Die Wahrheit: „Interessiert kein Schwein“? Doch!

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (143): In der Ukraine starb das Myrhoroder Schwein aus, andere Artgenossen sind in Not.

Ein Schwein guckt in der Ukraine in die Kamera

Ukrainischer Buddy, betrauernd die leider seit 2018 dort nicht mehr vorkommende Fettschweinrasse Foto: Imago

In der Sowjetunion wurde die Wirtschaft so organisiert, dass die einzelnen sozialistischen Länder bestimmte Wirtschaftsgüter für alle produzierten, die ihnen traditionell sowie vom Klima und Boden her lagen. So war Weißrussland das Kartoffelland, Moldawien das Wein- und Tomatenland, und die Ukraine produzierte Weizen, Mais und Schweine. Es kursierten viele Witze über die Ukrainer und ihre Vorliebe für Speck – am liebsten von ihrer eigenen Fettschweinrasse: dem Myrhoroder Schwein.

Diese meist grau-gefleckte Rasse wurde nahe der Stadt Myrhorod in der Oblast Poltawa vom Agronomen A. F. Bondarenko gezüchtet, indem er ukrainische kurzohrige Buntschwein-Sauen mit Ebern aus englischen Rassen (Berkshire-, Yorkshire- und Tamworth-Schweinen) kreuzte. Dazu kreierte er den „Poltawa-Speck“. Seine Myrhoroder-Rasse wurde 1940 offiziell als Rasse anerkannt. Sie gilt als gut an das ukrainische Steppenklima und -futter angepasst – jedoch nicht an die Afrikanische Schweinepest (ASP).

Bereits 2007 war das ASP-Virus „aus Afrika, vermutlich über den Schwarzmeerhafen von Poti, nach Georgien eingeschleppt worden und hat sich seither über mehrere transkaukasische Länder nach Russland, Weißrussland und die Ukraine eingeschleppt“, teilte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft mit. Als ursprüngliches „Erregerreservoir“ gelten Warzen- und Buschschweine sowie auch Zecken, die selbst nicht am ASP-Virus erkranken.

Wildschwein als Überträger

Außerhalb der Familie der Echten Schweine ist das Virus ungefährlich. Bei den Schweinen ist die Ansteckungsgefahr mit ASP geringer als mit der Europäischen Schweinepest (ESP), beides sind jedoch anzeigepflichtige Tierseuchen. Und für beide wird das Wildschwein als Überträger angenommen.

Die Jäger schießen sie nun wie blöd ab, denn es traten auch hier die ersten ASP-Fälle in Schweinebetrieben auf, obwohl ein mehrere hundert Kilometer langer „Schutzzaun“ an der Oder infizierte Wildschweine eigentlich abhalten sollte, aus Polen einzuwandern, damit „Deutschland eine ‚weiße Zone‘ ohne ASP-Gefahr“ bleibt, wie topagrar.com schrieb.

Fatale Schweinepest

Im Januar 2015 hatten die ukrainischen Veterinärbehörden die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) informiert, dass im Jagdrevier Desnyansko-Starogutsky ein totes Wildschwein gefunden wurde, das an der Afrikanischen Schweinepest starb. Im Juli wurden bereits 60.000 Zucht- und Mastschweine gekeult, nachdem festgestellt worden war, dass in einer der größten ukrainischen Schweinefarmen, „Kalita“, ASP ausgebrochen war. „Der direkte Schaden wurde auf sieben Millionen Dollar veranschlagt.

Das Unternehmen ist gegen ASP nicht versichert, weil weder in- noch ausländische Versicherungsunternehmen bereit waren, das Risiko einzugehen,“ wie die „Zentrale Markt- und Preisinformationen GmbH“ mitteilte. „Der Schaden für das Unternehmen geht aber noch weiter. Die Quarantänezeit für Zuchttiere erstreckt sich über ein ganzes Jahr, bevor wieder Tiere ausgestallt [verkauft] werden können. Für die ukrainische Wirtschaft vergrößert sich der Schaden noch dadurch, dass die florierenden Exporte von Schweinefleisch nach Russland 2015 gesperrt wurden. Sie betrafen rund 93 % der Ukrainischen Exporte.“ Ebenfalls 2015 musste ein anderer ukrainischer Großbetrieb 95.000 Schweine töten.

