Die Wahrheit: Labertasche für die Ewigkeit

Am Samstag wird Margot Luther Käßmann 65 Jahre alt und geht in Rente. Auf ihr außergewöhnliches Leben und Wirken zurück schaut ein gewisser Gott.

Illustration: Ari Plikat

Eines Tages, anno domini 2009, schreckte Gott hoch. Gerade war eine 51-jährige Marburgerin zur neuen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt worden und hatte auf die Frage von Journalisten, ob sie schon mit Gott über die Probleme der Kirche geredet habe, geantwortet: „Wir sind in ganz gutem Gespräch.“ Im Gespräch? Mit mir? Wer ist die Laber­tasche? Wunderte sich der Schöpfer aller Dinge und wusste schon während der Frage die Antwort, schließlich konnte und kannte er als Unfehlbarer alles: Margot Luther Käßmann hieß die neue Spitzenkraft der Evangelen.

Gott erinnerte sich vage, dass die erste Frau auf dem Thron der Protestanten immer schon merkwürdige Namen vor sich hergetragen hatte: „Miss Ökumene“ wurde sie zum Beispiel genannt oder die „Anti-Madonna“, seit sie im Jahr 2006 zum Boykott von Madonna-Konzerten aufgerufen hatte, weil die amerikanische Popsängerin auf der Bühne am Kreuz hing und eine Dornenkrone trug. Ach, Gottchen, dachte der Allmächtige, wer sich mit meinem Früchtchen von Sohn gemein machen will, bitte schön, aber gleich die dicke Boykottkeule zücken?

Dauernd warf diese Käßmann auch grunzdumme „Glaubensbegeisterungsbücher“ auf den nimmersatten Bekenntnismarkt: „Fünf Minuten mit dem lieben Gott“ oder „Wie ist es so im Himmel?“ oder „Der Himmel öffnet uns die Tür“ hießen ihre Werke, die so spannend waren wie ein Seniorenabend im Gemeindehaus mit Kastanientierchenbasteln und Adventsliedersingen. Und mit der war er jetzt im Gespräch? Das musste ein sehr einseitiges sein, befand Gott, denn Deutsch sprach er nicht mehr besonders gern, seit die Deutschen mit ihren gebrüllten Befehlen die halbe Welt tyrannisiert hatten. Er raufte seinen schlohweißen Bart, kippte sich drei gut gefüllte Gläser edlen Brandy hinter die Binde und machte ein ausgiebiges Nickerchen. Die Amtszeit von Schwester Käßmann würde er locker durchratzen.

Plötzlich, nur vierzehn Jahre später, schreckte Gott erneut hoch. Was, schon 2023?!, staunte er. Hatte er etwas verpasst? Heute, am 3. Juni, war Käßmanns 65. Geburtstag. Endlich würde das Schnatterinchen in Rente gehen, freute sich Gott und stutzte, denn schon zu ihrem 60. Geburtstag vor fünf Jahren hatte sie großspurig angekündigt, den Ruhestand anzutreten, leider war sie nicht eine Sekunde ruhig geblieben. Im Gegenteil. Jeden Sonntag predigte Mutter Leppich im Blut-und-Sperma-Blatt Bild und verkündete dort ihre eigentümliche Weltsicht. Damit sei jetzt aber endgültig Schluss, versicherte die Ohrenquälerin Gott und der Welt, nun wolle sie für immer schweigen und nie wieder in Talkshows auftreten. Wer’s glaubt, wird selig, brummte Gott.

Bischöfin fürs Bizarre

Mit einem Mal wurde Gott gewahr, dass er während seines langen Schlummers einige bizarre Ereignisse verpasst hatte, die der früheren Bischöfin widerfahren waren, die allwissenden Archivengel im Himmel aber brachten ihn schnell auf den neuesten Stand. Der Höhepunkt ihres Schaffens war sicher im zweitausendzehnten Jahr nach dem Kreuzesschlag, als die Hochleistungschristin in den Pfuhl der Sünde fiel. Bei einer Trunkenheitsfahrt im nächtlichen Hannover überfuhr die Tochter eines Kfz-Mechanikers eine rote Ampel und wurde von Ordnungskräften gestoppt, die einen Promillewert erheblich über den gesetzlich gebotenen Grenzen feststellten. Holla! Den hatte sonst nur Gott selbst intus, kicherte ebenjener.

