Die Wahrheit: Bettwanzen willkommen!

Neue Angebote für Übernachtungen in Insektenhotels. Der große Ansturm der schwirrenden Gäste kann kommen. Ein Saisonvorbericht.

Insektenhotel

Einladend liegt es da, das Insektenhotel Foto: Karsten Thielker

„Hören Sie mal, wie das Geschäft brummt!“ Hagen Sternburg, Geschäftsführer des Dorint Gang­lion Plaza in Bienenbüttel summt freudig erregt. Denn in den Insektenhotels des Landes stellen sich mit den steigenden Temperaturen endlich die sehnlich erwarteten Gäste ein. Ob familienbetriebene Pension, der Landgasthof Zur Goldenen Grille oder Luxuskette à la Best Wespern: Überall sirrt und surrt es geschäftig, werden Einfluglöcher gewienert, Insektenportiers geschult und Nektarbars bestückt, um für den großen Ansturm gewappnet zu sein.

Erstaunlich, dass der Hotelmanager unter diesen Umständen noch geduldig auf den Journalisten des Insektenreisemagazins Fernfühler eingeht. Ausführlich beantwortet der 47-tägige Hausbock unsere Fragen. Immerhin war selbst der Begriff „Insektenhotel“ bis vor wenigen Jahren kaum geläufig. Reisende Insekten, egal ob in Geschäften, touristisch oder auf Paarungsflug unterwegs, mussten irgendwo in der freien Natur, Erdlöchern oder dafür ungeeigneten menschlichen Behausungen übernachten.

Das ist heute zum Glück unvorstellbar. Die Kapazität der Insektenhotels beträgt allein in Deutschland mittlerweile siebzehn Trilliarden Gästebetten. Doch die ist auch nötig, denn der Anteil der kurzzeitreisenden Kerbtiere ist hoch. „Was wir nicht so gerne haben, sind größere Reisegruppen von Eintagsfliegen“, gibt Sternburg ehrlich zu. „Ein Insektenhotel ist schließlich kein Stundenhotel. Je mehr Eintagsfliegen kommen, desto öfter müssen die Zimmer vorbereitet werden. Das bedeutet dann viel mehr Arbeit für unsere Stubenfliegen.“

Er unterbricht kurz das Gespräch, um einem Gast zu helfen. „Die Schmeißfliegen fragen ständig nach dem Klo“, erklärt er entschuldigend und fährt fort: „Natürlich sind uns Gäste lieber, die auch mal länger übernachten. Gerade Puppen und Engerlinge haben wir sehr gerne hier. Ruhige Gäste, die dauerhaft bleiben, und wenig Ärger machen. Eine Maikäferlarve namens Udo Lindenberg lebt schon vier Jahre bei uns in der Madensuite.“

Schwierige Gäste

Solche Kunden sind ein angenehmer Kontrast zu den eher schwierigen Kandidaten. Exemplarisch nennt der Gastronom Termiten, die regelmäßig ihre Zimmer verwüsten, und Wespen, die sich schon vor der Freigabe des Frühstücksbuffets über die Auslagen hermachen. Heuschrecken wiederum seien dafür berüchtigt, oft unangemeldet in riesigen Gruppen einzufallen. Und Zikaden sind für lärmempfindliche Zimmernachbarn ein ebenso großes Ärgernis wie Bienen, die im Stock darüber trampelnd neue Tanzschritte einüben.

„Vergleichsweise harmlos“, schnarrt Hagen Sternburg und muss nun doch ein wenig grinsen, „sind die Nacktschnecken, die nach dem Besuch der Hotelsauna ohne Bademantel über die Hotelflure kriechen. Da beschweren sich eigentlich nur die Nonnenfalter und die Gottesanbeterinnen.“

Doch auch die individuellen Bedürfnisse gewöhnlicher Gäste sind logistisch harte Nüsse. „Es gibt so viele Sonderwünsche wie es Insektenarten gibt. Also unglaublich viele.“ Sternburg senkt die Stimme, ehe er weiter zirpt. „Ich muss sagen, so leidvoll es auch für die Betroffenen ist: Das gegenwärtige Insektensterben kommt uns im Gastgewerbe organisatorisch schon zupass. Unter den herkömmlichen Bedingungen war es oft leider kaum möglich, im Hotelalltag ausreichend auf die Forderungen des einzelnen Gastes einzugehen.“

Er zählt auf: „Die Hausstaubmilben wollen keine Bettdecken; denen genügt ein Kopfkissen. Flöhe wollen in einem fort unterhalten werden und verlangen täglich grundgereinigte Mundwerkzeuge. Den Fruchtfliegen musst du jeden Tag einen frischen Obstteller reinstellen, und die Käfer bestehen darauf, dass ihre Mahlzeiten ausschließlich von Feinkost Käfer geliefert werden. Heikel wird es auch, wenn Ameisen- und Bienenkönigin gleichzeitig buchen, weil wir nur eine Fürstensuite haben. Da kann es passieren, dass wir eine unserer besten Kundinnen an ein anderes Haus verlieren. Auf der anderen Seite mindert das Großaufgebot an Sicherheitsbeamten den Komfort für die übrigen Gäste. Alles hat immer zwei Seiten.“

Doch insgesamt, so hören wir, kommen die verschiedenen Arten erstaunlich gut miteinander aus, sofern sie einander nicht gerade auffressen, aussaugen oder abstechen. Für Insekten sind Toleranz und Diversität keine Fremdwörter, diese Werte werden auch aktiv gelebt. So stört sich niemand hier an Bettwanzen. Solange die keine Handtücher klauen oder die Minibar heimlich mit Wasser oder Blut auffüllen, sind sie gern gesehene Gäste.

Genügsame Gäste

Auch lässt sich in Insektenhotels das Souterrain hervorragend nutzen; Kakerlaken und Silberfischchen prügeln sich fast um die Zimmer dort. Oft ist das Untergeschoss, das man menschlichen Gästen gar nicht erst anzubieten bräuchte, schon früh im Jahr komplett ausgebucht. „Wir Insekten sind ohnehin genügsamer. Wer weiß, wie kurz das Leben ist, verschwendet die kostbare Zeit eben weniger mit kleinlichem Genörgel. Ausnahmen bestätigen die Regel.“

Man spürt, dass der Hausbock seine Gäste liebt. Eine Plage für ordentliche Insektenhoteliers wie ihn sind hingegen wilde Wirtstiere, die unzertifizierte Unterkünfte betreiben: die sogenannten Läusepensionen. Denn es sind vor allem die notorisch klammen und unbedarften Läuse, die auf derlei unseriöse Angebote hereinfallen. Speziell Filzläuse finden sich dann nicht selten in entwürdigenden Unterbringungssituationen wieder. Sternburg bemerkt korrekt: „In einem Haus des Insektenhotelverbandes wäre das nicht passiert. Aber manche werden offenbar immer erst durch Schaden klug.“

Eine weitere Herausforderung besteht in Marktgiganten wie Holyday Innsect mit ihren einfallslosen Standardzimmern mit Wildbieneninventar, Ohrwurmquartier und Florfliegenkasten, oder auch die auf montagesreisende Motten spezialisierte Kette Mottel One. „Hoffentlich überleben wir deren Preisdumping – dreimal auf Chitin geklopft.“

Unser Gesprächspartner wird nun doch ein wenig unruhig. Auch ist draußen gerade ein Reisebus mit Zecken angekommen. „Und jetzt schwirren Sie ab“, summt er. „Ich muss arbeiten!“ Ich breite meine Hautflügel aus, und mache mich auf den Flug in die Redaktion.

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kari

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