Cannabis-Branche in den USA: Grüner Goldrausch im Wilden Westen

In vielen Bundesstaaten der USA ist Cannabis schon länger legal, so auch in New Mexico. Ein Besuch dort, wo man Gras im Shop nebenan kaufen kann.

Ein junger Mann steht lächelnd mit blauen Gummihandschuhen hinter einem Regal, auf dem Behältner mit verschiedenen Sorten von Cannabis stehen.

Mehr Auswahl als bei Äpfeln in deutschen Supermärkten

Mit dem Kiffen habe er während seines Studiums in Florida angefangen, erzählt Johnathan Bodycombe. „Man musste sich irgendwo mit einem Dealer treffen und wusste nicht, was man da überhaupt bekam. Es gab weder Informationen über den THC-Gehalt noch über die Sorte oder wo sie herkommt.“

Solche Probleme als Konsument hat Bodycombe heute nicht mehr. Der junge Mann lebt im US-Bundesstaat New Mexico, in dem das Nutzen von Cannabisprodukten seit fast genau zwei Jahren legal ist. Bodycombe arbeitet bei Best Daze, einer sogenannten Dispensary – auf Deutsch: Arzneiausgabe –, in einer Vorstadt von Santa Fe. Der pharmakologische Name der Cannabis-Geschäfte geht auf die Jahre zurück, in denen die Pflanze nur für medizinische Nutzer zugelassen war.

Wer das 21. Lebensjahr vollendet hat, kann sich bei Best Daze mit einer gigantischen Auswahl an Produkten eindecken. In den Glasvitrinen des Geschäfts gibt es Cannabis in jeder Form: als klassische Knolle, als säuberlich gedrehter Joint, als Tinktur, Süßigkeit oder Dampfkonzentrat. Auf einer Schiefertafel vor dem Laden stehen die täglichen Sonderangebote, in dem unscheinbaren Einkaufszentrum sind eine Bank und eine Tierarztpraxis die unmittelbaren Nachbarn.

Der größte Vorteil der Legalisierung liegt für Johnathan Bodycombe in der Möglichkeit, bewusst zu konsumieren. „Kunden bekommen Zugang zu gutem Cannabis, das ökologisch und ohne Anwendung von Pestiziden angebaut wurde.“ Darüber hinaus können sie gezielt entscheiden, wie viel THC sie wie zu sich nehmen. „Für viele sind die vorgedrehten Joints ein einfacher Einstieg“, sagt Bodycombe. „Wer schon mal eine Zigarette geraucht hat, der kann auch einen Joint rauchen.“

In 24 Staaten und Territorien ist Gras legal

Andere Kunden haben spezielle Vorlieben. „Manche nehmen Cannabis ausschließlich in ess- oder trinkbarer Form zu sich, um ihre Lungen zu schützen.“ Allgemein wird in den Dispensaries zwischen „Sativa“ und „Indica“ unterschieden. Sativa wirke dabei eher stimulierend, „wir sagen auch Tagesgras dazu“, Indica hingegen eher entspannend. „Wobei die zwei Sorten über die Jahre auch stark hybridisiert wurden“, sagt Bodycombe.

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New Mexico gehört zu den 24 Staaten und Territorien der USA, in denen Cannabis mittlerweile auch für den nichtmedizinischen Gebrauch legalisiert ist. Im März dieses Jahres gab die Gouverneurin des Staates bekannt, dass die Einnahmen der Industrie kürzlich die Milliarden-Dollar-Marke erreicht haben. Rund 75 Millionen Dollar hat New Mexico durch die entsprechenden Steuern eingenommen.

Die medizinische Anwendung von Cannabis gilt in großen Teilen der USA schon länger als unkontrovers. Die Pflanze und ihre Derivate werden zur Behandlung von Schmerzen und epileptischen Anfällen verschrieben. Krebspatienten, die Schlaf- und Essstörungen lindern wollen, gehören zu den großen Nutzergruppen. Ende der 90er Jahre entstanden vor allem an der Westküste die ersten zugelassenen Dispensaries, in denen sich Pa­ti­en­ten eindecken konnten. Die Ausgabe von Marihuana-Produkten durch diese privaten Anbieter erfolgte zwar nur unter Vorzeigen einer speziellen Nutzerkarte, doch sie schuf die Grundlagen der heutigen Industrie.