Werfe der das erste Glas, der nicht selbst gern bechert, goss sich Gott kennerisch einen Konter-Brandy ein. Schließlich hatte er die ganze Mischpoke von Menschheit erst geschaffen. Die Ampelüberfahrerin aber trat seinerzeit zwar von ihrem Amt als Ratsvorsitzende zurück, verkaufte ihre lässliche Sünde jedoch tartuffe-gleich als positive Riesenschwäche, weil ihre Verfehlung sie im Glauben nur stärker gemacht habe, wie sie seiernd beteuerte. Prompt wurde sie von ihren Jüngern und Jüngerinnen auf dem nächsten Kirchentag „mit stehenden Ovationen“ gefeiert. Diese Christen sind wirklich das Dümmste, was ich mir je habe einfallen lassen, meinte Gott und schüttete noch reichlich Hochprozentiges nach.

Beben der Bekenntnisse

Auf der nach oben offenen Käßmann-Skala wurden die Bekenntnisbeben immer heftiger. Die gefallene Bischöfin verarbeitete ihr persönliches Leid in einem Innereien-Buch mit dem Titel „In der Mitte des Lebens“, das pfeilgerade an die Spitze der Bestsellerlisten stürmte. Nach dem alten Gesetz: Mit Leichen im Keller machen Christen immer noch ihre besten Geschäfte.

In dieser schweren Zeit antwortete die Erfolgsautorin der Glaubenswochenschrift Die Zeit auf die schockierend blödsinnige Frage, ob sie eine Kultfigur sei: „Also, ich sehe nicht, dass ich Kultstatus habe.“ Angewidert von soviel gespielter Demut überlegte Gott, einen strafenden Blitz auf seine mediengeilste Dienerin darnieder sausen zu lassen, sprach dann aber doch lieber altersmilde die donnernden Worte: „Keine Chance, Baby! Du bist Kult! Denn Kult, das ist grauenhaftes Mittelmaß und bedeutet die Akzeptanz der doofen Masse!“

Zwei Brandy später hatte sich Gott ein wenig beruhigt und vernahm, dass die Scheinheilige ausgewandert war. Nach Amerika! Wo sie an einer Universität in Atlanta Unterschlupf fand und sich endgültig auf eine Stufe stellte mit einem bekannten Gottesmann, dessen Licht auch sie beleuchten sollte. In Atlanta ward der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King geboren und begraben, der schon „die 16-jährige Margot als Austauschschülerin in den USA einst zum Theologiestudium inspiriert hatte“, wie es in einem anhimmelnden Werbetext hieß. Angeekelt hätte sich Gott beinahe übergeben, nur die Ehrfurcht vor dem heiligen Geist in seinem Glas und Magen hinderte ihn daran.

Zurück in Deutschland saß Käßmann fortan zwar nicht mit Martin Luther King, aber mit Lotto King Karl im Fernsehen und wurde das, was sie immer werden wollte: Talkmasterin bei „3nach9“. Doch damit nicht genug: Die Königin der Christenherzen fand eine weitere sülzdumme Betätigung, sie prämierte Deutschlands schönste Friedhöfe, Grabsteine, Särge und Urnen. Leider streute sie sich dabei nicht als Urnen-Margot dekorativ Asche aufs Haupt, giggelte Gott und nahm einen tiefen Schluck. Und weiter kam Gott nicht, denn er las, was für eine bitterdumpfe Frage sich Käßmann in einer eigens für das Lockenwicklerblatt Für Sie verfassten Kolumne stellte: „Wo will ich hin mit meinem Leben?“

„Ach, Margottchen!“, rief Gott dem Wahnsinn nahe und gab der Was-auch-immer-Sucherin die einzig mögliche Antwort: „Wohin, wohin? Zum Sinn, zum Sinn!“ Dann fiel ihm sein halbleeres Glas aus der Hand, und er war so gott wie tot. Margot Luther Käßmann aber wird leben und labern noch hundert, wenn nicht tausend Jahr. In Ewigkeit. Amen. In Dreiteufelsnamen.

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