Die Wahrheit: „Sorry ist out, Victim ist in“

In der Politik wird sich immer weniger entschuldigt, dafür immer mehr Opferkult betrieben – mithilfe eines gewieften Fachmanns.

Domina Madonna.

Wenn es zu spät ist, „sorry“ zu sagen, dann wartet Domina Madonna Foto: reuters

Es ist noch gar nicht lange her, da gingen die Geschäfte von Burkhart Finte verdammt gut. Seine Agentur „Who’s sorry now“, angesiedelt im Zentrum des Berliner Regierungsviertels, lief wie geschmiert. Davon zeugt auch die Einrichtung: Fintes Büro ist ein lichtdurchflutetes Loft, sein gläserner Schreibtisch so groß wie der karminrote Porsche, der direkt vor der Haustür parkt. Im Hintergrund erklingt leise Musik, Elton John singt „Sorry Seems To Be The Hardest Word“.

Der Mittfünfziger trägt einen maßgeschneiderten Zweireiher und serviert „Kopi Luwak“: „Die Kaffeekirschen holt man aus dem Kot von Schleichkatzen, ungeheuer schmackhaft.“ Dazu gibt es hauchfeine Waffelröllchen aus dem Perigord. Finte lehnt sich in seinem glänzenden Ledersessel zurück und seufzt wehmütig. „In dem politischen Umfeld, in dem ich tätig bin, muss sich ja ständig jemand für irgendwas entschuldigen, und ich als sprachgewandter Dienstleister liefere die perfekten mundfertigen Worte dafür.“ Er schlägt eine Mappe auf: „Hier, Angela Merkel 2021 und die abgesagte Corona-Osterruhe:,Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler.'“ Finte schnalzt mit der Zunge. „Diese Wortwiederholung, exzellent. War mein Vorschlag!“

Die Pandemie sei für seinen Laden ohnehin sehr einträglich gewesen. „Jens Spahn im April 2020:,Wir werden einander in ein paar Monaten wahrscheinlich viel verzeihen müssen.' Genial, oder? Ist auch von mir. Oder noch mal die Kanzlerin:,Es tut mir leid, es tut mir wirklich von Herzen leid', hat sie Anfang Dezember 2020 gesagt, weil sie die Weihnachtsmärkte absagen musste.“

Finte wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Ist das nicht rührend?“ Dann weist er stolz auf die luxuriöse Einrichtung seines Büros hin, die Fußböden sind aus feinstem Marmor, die Papierkörbe aus Alabaster. „Als mein Vater Ende der 1960er Jahre mit dem Geschäft anfing, da textete er noch auf einer billigen Schreibmaschine in einer ungeheizten Besenkammer. Und dann hatte er, der alte Idealist, einen genialen Einfall“, Finte lacht dröhnend, „den Kniefall von Willy Brandt. So was furchtbar ernst Gemeintes könnte man heute natürlich nicht mehr machen. Doch seither ging es steil bergauf.“

Finsterer Finte

Fintes Miene verfinstert sich. „Aber Leute wie Friedrich Merz, die verderben nicht nur die Preise, die verderben das ganze Geschäft.“ Im September 2022 hatte er noch eine „salbungsvolle Entschuldigung“ für den CDU-Chef verfasst, nachdem dieser ukrainischen Geflüchteten „Sozialtourismus“ unterstellt hatte. „,Wenn meine Wortwahl als verletzend empfunden wird, dann bitte ich dafür in aller Form um Entschuldigung', das habe ich ihm Wort für Wort in den Tweet diktiert“, erklärt der PR-Fex.