Im Jahr 2012 traten die Pazifikstaaten Kalifornien und Washington die nächste Stufe der Entwicklung los, indem sie den Verkauf an alle Erwachsenen freigaben. Somit konnten Unternehmen im großen Stil in das Geschäft einsteigen, es entstanden Marken mit überregionaler Präsenz. Der kalifornischen Firma „Cookies“ zum Beispiel gehören mittlerweile 15 Dispensaries im Westen der USA, ihr Logo ist so ikonisch, dass auch Dealer in Deutschland ihre Ware in gefälschten „Cookies“-Verpackungen anbieten.

Einkaufen wie im Supermarkt

Die professionell aufgemachten Cremes, Joints und Gummibärchen in der Warenauslage von Best Daze in Santa Fe könnten genauso in den Regalen eines Supermarkts zu finden sein, wären da nicht die kindersicheren Verpackungen. Die großen Namen der Industrie verfügen über eigene Marketingabteilungen und Gra­fik­de­si­gne­r und werden von BWL-Absolventen geführt. Mit schlichter, geschmackvoller Produktgestaltung wird um die Generation Apple geworben.

Zumindest in den legalisierten Bundesstaaten hat Cannabis damit über das letzte Jahrhundert einen drastischen Imagewechsel durchlaufen. Die europäischen Kolonialmächte führten den Hanf als Nutzpflanze ein, als Rauschmittel breitete er sich über beide Hälften des amerikanischen Kontinents aus. Lange wurde Cannabis in den USA auch medizinisch genutzt, in den 1920er Jahren begannen aber die ersten Bundesstaaten, seinen Gebrauch unter Strafe zu stellen. Im Jahr 1937 schließlich folgte die Illegalisierung auf Bundesebene.

Die Repression gegen Cannabis-Nutzer verteilte sich dabei alles andere als gleichmäßig. Besonders Latinos und Afro­ame­ri­ka­ne­r wurden wegen der neuen Gesetze verhaftet. Der Name „Marihuana“ wurde strategisch von den Sicherheitsbehörden verwendet, um der eigentlich alltäglichen Pflanze einen gefährlich-fremden Ruf zu verleihen. Der Begriff stammt aus Mexiko und wurde mit den Mi­gran­ten assoziiert, die Anfang des 20. Jahrhunderts ins Land kamen.

Johnathan Bodycombe, Mitarbeiter einer „Dispensary“ in New Mexico

„Kunden bekommen Zugang zu gutem Cannabis, das ökologisch und ohne Pestizide angebaut wurde“

Der sogenannte Krieg gegen Drogen, der ab den 1980er Jahren wütete, war vor allem für Schwarze und Mi­gran­ten verheerend. Laut der Bürgerrechtsorganisation ACLU ist die Wahrscheinlichkeit, für den Besitz von Cannabis verhaftet zu werden, für Schwarze noch heute mehr als dreimal so hoch wie für Weiße. In illegalisierten Bundesstaaten sind lebenslängliche Haftstrafen für den Besitz größerer Mengen weiterhin üblich.

Denn während in New Mexico frei gekauft und konsumiert werden kann, geht es ein wenig weiter östlich sehr viel drakonischer zu. Das Örtchen Fort Sumner liegt im flachen, ländlichen Westen von New Mexico, rund eine Autostunde vom Nachbarstaat Texas entfernt. Während selbst im 860-Seelen-Nest mittlerweile zwei Dispensaries zu finden sind, kann eine Stunde weiter westlich in Texas schon eine kleine Menge Cannabis zu mehreren Monaten Haft führen.

