Debatte Erdöl: Peak Oil ist jetzt

Die Energieversorgung der Welt steht vor dem Umbruch: Die Erdölförderung stagniert schon seit 2005. Und sie wird bald abstürzen.

Das Erdöl wird nicht ausgehen, aber es wird sehr viel teurer werden. Bild: ap

Der Kerl hat sich gut versteckt. Zwischen Euro-Crash und den multiplen ökonomischen Krisen, zwischen arabischer Rebellion und unseren eigenen Skandalen, die zuletzt im hässlichen Klinkerbau eines Herrn Wulff gipfelten, war er verschwunden. Jetzt, seit der Konflikt mit dem Iran eskaliert, ist er wieder da: der vergessene Ölpreis. Unbemerkt und beinahe in Zeitlupe ist er auf aktuell 110 Dollar (Brent) hochgekrochen – eine Verdreifachung seit Jahresbeginn 2009. Mit ihm, der Leitwährung des fossilen Zeitalters, kehrt ein anderes hässliches Thema zurück: Es geht um den Kipppunkt, um das globale Fördermaximum der wichtigsten Ressource, also um Peak Oil, so der populäre englische Begriff.

Lange erinnerte die Diskussion ein wenig "an die Zeugen Jehovas", wie die Kritiker höhnten. Man schaute in die Zukunft und spekulierte, wann die Ölförderung den Gipfel erreichen und wann sie abstürzen wird. Inzwischen können wir den ersten Teil der Frage beantworten: Peak Oil ist jetzt! Die Ölfelder auf unserer Erde werden nie mehr so viel Öl hergeben wie in der historischen Phase von 2005 bis 2012. Dafür existieren inzwischen genug Belege. Schon im Energy-Outlook 2010 hatte die notorisch überoptimistische Internationale Energieagentur IEA einen für ihre Verhältnisse sensationellen Schwenk vollzogen.

Fast nebenbei stellte die wichtigste internationale Energiebehörde fest, dass die weltweite Ölförderung von "normalem" Öl, in der Fachsprache Crude Oil, im Jahr 2006 ihren Höhepunkt überschritten hat.

Die Marktregel gilt nicht mehr

Sieht man sich die von der deutschen Energy-Watch-Group vorgelegten Produktionszahlen an, erkennt man, dass die Förderung seit 2005 auf einem Plateau von rund 73Millionen Fass (Barrel) Tagesproduktion stagniert. Obwohl der Ölpreis von 2005 bis heute jährlich um 15 Prozent gestiegen ist, gingen die zuvor fast naturgesetzlich wachsenden Produktionszahlen nicht mehr nach oben. Die eherne Marktregel, dass steigende Preise das Angebot erhöhen, ist ausgehebelt. Was ist passiert? Die Produktion lässt sich offenbar nicht weiter erhöhen, weil alle schon am Anschlag pumpen.

In seiner aktuellen Ausgabe hat nun das renommierte Wissenschaftsmagazin Nature den Befund bestätigt. In einer langen Analyse legen sich die Autoren James Murray und David King, beides geologische Experten hoher Gnaden, eindeutig fest: "Oils tipping point has passed" – das Fördermaximum liegt hinter uns.

Hinter dieser nüchternen Überschrift verbirgt sich ein gewaltiger Umbruch für die Menschheit, und doch wird es noch Jahre dauern, bis dieser Wendepunkt unserer Energieversorgung die Köpfe wirklich erreicht hat.

Noch können wir ihn ausblenden, noch reden wir von der Peak-Oil-"Theorie" und ihren "Jüngern", vom "so genannten" Fördermaximum – als wäre das alles ein neurotisches Konstrukt grüner Weltverschwörer. Nur: Es ist ein simples Naturgesetz. So wie die Erde rund und keine Scheibe ist, so beschreibt die Ausbeutung einer Ölquelle eine Glockenkurve. Die Förderung steigt langsam an, erreicht irgendwann einen Höhepunkt (Peak) und geht dann wieder zurück.