„Aber dann? Die Asylbewerber beim Zahnarzt, das wäre perfekt für ein herzzerreißendes Sorry gewesen, aber nein, der feine Herr sieht ja ‚überhaupt keinen Grund‘, sich zu entschuldigen. Auch für die,kleinen Paschas' nicht. Da bleibt er einfach stur. Aber so war der eigentlich schon immer. Erinnern Sie sich an seine Büttenrede 2006, als er gesagt hat, Paris sei von marodierenden Afrikanern aus Kolonien besetzt und Deutschland solle das Elsass,billig zurückkaufen‘? Da habe ich mir die Hände gerieben, aber nix, kein ‚Verzeiht mir‘, gar nix.“

Als wir beiläufig den bayerischen Populisten Hubert Aiwanger erwähnen, schlägt Finte die geriebenen Hände über dem wohlfrisierten Kopf zusammen. „Ein antisemitisches Flugblatt, das ist doch, als würden Sie auf eine Goldader stoßen! Ich hatte die saftige Rechnung praktisch schon fertig und mir eine neue Kaffeemaschine bestellt. Und was tut der Depp? Behauptet, er solle,politisch und persönlich fertiggemacht werden'.“ Burkhart Finte streckt einen manikürten Finger in die Luft. „Da kam mir die zündende Idee!“

Helper Shelper

Er steht auf, öffnet einen der Palisanderholzschränke und holt eine Hochglanzbroschüre hervor. „Helper Shelter – Consulting & Support“ steht auf dem Deckblatt. Weiter heißt es: „‚Helper Shelter‘ berät und unterstützt politische Kampagnenopfer unmittelbar im Geschehen und auch in den Wochen und Monaten danach. Bei ‚Helper Shelter‘ finden Betroffene eine Wohlfühlatmosphäre, in der sie vertraulich und diskret über die Themen und Gefühle sprechen können, die sie im Zusammenhang mit der traumatisierenden Verfolgung, der sie ausgesetzt sind, bewegen und belasten.“

Finte setzt sich wieder hin, zieht eine Schublade in seinem gedrechselten Schreibtisch auf und holt eine weitere dicke Mappe mit gesammelten Zeitungsausschnitten heraus. „Dass ich da nicht schon viel früher draufgekommen bin! Hier, 2010:,Vatikan sieht Papst im Rahmen der Enthüllungen über Missbrauchsfälle als Opfer einer Kampagne.' Ha! OMG! Ich meine, der Papst! Einen besseren Klienten können Sie doch gar nicht haben, das ist quasi der Heilige Vater der Täter-Opfer-Umkehr!“

Der Betreiber von „Who’s sorry now“ lächelt breit. „Oder zwei Jahre später, Günter Grass und sein israelkritisches Gedicht, was wäre das heute für eine Steilvorlage, um seine angebliche Rufschädigung in ausführlichen – und kostspieligen – Sitzungen zu besprechen, natürlich auch in den Medien, ich habe da die besten Kontakte. Der Kerl ist aber ja leider schon tot. Egal. Die Liste der aktiven Kundschaft ist lang.“

Linke Kampagne

Finte knuspert ein handgerolltes Waffelröllchen. „Ich liefere das Komplettprogramm: Erst die provokante Äußerung. Dann die Kritik, Sie wissen schon, ‚Tabubruch!‘, ‚Brandmauer!‘, das erweitert meinen Kundenkreis um das …“, er verzieht kurz das Gesicht, „… linke Spektrum. Und zum Schluss die Kampagnenopferkampagne.“

Er schmunzelt. „Allein die AfD finanziert mir die nächsten sechs Monatsmieten, ich verhandele auf Provisionsbasis auch um Entschädigungen und Schmerzensgeld, da kommen Summen zusammen, ich sage Ihnen. Dazu die Freien Wähler, die sind jetzt richtig von der Kette, die CDU im Osten sowieso … Ich mache nächsten Monat eine Zweigstelle von ‚Who’s sorry now‘ in Thüringen auf. Und man muss natürlich auch international denken, Italien, Schweden, Ungarn, da warten lauter – Sie erlauben den kleinen Scherz – traumahafte Opfer auf mich!“

Burkhart Finte zwinkert verschwörerisch. „Sorry ist out, Victim ist in, das ist der Spirit der Zeit. Das hat der Merz verstanden, ich aber auch. Noch ein Käffchen?“

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