Der Schlick soll weg: Sisyphos auf der Elbe

Baggergut aus der Elbe im Meer zu versenken, wird den Hamburger Hafen nicht retten. Umweltschützer befürchten, es verschlimmert vielmehr die Lage.

Ein Schiff mit Bagger auf der Elbe

Seinen Hafenschlick darf Hamburg weiterhin in der Nordsee verklappen: Saugbaggerschiff auf der Elbe Foto: Kai Nietfeld/dpa

HAMBURG taz | Es war eine Einigung auf den letzten Drücker: Kurz vor Weihnachten haben Hamburg und seine Nachbarn vereinbart, dass die Hansestadt erst mal weiterhin Elbschlick in der Nordsee verklappen darf. Die Minister und Staatssekretäre feierten das als Erfolg, weil damit die Zufahrt zum Hamburger Hafen mit vertretbarem Aufwand frei gehalten werden könne.

Doch jetzt hat der Umweltverband Rettet die Elbe die zentrale These zur Unterhaltung der Elbfahrrinne infrage gestellt: dass es reichen könnte, eine gewisse Menge Schlick und Sand dauerhaft aus der Elbe zu holen, um den Fluss nach der neunten Fahrrinnenanpassung zu stabilisieren. Der Umweltverband geht noch weiter: Er spricht von „Sedimentraub“, der das System Elbe aus dem Gleichgewicht zu bringen drohe.

Mit der Einigung werde die „irrsinnige Kreislaufbaggerei“ beendet, die in den vergangenen Monaten betrieben worden sei, hatte der schleswig-holsteinische Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) nach Abschluss der Verhandlungen gesagt.

„Kreislaufbaggerei“ bedeutet, dass störende Sedimente, auf Hamburger Gebiet der Elbe entnommen und stromabwärts wieder in den Fluss gekippt werden, wenn Ablagerungsstellen anderswo nicht zur Verfügung stehen; die Flut schwemmt sie wieder zurück, sodass sie aufs Neue in den Schaufeln und Saugrohren landen – eine Sisyphusarbeit.

Tschentschers Thesen

Wird dieses Sediment ein für allemal entnommen und außerhalb der Reichweite der Elbe deponiert, müsste der Sedimenteintrag stark zurückgehen – so die These, die auch von Bürgermeister Peter Tschen­tscher (SPD) vertreten wird. Die Baggerschiffe hätten weniger zu tun, die Kosten würden sinken – Problem gelöst. Rettet die Elbe bezweifelt das: Es setze sich eben nicht nur zurückschwappendes Baggergut auf der Flusssohle ab, sondern auch frisch erodiertes Material.

Letzteres ist insofern unstrittig, als auch die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) des Bundes davon ausgeht, dass die vor einem Jahr abgeschlossene jüngste Elbvertiefung zumindest vorübergehend die Erosion im Flussbett verstärkt hat. Die Wasserbauer sprechen von einem „morphologischen Nachlauf“, den der Strom braucht, um seine neue Gestalt anzunehmen.

Für verstärkte Verschlickung im vergangenen Jahr gibt die WSV aber weitere Gründe an. „Zusätzlich gab es im Vergleich zum langjährigen Mittel in diesem Frühjahr etwa dreimal so viele Sturmfluten mit ungewöhnlich hohem Sedimenteintrag“, teilt sie mit. Und dazu komme noch, dass besonders wenig Wasser vom Oberlauf gekommen sei und dessen Spül­effekt entsprechend schwach ausfiel.

Die WSV spricht von einer „extremen und außergewöhnlichen Situation“, weshalb sie sich genötigt sah, zum 1. Dezember den zulässigen Schiffstiefgang vorübergehend wieder zu verringern. Sprich: Die Elbvertiefung kann vorerst bis November 2023 nicht voll ausgenutzt werden.

Auch die Obstbauern leiden schon

Rettet die Elbe vermutet, dass es dabei nicht bleiben wird. Denn bei dem Versuch, die Solltiefe der Fahrrinne herzustellen, werde so viel Sand und Schlick aus dem Strom geholt, dass sich die Lage weiter verschärfen werde. „Es wird Material in Mengen entnommen, die der Größenordnung einer Elbvertiefung entsprechen“, sagt Klaus Baumgardt von Rettet die Elbe.

Für die Elbvertiefung 1999 seien 14 Millionen Kubikmeter Sediment dem Ästuar entnommen, worden, bei der jetzigen Vertiefung 35 Millionen Kubikmeter. Um die neue Wassertiefe zu unterhalten, ließen die Hafenverwaltung HPA und die WSV von 2001 bis 2019 rund 368 Millionen Kubikmeter baggern, wovon 230 Millionen in die Nordsee entsorgt worden seien, rechnet Rettet die Elbe vor.

„Selbst wenn WSV und HPA die planfestgestellte Solltiefe einhalten, wird das Flussbett binnen zwei Jahren per Saldo erneut vertieft“, prognostizieren die Umweltschützer. Statt das Material in der Nordsee oder an Land unterzubringen, schlagen sie vor, Übertiefen damit zu füllen, also unbeabsichtigte Auskolkungen, die kein Schiff braucht.

Nicht nur für den Versuch, die Schifffahrtsstraße für Deutschlands größten Hafen offen zu halten, wäre eine weitere Aushöhlung der Fahrrinne fatal. Schon jetzt verlanden die Nebenflüsse der Elbe mit ihren Sportboothäfen. Die Brackwasserzone verschiebt sich Richtung Hamburg mit negativen Folgen für die Obstbauern, die ihre Bäume bewässern müssen. Der Fluss trübt sich weiter ein, sodass die Lebensbedingungen für Fische und Sauerstoff produzierende Algen schlechter werden.

Dass gegen die wachsende Wucht der Flut etwas getan werden muss, ist auch der WSV und der HPA klar. Doch dem eingedeichten und mit künstlichen Inseln versehenen Fluss wieder mehr Raum zu geben, erweist sich als mühselig. Als eine erste Maßnahme ist ein kleiner Seitenarm hinterm Deich wieder der Tide geöffnet worden.

Das Forum Tideelbe, in dem Vertreter der Länder und der Zivilgesellschaft mehrere Jahre lang über die Probleme der Unterelbe diskutiert haben, hat 2020 zwei Vorschläge auf den Tisch gelegt, die weiter geprüft werden sollen. Der eine, eine Öffnung der Haseldorfer Binnenelbe, sollte schon die Airbus-Werkserweiterung in die Elbe hinein ausgleichen und wurde gerichtlich gestoppt.

Den anderen, eine Öffnung der Alten Süderelbe, haben die Umweltverbände jahrzehntelang gefordert. Dagegen agitiert eine Bürger­initiative unter Verweis auf den Deich- und den Naturschutz.

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