Die Tricks der Zeitungsverlage: Harte Abos, weiche Abos

Wenn die Verkaufszahlen sinken, steigern viele Zeitungsverlage einfach ihre "weiche Auflage". Mit Billigabos und Gratisexemplaren in Flugzeugen schönen sie ihre Bilanz.

Herr der Sonderverkäufe: Springer-Chef Döpfner. (Grafik lässt sich per Klick vergrößern.) Bild: ap / Grafik: taz

BERLIN taz | Zeitungskrise. Auflagenrückgang. Anzeigeneinbruch. Die Bosse deutscher Zeitungsverlage sind nicht zu beneiden. Immer mehr Menschen decken ihren Informationsbedarf vorzugsweise im Netz. Ratlosigkeit.

Doch anstatt sich strukturell mit dem Problem auseinanderzusetzen, neue Wege zu suchen und neue Geschäftsmodelle zu testen, betreiben viele Verlage bislang lieber Kosmetik. Sie verschließen die Augen vor dem Offensichtlichen und lügen sich ihre Auflage schön.

Was beim Fernsehen die Einschaltquoten, sind bei Zeitungen die Auflagenzahlen, vierteljährlich veröffentlicht von der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V., kurz IVW. Die Gesamtgröße "Verkauf" setzt sich zusammen aus der harten und weichen Auflage. Hart sind Abonnements und Einzelverkäufe, weich sind Bordexemplare und sonstige Verkäufe.

Hier setzen die Verlage mit ihren kosmetischen Korrekturen an. "Es geht ganz nach dem Motto: Wir haben ein Problem mit unseren Abozahlen, also erhöhen wir die Anzahl der Bordexemplare und der sonstigen Verkäufe", sagt Medienwissenschaftler Horst Röper. Hauptsache, nach jeder neuen IVW-Meldung können Jubel-Pressemitteilungen verschickt werden. Es geht um psychologisch relevante Auflagenschwellen, die gehalten werden sollen. So ist für überregionale Tageszeitungen etwa die 100.000er-Schwelle wichtig, da die Werbewirtschaft diese als Mindestauflage festgelegt hat.

Besonders die Financial Times Deutschland (FTD) und Springers Welt fallen durch überbordende Auflagenkosemetik auf. So lag die verkaufte Auflage der FTD im vierten Quartal 2009 bei 103.276 Exemplaren. Mit 44 Prozent Bordexemplaren - Gratiszeitungen für Flugreisende - und sonstigen Verkäufen erreicht die FTD den höchsten Anteil an weicher Auflage unter den überregionalen Blättern. Wirklich hart bleiben bloß 55.000 Exemplare. Eine Differenz, die schmerzt.

Auch bei Welt und Welt kompakt (ohne Welt am Sonntag) wird fleißig schöngerechnet. Während Abo und Einzelverkauf in den vergangenen zwei Jahren um über 20.000 Exemplare zurückgingen, erhöhte Springer die weiche Auflage um 7.000. Im vierten Quartal 2009 waren von 260.000 Verkäufen tatsächlich nur etwas über 150.000 hart.

Offen darüber reden wollen die Verlage nicht. Aus dem Springer-Hochhaus heißt es: "Über sonstige Verkäufe und Bordexemplare erreichen wir zusätzlich für die Welt-Gruppe sehr interessante und relevante Zielgruppen wie die Entscheider." Weshalb Bordexemplare und sonstige Verkäufe gestiegen sind, darüber gibt es keine Auskunft. Der Verlag Gruner + Jahr (G+J), in dem die FTD verlegt wird, gibt sich nur wenig offener. "Natürlich sollen auch gewisse Auflagenschwellen gehalten werden. Gerade die 100.000 ist eine magische Grenze", sagt Joachim Haack, Sprecher für G+J Wirtschaftsmedien. Die weiche Auflage sei aber nicht beliebig verteilt. "Wir erreichen mit den Bordexemplaren die Zielgruppe der Entscheider", so Haack. Denn die fliegen eben, Billigfliegern zum Trotz, am häufigsten.

Auch die Fluggesellschaften blocken konkrete Anfragen ab. "Auf allen Strecken liegen verschiedenen Tageszeitungen aus", heißt es bei Air Berlin. "Das Sortiment wird regelmäßig überarbeitet und den Kundenwünschen angepasst." Die Lufthansa sagt immerhin offen, dass sie nichts sagt. "Grundsätzlich haben wir mit allen Verlagen Stillschweigen über die Konditionen vertraglich vereinbart."

