Buch über Körperbehaarung: Vom Wachsen und Waxen

Glatte Achseln oder Stoppeln? Das entscheiden wir nicht frei, so Franziska Setare Koohestani in „Hairy Queen. Warum Körperbehaarung politisch ist“.

die Augen der Autorin Franziska Setare Koohestani

Autorin Franziska Setare Koohestani: Verurteile niemanden fürs Entfernen oder Lassen von Oberlippenbart, Beinhaaren oder Monobraue Foto: Tizian Stromp Zargari

BERLIN taz | Es war 2011, der rosa-cremefarbene Gillette-Rasierer und ich wollten beim Volleyball in der Schule mit glatten Achseln überzeugen. Den Rasierer tauschte ich vor ein paar Jahren gegen eine „ökologischere“ Alternative aus, Schulsport gehört zum Glück auch der Vergangenheit an, doch meine glatten Achseln sind geblieben. Warum? Ich bilde mir ein, dass es hygenischer ist.

Mit meinem regelmäßigem Griff zum Rasierer bin ich nicht allein. Laut einer Studie aus dem Jahr 2019 rasieren sich 41 Prozent der Männer und 69 Prozent der Frauen, vor allem die jungen. Aber müssten wir nicht längst aufhören, immer wieder Zeit Geld und Schmerzen für Haarentfernung opfern?

Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.

Doch so einfach funktioniert es nicht, denn hinter der Entscheidung, wie, wo und wann Haare wachsen oder entfernt werden, steckt mehr. So schreibt Franziska Setare Koohestani in „Hairy Queen. Warum Körperbehaarung politisch ist“: „Über meinen Körper und seine Gestaltung entscheide in letzter Instanz vielleicht ich. Aber zu dieser Entscheidung komme ich ganz sicher nicht allein.“

Welche wissenschaftlichen, philosophischen und gesellschaftlichen Aspekte beim Thema Körperbehaarung alles eine Rolle spielen, beleuchtet sie auf 250 Seiten und verbindet sie mit Anekdoten als Women of Colour mit starker Körperbehaarung, die sie lange gehasst hat. Sie erzählt von ersten Bleichversuchen ihrer Oberlippenbehaarung, schmerzhaften Epilierereinsätzen und Hänseleien als stärker behaartes Kind. Heute lacht sie über ihr früheres Ich. Doch ohne ihre Entscheidungen von früher abzuwerten, versucht sie nun anders damit umzugehen. Die 28-Jährige bezeichnet sich selbstbestimmt als „Hairy Queen“.

Der kapitalistische Blick auf den Körper

Das Buch dröselt auf, wie die Aufklärung den Menschen die Verantwortung für den eigenen Körper zusprach und somit den Blick für die äußeren Verfehlungen, etwa zu haarige Beine, schärfte. „Wir beobachten, urteilen, strafen einander, wenn jemand von Normen abweicht. Sogar uns selbst. Insbesondere uns selbst.“

Koohestani zeigt die Mechanismen des kapitalistischen Blicks auf unsere Körper auf, die uns immer weiter in die Selbst­optimierung treiben, und erklärt, wie Werbung mit Slogans wie „Ich steh mit beiden Beinen im Leben, deshalb kann ich kein Stoppelfell gebrauchen“ uns zur Haarlosigkeit drängt.

Wer mit den Grundlagen von rassistischer, sexistischer und kapitalistischer Kritik nicht so vertraut ist, fühlt sich von den langen theo­retischen Passagen des Buches vielleicht überfordert. Gleichzeitig wird der Text immer dann besonders interessant, wenn Koohes­tani über den eigenen Tellerrand schaut.

Wenn sie schaut, wie unterschiedlich die Bedeutung eines Barts sein kann. Der syrische Autor Hamed Abboud beispielsweise stutzt sich vor jeder Reise und Amtsbesuchen den Bart, um nicht diskriminiert zu werden. Für Linus Giese, ein weißer trans Mann, bedeutet der Bart hingegen Sicherheit, da er dadurch eher als cis Mann wahrgenommen wird.

Verurteile niemanden!

Die Reise durch die Geschichte der Behaarung kommt am Ende zu einem einfachen, aber wichtigen Schluss. Ähnlich wie in Mosthari Hilals „Hässlichkeit“ geht es nicht darum, die eigenen Körperhaare lieben zu lernen. Die Autorinnen wollen keine Ak­ti­vis­tin­nen der Selbstliebe sein, sondern ihren eigenen Weg bis zu einer möglichen Akzeptanz des Ist-Zustandes dokumentieren.

Sich persönlichen und strukturellen Zwängen zu entziehen und seine Haare sprießen zu lassen, ist okay. Aber es gibt „ebenso tiefgründige, nachvollziehbare Gründe dafür, warum Menschen sie gestalten, trimmen, bleichen oder entfernen“.

Daher gibt Koohestani ihren Le­se­r*in­nen klare Handlungsempfehlungen mit auf den Weg. Verurteile niemanden für das Fehlen oder das Existieren von Oberlippenbart, Beinhaaren oder Monobraue. Und für die Leute, die von „Hairy Queen“ zur „Hairy Icon“ aufsteigen wollen, gibt’s folgenden Tipp: „Ich möchte für mehr strassbesetzte Monobrauen plädieren, für ornamental gegelte Arm- oder Brustbehaarung, für lila gefärbte Achselhaare oder Rasurmusterungen – egal wo am Körper, egal ob langfristig oder einmalig. Ich plädiere fürs Ausprobieren, für Variation, für Ausdruck.“

Um auch mir den Weg zur „Hairy Icon“ zu öffnen: Achselhaare sind gar nicht so unhygenisch, wie ich dachte, erklärt Koohestani. Vielleicht verabschiede ich mich bald von meinem Rasierer. Und wenn nicht, ist das auch okay.

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