristian Thomas und der Gesamtweltcupsieger von 2011 Daniel Purvis.

Das aktuelle Junioren-Team hat hier am Mittwoch zum dritten Mal in Folge den Europameistertitel gewonnen. Was sich in diesen sechs Jahren verändert hat, ist nach Smith, Jahrgang 1989 und damit fast der Älteste im Team, vor allem die Haltung. „Wir hatten uns einfach damit abgefunden, eben nicht wirklich gut turnen zu können, wir trauten uns selbst nichts zu.“

Das sei heute anders. Nicht zuletzt die Bronzemedaille, die er am Pauschenpferd bei den Spielen in Peking holze, ist für alle Beteiligten dann Anzeichen und Antrieb gewesen, dass man es vielleicht doch könne. Hundert Jahre lang hatte das britische Turnen zuvor keine olympische Einzelmedaille gewonnen.

Van Hoof investierte primär in gemeinsame Trainingslager und in die Trainerausbildung. „Die Fortschritte sind viel schneller gekommen, als wir erwartet haben“, sagt er heute. Das Team, auch das der Trainer, arbeitet konstant zusammen, die Begeisterung sei bei allen enorm. Ende Juni wird entschieden, wer in London mitturnen darf.

„Der Druck ist enorm“

Sieben Turner stehen zur Auswahl, fünf Plätze gibt es. „Wir machen das sehr demokratisch, alle Heim- und Verbandstrainer sitzen zusammen und diskutierten“, sagt Hoof, selbst Olympiateilnehmer 1984, „und am Ende entscheide ich.“ Für den Pauschenpferd-Spezialisten Louis Smith sieht es gut aus, in Montpellier zeigte er mit einem Ausgangswert von 6,9 Punkten die schwierigste Übung und qualifizierte sich mit der höchsten Wertung für das Finale am Sonntag.

In der britischen Öffentlichkeit ist er das Gesicht der Turner, gleich neun Sponsoren, darunter BMW und Adidas, sorgen momentan für sein Auskommen. „Der Druck ist enorm, die Erwartungen sind groß, aber wenn ich da unten stehe, dann denke ich nicht daran, dann macht es einfach Spaß“, sagt Smith.

Eddie van Hoof mag keine Prognosen formulieren, „eine Medaille würde schon helfen, zwei würden sehr helfen,“ sagt er mit Blick auf die weitere Finanzierung des Turnprogramms im Verband. Neben dem Team und Louis Smith ist mit Daniel Purvis auch ein Medaillenkandidat im Mehrkampf im Aufgebot.

Da der Medienrummel zu Hause stetig lauter wird, fliehen die Briten kurz vor den Spielen zum Training ins französische Arques und beziehen das olympische Dorf erst zwei Tage vor dem Podiumtraining. Eine olympische Medaille wäre keine große Überraschung.

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