Chinas Verteidigungsminister: Wo steckt Li Shangfu?

Erst wurden zwei Generäle geschasst, dann der Außenminister. Nun hat ein weiterer Minister länger keinen Auftritt mehr absolviert.

Li Shangfu, Verteidigungsminister von China, salutiert

Aus der Öffentlichkeit verschwunden: Verteidigungsminister Li Shangfu Foto: Alexander Zemlianichenko/dpa

PEKING taz | Noch Ende August hat Li Shangfu bei einem Sicherheitsforum in Peking von den „beispiellosen Herausforderungen“ gewarnt, vor denen die Menschheit derzeit stünde. Doch seit seiner damaligen Rede ist es um Chinas Verteidigungsminister still geworden: Mehr als zwei Wochen lang hat der 65-jährige Politiker keinen öffentlichen Auftritt mehr absolviert.

Das ist durchaus ungewöhnlich, wenn auch Li Shangfu allein seines Amtes wegen nicht unbedingt täglich im Blitzlichtgewitter der Fernsehkameras steht. Doch wegen der derzeit hochgradig paranoiden Atmosphäre der Pekinger Parteiführung hat seine Abstinenz bereits wilde Spekulationen ausgelöst.

Den Stein ins Rollen brachte ausgerechnet der US-Botschafter in Tokio. Entgegen diplomatischer Gepflogenheiten lieferte Rahm Emanuel in den sozialen Medien einen regelrechten Affront gegen Peking. So verglich der Botschafter die Personalpolitik von Präsident Xi Jinping mit dem Agatha Christie Roman „And Then There Were None“, auf Deutsch etwa: „Und dann war niemand mehr da“.

Zuerst wird Außenminister Qin Gang vermisst, dann werden die Kommandeure der Raketenstreitkräfte vermisst, und jetzt wurde Verteidigungsminister Li Shangfu seit zwei Wochen nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen“, schrieb Rahm auf seinem X-Account. Schließlich fragte er in Anspielung an die rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit in China zynisch hinzu: „Wer wird diesen Arbeitslosenwettlauf gewinnen? Chinas Jugend oder Xis Kabinett?“.

Der Ex-Außenminister bleibt spurlos verschwunden

Ein Blick auf die Fakten: Bis heute ist der frühere Außenminister Qin Gang spurlos verschwunden. Er wurde, ebenfalls nach langer und unkommentierter Abstinenz, Ende Juli seines Amtes enthoben. Die genauen Hintergründe sind nach wie vor Anlass für Spekulationen. Eine offizielle Erklärung der Parteiführung in Peking gab es nicht.

Zuvor hatte Xi Jinping zu Beginn des Jahres zwei führende Militärs ihrer Ämtern enthoben. Dabei handelte es sich um die Führung der Raketenstreitkräfte, der vielleicht wichtigsten Einheit der Volksbefreiungsarmee. Die Raketenstreitkräfte verfügen schließlich über die Kontrolle des Atomwaffenarsenal des Landes.

Auch hier sind die Hintergründe bisher vollkommen unklar. Eine mögliche Erklärung würde die Korruptionsuntersuchung bieten, die Xi im Juli gegen die Armee einleiten ließ. Dabei geht es um mögliche Korruption bei Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen.

Angesichts der zunehmenden Intransparenz des chinesischen Machtapparats ist es nahezu unmöglich, definitive Rückschlüsse zu ziehen. Doch die Säuberungswelle ist ein Indikator dafür, dass Xi fürchtet seine sattelfeste Kontrolle über die eigene Armee zu verlieren.

Ob Li Shangfu nun das Schicksal Qin Gangs teilt, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Von offizieller Seite gibt es bisher weder Dementis noch Bestätigungen. Als die Sprecherin des Außenministeriums bei der täglichen Pressekonferenz nach dem Fall Li befragt wurde, antwortete sie trocken, ihr sei die Angelegenheit „nicht bewusst“.

Die Zensoren kämpfen gegen Gerüchte

Doch die Gerüchte über Li Shangfus Fernbleiben haben längst Eingang in Chinas streng abgeschirmtes Internet gefunden. Die meisten Postings haben die Zensoren zwar mit Stand Mittwoch bereits gelöscht. Doch lassen sich ein paar Kommentare noch finden.

Ein User der Online-Plattform Weibo postete etwa kommentarlos einen Screenshot, auf dem die letzten, mehr als zwei Wochen zurückliegenden Termine des Verteidigungsministers aufgelistet sind. Die Botschaft seines Beitrags bleibt unausgesprochen, doch ist für alle Mitwissenden offensichtlich.

Am Mittwoch legte nun Reinhard Bütikofer, Grünen-Abgeordneter im Europäischen Parlament, mit einem provokanten Tweet nach: „Vielleicht sollte jemand prüfen, ob Li Shangfu möglicherweise auf mysteriöse Weise bei einem Flugzeugabsturz in der Mongolei ums Leben gekommen ist“.

Damit spielt der frühere Maoist Bütikofer auf den Politiker Lin Biao an, der 1971 nach einem gescheiterten Staatsstreich auf der Flucht in die Mongolei starb. Ob es sich bei dem Tod von Mao Tsetungs Stellvertreter um einen Flugzeugunglück oder einen gezielten Auftragsmord von Staatsgründer und Parteichef Mao handelte, ist bis heute nicht geklärt.

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