Ukraine-Futter fehlt deutschen Schweinen

Die Ukraine importierte selbst tonnenweise Schweinefleisch – unter anderem aus Deutschland. Umgekehrt wurde mit Beginn des Krieges Ende Februar das aus der Ukraine kommende Futter für die hiesigen Schweine knapp. Deswegen fordern jetzt die Großschlachterei Tönnies und die Schweinezüchterverbände höhere Preise. Selbst den Biobauern geht das aus der Ukraine stammende Öko-Tierfutter aus: „Für gentechnikfreies Futter gibt es keine anderen Lieferanten“, so der Präsident des Landvolks Niedersachsen.

Aber es fehlt auch an Schweinefutter in der Ukraine, wie agrarheute.com jetzt mitteilte. Wegen des Krieges „bittet der Verband der ukrainischen Schweinezüchter um Hilfe in Form von Schweinefutter und Tierarzneimittel“. Er wandte sich an Organisationen der Schweinehaltung in der ganzen Welt und bat um humanitäre Hilfe für die 1.400 heimischen Schweinehalter.

Die rechtsextremen „Asow-Kämpfer“, die Mariupol verteidigen, tunken derweil ihre Patronen, die sie gegen muslimische Einheiten aus Tschetschenien einsetzen, in Schweinefett, berichtete Die Zeit unlängst.

In den vergangenen 30 Jahren ist der Schweinebestand in der Ukraine von etwa 20 Millionen Tieren auf gut 6 Millio­nen Tiere geschrumpft. Ein Grund dafür ist laut landwirt-media.com, dass viele kleine Schweinehalter aufgegeben haben. In der Ukraine werden immer noch rund 40 Prozent des Schweinefleisches in sogenannten Hinterhofhaltungen produziert. Viele Familien haben ein paar Schweine für den Eigenbedarf und den Verkauf auf kleinen Märkten. Professionelle Schweinebetriebe hielten dagegen in der Ukraine oft mehrere Tausend Tiere.

So etwa der Betrieb des „weichenden Erben“ eines Landwirts aus Österreich. Er übernahm eine aufgelöste Kolchose, wo er nun 4.500 österreichische Schweine hält. Einer der größten Schweinehaltungsbetriebe der Ukraine ist in dänischer Hand und vernutzt dänische Schweine. 2019 wurde der Betrieb von der Afrikanischen Schweinepest heimgesucht.

Viele US-Investoren in ukrainischen Agrarbetrieben

Etwa 40 ukrainische Agrarbetriebe sind in deutscher Hand, die meisten bewirtschaften jeweils etwa zwei- bis dreitausend Hektar Land. Investoren aus den USA steigen gerne direkt in ukrainische Agrarbetriebe ein. Für Frédéric Mousseau, Strategiedirektor des kalifornischen Oak­land-Instituts, ist die Sache bereits klar – die Agrarkonzerne haben ihre Investitionen derart erhöht, dass es einer „Übernahme der ukrainischen Landwirtschaft durch westliche Firmen“ gleichkomme.

Aber auch östliche Länder sind nicht untätig: So erwarb China 100.000 Hektar Ackerland in der Schwarzerde-Region, das auf drei Millionen Hektar vergrößert werden soll. Neben dem Futtermittelanbau sollen darauf vor allem Schweine für den chinesischen Markt gezüchtet werden. Die chinesische Agro-Holding Cofco ist einer der größten Arbeitgeber in der ukrainischen Landwirtschaft und einer der größten Investoren in die dortige landwirtschaftliche Infrastruktur (über 200 Milliarden Dollar seit 2008).

Das Myrhoroder Schwein befindet sich noch immer auf der Liste der etwa 100 Schweinerassen, die es weltweit gibt – ist jedoch 2018 laut der Ukrainischen Akademie für Agrarwissenschaften ausgestorben, und zwar durch die Afrikanische Schweinepest (ASP).

Das Verschwinden der Myrhoroder Schweine ist für die Wissenschaft besonders tragisch, denn diese Rasse war eine der ersten, die von ukrainischen Forschern entwickelt wurde: Alle vier Schweinehaltungsbetriebe der Nationalen Akademie für Agrarwissenschaften, die Myrhoroder züchteten, fielen laut agrarheute.com „der Seuche zum Opfer. ‚Damit wurde das gesamte genetische Potenzial dieser Rasse ausgelöscht‘, heißt es in einer Regierungserklärung.“

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.