Die Konkurrenz in New Mexico ist hart

„Ich hätte nie gedacht, dass meine Frau und ich irgendwann mitten in der Wüste Gras verkaufen“, sagt Joseph Edelman. Dem hochgewachsenen Mann mit Dreitagebart gehört gemeinsam mit seiner Ehefrau „Outlaw Herbs“, ein winziges Geschäft an der Hauptstraße von Fort Sumner. Das Gebäude ist historisch und stammt wie vieles in Fort Sumner aus der Pioneerzeit. „Outlaw Herbs“ ist kein Konzernunternehmen, in den Vitrinen liegen hier ausschließlich Produkte aus der Region.

„Meine Frau kümmert sich um die ganzen komplizierten bürokratischen Angelegenheiten, und das ermöglicht es mir, mich um den Laden zu kümmern“, erzählt Edelman. Sechs Tage die Woche arbeitet er in seinem Geschäft, andere Angestellte gibt es nicht. Vor zwei Jahren sind die Edelmans aus dem Bundesstaat Washington nach New Mexico gekommen. Joseph Edelman hat lange als Kletterer für eine Baumpflegefirma gearbeitet. Nach einem Unfall war er nicht mehr arbeitsfähig, kurz danach wurde ihm gekündigt. „Danach habe ich mir gesagt, dass ich nie wieder für jemanden arbeiten werde.“

Die Konkurrenz in New Mexico ist hart, sagt Joseph Edelman. „Wir haben mehr Dispensaries als Colorado, und weniger als die Hälfte der Einwohner.“ Im Bundesstaat ist der Prozess, eine Verkaufslizenz für Cannabis zu erlangen, besonders einfach. Joseph Edelman erwartet, dass bald eine dritte Dispensary in seinem Ort eröffnen wird. Auch Best Daze in Santa Fe konkurriert mit zwei weiteren Geschäften in seiner unmittelbaren Umgebung.

Viele verkaufen ihre Ware auf dem Schwarzmarkt

Besondere Schwierigkeiten macht Edelman allerdings der Schwarzmarkt. „Ein Produkt, das ich wegen der Steuern für 80 Dollar verkaufen muss, kriegt man hier auf der Straße für 30, da komme ich schlecht gegen an“, sagt er. Da Cannabis auf Bundesebene illegal ist, dürfen innerhalb der Bundesstaaten nur Produkte verkauft werden, die auch dort produziert werden. Viele, die anbauen, haben dadurch Schwierigkeiten. New Mexiko etwa hat knapp zwei Millionen Einwohner, im Nachbarstaat Texas, wo Gras illegal ist, sind es 30 Millionen. Anreiz genug für Produzenten, mehr zu produzieren, als im eigenen Staat Nachfrage besteht, und den Rest jenseits der Grenze zu verkaufen. Das hält den Schwarzmarkt weiter am Leben.

Auch die regionalen Produzenten, deren Cannabis Edelman bei „Outlaw Herbs“ verkauft, üben Druck auf das kleine Geschäft aus. „Sie verkaufen ihre Ware selbst auf dem Schwarzmarkt, und natürlich zu besseren Preisen als ich“, sagt er.

Ein halbes Dutzend Bundesstaaten sind New Mexicos Schritt in die Legalisierung seit 2022 gefolgt, im kommenden Jahr werden noch weitere dazukommen. Die Steuereinnahmen fließen in New Mexico in die allgemeine Staatskasse, in anderen Bundesstaaten finanzieren sie öffentliche Bildung und Sozialprogramme. Dass die Biden-Regierung bei einer zweiten Amtszeit Cannabis auch auf Bundesebene legalisieren lässt, ist nicht auszuschließen.

Wegen der Legalisierung in Deutschland sollte sich Johnathan Bodycombe von Happy Daze zufolge niemand Sorgen machen. „Cannabis ist sehr sanft und vergebend“, sagt er. „Selbst wenn du plötzlich viel zu high bist, musst du dich einfach ein bisschen hinlegen. Das wird alles wieder.“

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