Die Wahrheit: Der Löw im Wolfspelz

Das aktuelle Wahrheit-Interview: Der Göttinger Humanzoologe Holger Hirsch-Wurz über tierische Tyrannen im menschlichen Dasein.

Krokodilstränen basieren auf Lügen. Aber stimmt das auch? Bild: Ari Plikat

Am vergangenen Montag berichtete der taz-Chefautor Helmut Höge auf tazzwei über „Tiere im Widerstand“. Höge wusste Meldungen von aggressiven Eichhörnchen und beißenden Katzen wiederzugeben, von ausgerasteten Milchkühen, Killerwalen, Kampfhamstern und anarchistischen Affen. Bedrängte Tierarten seien, so Höge, inzwischen dabei, „sich unorganisiert zu wehren“. Falsch, empört sich Prof. Dr. Holger Hirsch-Wurz, 83, Emiritus an der Humanzoologischen Fakultät der Universität Göttingen. Höges empirische Datenfunde aus der Tierwelt seien „gleichsam nur die Spitze des Eisbärs“.

taz: Herr Prof. Hirsch-Wurz, was hat Sie so geärgert am Montag?

Holger Hirsch-Wurz: Dass Einzeltiere so an den Pranger gestellt werden. Die Wahrheit ist viel perfider. Unorganisiert? Von wegen! Längst haben andere Geschöpfe sehr strukturiert die Herrschaft übernommen, im Alltag, in der Sprache.

Zum Beispiel?

Die Affenschande ist eine der schlimmsten. Der Schluckspecht säuft sich zu Tode. Krokodilstränen basieren auf Lügen, Enten sind selbst welche. Maulwürfe der NSA schnüffeln sich in unser Privatleben und schleusen Computerwürmer ein. Schlange stehen macht einen fuchsig, Elche kippen Autos um, also unser Allerheiligstes. Und nicht nur der Kuckuck ist eine Sozialzecke.

Wow!

Ja, bellen Sie ruhig. Viele Menschen fühlen sich gestresst wie im Hamsterrad, sie fischen im Trüben und fallen dann mausetot um. Pechvögel. Längst nennen sich Polizisten selbst Bullen. Alle leiden sommers unter der Bullenhitze. Oder zittern sich durch die Schafskälte.

Es gibt kein Entrinnen?

Manche versuchen es mit Albernheiten – als könne man mit Boxershorts bestimmten Hunden eins auswischen. Lächerlich. Nein, die Menschen spielen meist lammfromm mit. Ein eitler Pfau ist ein Lackaffe. Wer spinnt, hat ’ne Meise. Du blödes Kamel, beschimpft man sich und: Mach die Fliege, dummes Huhn! Man verspottet Frackträger als Pinguine, andere als Brillenschlangen oder als Pferdegesicht. Eine einzige Frechheit!

In Ihrer legendären Habilschrift über weiße Elefanten …

… habe ich das schon vor fast 50 Jahren vorhergesagt. Weiße Elefanten lähmen mittlerweile halb Deutschland: Hauptstadtflughafen, Stuttgart 21, Elbphilharmonie. White Elephants sind im Englischen Projekte, die nur Geld kosten, die nerven und keinen Nutzen bringen. Der Brite sagt auch, es regne cats and dogs. Mit dem Klimawandel wird es noch schlimmer. Es wird rats and cows regnen. Oder nehmen Sie den Golfspieler, wissenschaftlich homo schlaegerschwingensis. Ständig will er Birdies und Eagles schaffen und scheitert meist lausig. Dann lachen sich die Kreaturen in die Kralle, während sich eine Krähe, und das tut sie wirklich, den Golfball schnappt und davonfliegt. Hundsgemein das! Aber nicht nur Raben klauen wie die Raben. Miethaie etwa sind aalglatte Diebe, die das Wohnen schweineteuer machen und wie die Made im Speck leben.

Gibt es denn keine ermutigenden Beispiele?

Doch, aber die sind selten. Die kluge Kuh tarnt sich hier als Coup, dort als Q und ist somit der einzige Begriff, den es klanglich in verschiedener Schreibweise mit allen drei Artikeln gibt. Bärenstark, oder? Gutmütige Spezies sind im Aussterben begriffen: Ob es Bücherwürmer und Leseratten in der durchdigitalisierten Welt noch geben wird … – oder heißen sie dann E-book-worms? Junkfood bläht Wespentaillen weg, der Löwenmut stirbt in der egoistischen Gesellschaft aus. Vögeln kann rattenscharf sein und saugeil; andere halten es partout für Schweinkram.

Das klingt jetzt nach Katzenjammer, Herr Professor?

Versuchen Sie nicht, mich ins Bockshorn zu jagen. Selbst unser schöner Elfenbeinturm ist negativ konnotiert. Knallfrösche sorgen für Schrecken in jeder Silvesternacht. Und die Feuer-und Rauch-Amphibien, auf Vulgärdeutsch Pyros, haben die Bundesliga im Würgegriff.

Apropos Fußball, Herr Professor: Der Bundestrainer …

… heißt passenderweise Löw, mit Vornamen Jogibär. Vor dem Spiel heute gegen Italien ließ er wissen, der Gegner spiele durchtrieben „wie der Wolf im Schafspelz“. Womöglich hat Löw an seine Trainerkollegen Rolf Schafstall und Wolfgang Wolf gedacht. Was er wohl meint: Die Italiener sind fußballerische Rosstäuscher, sie geben sich mausgrau, sind aber bullenstark. Wenn die Deutschen ohne ihren verletzten Schweini und mit Hummels und Adler nur auf der Bank zu hasenfüßig agieren, werden die Azzurri sie Gans sicher durch den Fleischwolf drehen. Heißt dieser Stürmer nicht Bellotelli?

Professor Hirsch-Wurz, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.