Castingshow „Drag Race Germany“: Zwischen Produkt und Politikum

Die US-Castingshow „RuPaul’s Drag Race“ bekommt einen deutschen Ableger. Bei aller berechtigter Kritik behält die Show ihre politische Dimension.

Der Cast der Show, Drags in bunten Kleidern und Perücken posieren auf dem Teppich vor der Premiere des Fernsehwettbewerbs «Drag Race Germany».

Letzte Woche feierte der Cast der Show Premiere in Berlin Foto: Hannes P Albert/dpa

Racers, start your engines: Die erfolgreiche Casting-Show „Drag Race“ kommt nach Deutschland. Nach 14 US-Staffeln, in denen Drag-Queen und Moderator RuPaul am Ende den nächsten „Drag-Superstar“ kürt, startet nun ein Ableger, in dem elf „Queens“ aus Deutschland, Österreich und der Schweiz um den Titel kämpfen.

Wie in der Originalshow müssen die Teil­neh­me­r*in­nen in jeder Folge in diversen „Challenges“ ihre Kreativität, Schlagfertigkeit und Humor unter Beweis stellen. Wie unter Zeitdruck zu ­einem vorgegebenem Überthema extravagante Kostüme entwerfen, in kleinen Musical- oder Comedy-Szenen mit Improvisationstalent glänzen oder bei Fotoshootings in abwegigen Szenarien mit außergewöhnlichen Posen zu unterhalten – bevor die Jury nach einem finalen Laufsteg-Auftritt am Ende jeder Episode darüber entscheidet, welche „Queen“ die Sendung verlassen muss.

Dass sich das Format dabei bewusst an kulturelle Klischees des Gastgeberlandes anpasst, lässt bereits der Auftakt von „Drag Race Germany“ erkennen: Dort mussten die Teil­neh­me­r*in­nen vor Bayern-Kulisse in campy-aufgeladener Tracht posieren.

„Drag Race Germany“ ist bei zahlreichen Spin-Off-Sendungen die jüngste Ergänzung in einer TV-Formatreihe, die eine unangefochtene Monopolstellung in der medialen Repräsentation von „Drag“ erlangt hat. Wie so oft, wenn Teile einer Kultur einer Minderheit, in diesem Fall der LGBTQ*-Community, ihren Weg in den Mainstream finden, stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung begrüßenswert ist. Denn um auch für einen Massenmarkt zu funktionieren, kommt es meist zu einer Umdeutung nach dessen Regeln. Der Kern der Kultur wird vereinfacht oder verwässert, um vermarktbar zu sein.

Wie die Sendung den Mainstream verändert

Dass die Deutungshoheit darüber, was „Drag“ ist, de facto bei RuPaul und seinem Showimperium liegt, führt etwa dazu, dass man sich darunter in erster Linie homosexuelle cis Männer vorstellt, die eine überspitzt weibliche Persona kreieren, um mit bissigem Humor und extravagantem Auftreten für Unterhaltung zu sorgen.

Schließlich blieb der Wettbewerb sowohl cis Frauen als auch trans* Menschen lange verschlossen. Das steht nicht nur in Konflikt mit der Inklusivität und der Freiheit zur kreativen Selbstdarstellung gegen alle Geschlechtergrenzen, die „Drag“ eigentlich ausmachen, sondern auch mit dem politischen Hintergrund der stark durch die „Ballroom-Szene“ geprägten Kultur.

Bei aller berechtigten Kritik daran wird man dem Phänomen „Drag Race“ allerdings nicht gerecht, wenn man allein darauf blickt, wie sich das Format auf die Wahrnehmung der Kultur auswirkt. Auch der Blick darauf, wie die Sendung den Mainstream verändert, ist notwendig. Und dort treten nun immerhin queere Künst­le­r*in­nen auf, die mit ihrer Kunst gängige Gender­normen herausfordern. Die Bedeutung einer solchen medialen Präsenz ist nicht zu unterschätzen. Durch die Sichtbarkeit wird nicht nur ein großes Publikum an Existenzen abseits der Heteronorm gewöhnt. Sie führt auch dazu, dass sich mehr queere Zu­schaue­r*in­nen gesehen fühlen.

Die Macht der Repräsentation

Gerade das bewusst selbstsichere Auftreten, das ein Kernelement von Drag-Performances ist, und das Zelebrieren von Identitäten, die sich im Alltag immer noch Ablehnung gegenübersehen, kann insbesondere bei Teenager*innen, die in ihrem direkten Umfeld womöglich keinen Kontakt zu LGBTQ*-Kultur haben, zu mehr Selbstakzeptanz führen.

Und erhält eine Repräsentation im Mainstream, wenn auch nicht in der ursprünglichen Form, nicht bereits dadurch einen Wert, dass sie jungen Queers den Rücken stärkt?

Hinsichtlich der Breite der Repräsentation zeichnet sich außerdem ab, dass die Kritik an fehlender Aufgeschlossenheit gegenüber der Vielfalt innerhalb der LGBTQ*-Community durchaus eine Wirkung zeigt. Nachdem in der 9. Staffel der US-Version mit „Peppermint“ erstmals eine geoutete trans* Frau und in der 13. Staffel mit „Gottmik“ der erste trans* Mann im Wettbewerb vertreten waren, nehmen an den internationalen Ablegern mittlerweile auch cis Frauen teil.

Bei „Drag Race Germany“ konkurriert mit „Pandora Nox“ ebenfalls eine lesbische cis Kandidatin um den Titel. Insgesamt besticht die deutschsprachige Variante durch einen vielfältigen und talentierten Cast, zu dem sowohl charmant-schräge „Queens“ wie „LéLé Cocoon“ oder „Yvonne Nightstand“ als auch klassischere Diven wie „Metamorkid“ gehören.

Der kommerzielle Erfolg zählt

Zumindest nach der ersten Folge, die vor dem Serienstart von der Presse gesichtet werden konnte, verspricht der deutsche Ableger mit Performances überzeugen zu können, die der Originalshow in nichts nachstehen. Ob auch die Jury, bestehend aus der Drag Queen „Barbie Breakout“, die die Sendung außerdem moderiert, Co-Host Gianni Jovanovic und Modedesignerin Dianne Brill, ein ähnliches Charisma entfalten kann, wird sich in den folgenden Episoden zeigen.

Dass es mit der Kritik an den Entscheidungen im „Drag Race“-Kontext damit nicht getan ist, beweist allerdings gleich die Wahl der ersten Gast-Jurorin: Mit Rapperin Shirin David füllt die Rolle im Auftakt ausgerechnet eine Künstlerin, die in der Vergangenheit durch die Zusammenarbeit mit homo­feindlichen Kollegen auffiel.

„Drag Race Germany“, ab Dienstag, 5.9.23, bei Paramount+

Am Ende muss man die Sendung wahrscheinlich als das ernst nehmen, was sie ist: ein breitenwirksames TV-Format, das bei aller Queerness immer zuerst an kommerziellem Erfolg interessiert bleibt. Und dennoch: Gerade in Zeiten, in denen bereits eine Lesung von Drag-Queens zum Ziel von Anti-LGBTQ*-Propaganda durch Rechtsextreme werden kann, hat selbst Unterhaltung eine politische Dimension.

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