Förderquoten rückläufig

Auch wenn man Ölfelder mit mehreren Quellen oder ein großes Fördergebiet wie die Nordsee im Ganzen betrachtet: Es ist immer die Glocke. Inzwischen konnte man von den meisten Förderländern den Peak anhand der Produktionszahlen ermitteln. Auf den texanischen Ölfeldern der USA etwa war schon 1971 das Maximum erreicht, seitdem ging der Tagesausstoß des ehemals größten Förderlands von zehn auf sechs Millionen Fass zurück. Großbritannien hatte 1999 sein Fördermaximum, Norwegen 2001, Mexiko 2004. Unklar ist die Lage in einigen Opec-Ländern, vor allem in Saudi-Arabien. Und natürlich war der Zeitpunkt des globalen Peak das große, jetzt aufgelöste Rätsel.

Quatsch, es gibt doch zig Milliarden Tonnen an Reserven und Ressourcen, rufen jetzt die Freunde des Sechszylinders. Ja und? Öl in Tausenden Metern Tiefe unterm Ozean, in Alaska oder in den Teersanden Kanadas und Venezuelas können den Rückgang nicht ausgleichen. Die Ölproduktion in den derzeit weltweit erschlossenen und ausgebeuteten Feldern geht jährlich zwischen 4,5 und 7,0 Prozent zurück, wie die IEA schon 2008 feststellte.

Es müssen also Jahr für Jahr immer mehr neue Felder in Produktion gehen, nur um den Verlust der alten auszugleichen. Dies wird immer schwieriger, aufwendiger, teurer, gefährlicher, wie die Deepwater-Horizon-Katastrophe zeigte.

Das Unglück im Golf von Mexiko im April 2010 hatte die Diskussion um Peak Oil kurzzeitig gepuscht. Und alte Missverständnisse befeuert. Die Nature-Autoren sagen es jetzt noch einmal ganz klar: Das Öl wird uns nicht ausgehen, es wird nur sehr viel teurer. Nicht der ständig fotografierte, auf Null stehende Benzinanzeiger des Autos, sondern der leere Geldbeutel ist die richtige Metapher zu Peak Oil. Wir werden noch viele Jahrzehnte sehr viel Öl fördern. Aber von Jahr zu Jahr weniger. Die Schere zwischen der Nachfrage, die vor allem in Asien nach oben schießt, und dem fallenden Angebot wird größer, der Preis marschiert.

Chance für eine Energiewende

Die große Frage: Wann ist das Ende des gegenwärtigen Plateaus erreicht und wann wird die Förderung nicht nur stagnieren, sondern tatsächlich abstürzen. Und um wie viel Prozent pro Jahr? Zwei Prozent sagen die Optimisten, sechs Prozent die Pessimisten. Wir wissen es nicht.

Was wir wissen, ist, dass die Weltgemeinschaft mit dem allmählichen und dann immer schnelleren Wegbrechen ihrer wichtigsten Energiequelle gewaltige Probleme bekommt. Und dass es ein Wunder wäre, wenn sich das derzeitige Plateau noch länger als ein, zwei Jahre halten ließe. Natürlich wird dann der Biosprit angekurbelt, Kohle verflüssigt, die Autoflotte verstärkt auf Gas und Elektro umgestellt. Wir werden andere Autos haben, uns aktiver bewegen per Rad und zu Fuß.

Wie elastisch und wie intelligent wir auf den Anfang vom Ende des Öls reagieren, ist das spannende Thema. Peak Oil bringt die Chance für eine echte Klima- und Energiewende. Ob wir wollen oder nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Manfred Kriener, Jahrgang 1953, ist Umweltjournalist und Autor in Berlin. Themenschwerpunkte: Klima, Umwelt, Landwirtschaft sowie Essen & Trinken. Kriener war elf Jahre lang taz-Ökologieredakteur, danach Gründungschefredakteur des Slow-Food-Magazins und des Umweltmagazins zeozwei.. Zuletzt erschienen: "Leckerland ist abgebrannt - Ernährungslügen und der rasante Wandel der Esskultur". Das Buch schaffte es in die Spiegel-Bestsellerliste und wurde von Umweltministerin Svenja Schulze in der taz vorgestellt. Kriener arbeitet im Journalistenbüro www.textetage.com in Kreuzberg.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.