Zerknüllte Bordexemplare

Dabei ist die Wirksamkeit von Bordexemplaren umstritten. Horst Röper bezweifelt, dass wirklich die Entscheider erreicht werden: "Nach dem Lesen findet man in Flugzeugen die Zeitungen meist zerknüllt unterm Sitz", sagt er. Bei Einzelverkauf und Abo geht man dagegen von etwa drei Lesern pro Exemplar aus.

Ein Zuzahlungsgeschäft für die Verlage sind die Bordexemplare allemal. Laut IVW-Richtlinie müssen Fluglinien mindestens zehn Prozent des regulären Preises zahlen. "Die Airlines stellen aber meist Handlingskosten in Rechnung. Unterm Strich werden die Bordexemplare also verschenkt", sagt eine Vertriebsmitarbeiterin einer überregionalen Tageszeitung.

"Für diese Auflagenschönung gibt es nur einen Grund: die Anzeigenkunden", sagt Horst Röper. Die Verlage garantieren den Werbern bestimmte Durchschnittsauflagen. "Wird diese Zahl unterschritten, müssen die Verlage handeln, sonst drohen Mindereinnahmen", so Röper. Konkret heißt das, dass die Anzeigenkunden weniger zahlen würden. Also wird die weiche Auflage erhöht.

Dabei kennt die Werbewirtschaft die Tricks der Verlage. "Wir unterscheiden natürlich zwischen harter und weicher Auflage. Bei Verhandlungen kann ein hoher Anteil von Bordexemplaren und sonstigen Verkäufen eine Rolle spielen", sagt Lars Gibbe von der Organisation Werbungtreibende im mächtigen Markenverband. Die Magazine und Zeitschriften hätten das schon zu spüren bekommen. Ein Grund, weshalb Spiegel, Focus und Stern in den vergangenen Jahren ihre weichen Auflagenanteile zurückgefahren haben. "Übertreibungen in der Auflagenkosmetik werden auch bei Tageszeitungen nicht ohne Folgen bleiben", sagt Gibbe.

"Als Werbekunde bin ich nicht bereit, mehr zu zahlen, wenn ein Verlag seine sonstigen Verkäufe nach oben schraubt", sagt auch Marco Dörper, Media Director der Düsseldorfer Mediaagentur Zenithmedia, die in Deutschland etwa Werbekampagnen für Campina und Toyota steuert und Teil des weltweit zweitgrößten Media-Netzwerks ist. Die Reichweite der weichen Auflage sei nicht kalkulierbar. "Ich weiß nicht, ob damit meine Zielgruppe erreicht wird", so Dörper. "Auch bei Tageszeitungen wird die Luft immer dünner." Daher prophezeit er, dass sich die bislang übliche kosmetische Praxis so nicht durchhalten lässt.

"Man darf seine Auflage nicht entwerten", sagt selbst Jörg Laskowski, BDZV-Geschäftsführer für Verlagswirtschaft. Die Mischung müsse stimmen. Ob dies bei einem Verhältnis von 60 zu 40 Prozent noch der Fall ist, dazu will sich Laskowski nicht äußern.

Bei einigen Verlagen scheint die Botschaft angekommen zu sein. So haben Frankfurter Rundschau und Süddeutsche Zeitung ihre weichen Auflagenanteile in den vergangenen drei Jahren zurückgefahren. Alle anderen überregionalen Titel haben diese dagegen erhöht. Das Handelsblatt etwa von 33 auf 35, die FAZ von 20 auf 22 und auch die taz von 6 auf 10 Prozent.

Unterdessen finden die Verlage teils ganz neue Wege, ihre Exemplare unters Volk zu bringen. Nach den Bord- kommen jetzt die Kinoexemplare. So hat in Berlin etwa der Tagesspiegel seit einem Jahr mit der Yorck-Kinogruppe eine Kooperation. In vier Kreuzberger Kinos liegen nach den Abendvorstellungen kostenlose Exemplare des Folgetages aus. Bis zu 800 Stück, bestätigt ein Sprecher der Yorck-Gruppe. Über Details des Vertrags, ob etwa überhaupt Geld fließt, darf er - natürlich - nicht sprechen. Stillschweigen wurde vereinbart.

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