Die Wahrheit: Die Pissrinne von Dublin

Schlimme Viertel? Einfach absperren und damit verschwinden lassen, dachten sich die Stadträte von Dublin. Ein gutes Beispiel für deutsche Gegenden.

Harbour Court – welch klangvoller Name. Doch mit einem Hafen oder einem Hof hat die dunkle Gasse in Dublins nördlicher Innenstadt nichts zu tun. Die Dubliner haben sie „Piss Alley“ getauft, denn sie stinkt schon von Weitem nach Urin. Tag und Nacht lungerten hier Dealer und Prostituierte herum, und wenn ein ahnungsloser Tourist die Abkürzung von der Abbey Street zum Fluss Liffey nahm, wurde er unweigerlich ausgeraubt oder vermöbelt. Meistens beides.

Laut einem Almanach aus dem Jahr 1842 gab es in Harbour Court einen Regenschirmfabrikanten, einen Professor für Tanz und das italienische Warendepot von William Valentine. Heute hängt dort ein Schild: „Bitte hier nicht pinkeln oder kacken. Höchststrafe 500 Euro.“

Nun hat die Stadtverwaltung eine Lösung gefunden: Sie hat die Gasse einfach gesperrt, und – schwupps – sind Dublins Probleme mit Drogen, Müll und antisozialem Verhalten gelöst. Genial! Das Beispiel soll nun Schule machen. Es gibt weitere 18 Gassen, in die sich kein unbescholtener Mensch hineinwagt. Sie liegen alle auf der Nordseite. Regierung und Stadtverwaltung, die auf der vornehmeren Südseite der Stadt residieren, wollen auch diese Gassen absperren. Sie würden am liebsten die gesamte Nordseite dichtmachen. Das geht aber nicht, denn dort sind der Flughafen und die besseren Pubs.

Der Bürgermeister des Berliner Problembezirks Neukölln soll schon bei seinem Dubliner Kollegen Daithí de Róiste um Rat gefragt haben. Aber warum sich damit begnügen, nur einen Bezirk zu schließen? Warum nicht gleich ein ganzes Bundesland? Höckeland Thüringen käme dafür infrage. Was gibt es da schon zu sehen? Die Wartburg etwa, wo Martin Luther, der olle Antisemit, heute auf den Tag genau vor 504 Jahren ankam und ein Jahr lang unter dem Namen Junker Jörg lebte?

Hier stehe ich, der Zwischentitel

Um Weimar und das Bauhaus wäre es schade. Aber die Stadt könnte durch Grenzbereinigung nach Sachsen-Anhalt verlegt werden, schließlich sind es keine 25 Kilometer Luftlinie. Apropos Luther: Bis vor Kurzem gab es auf der Shankill Road in Belfast, einer Hochburg der protestantischen Terrororganisation Ulster Defence Association (UDA), ein Gemälde auf einer Giebelwand, das unter anderem Luther zeigte. Darunter auf Deutsch: „Hier stehe ich und kann nicht anders.“

Aber Belfast kann anders: Im Zentrum der nordirischen Hauptstadt gab es zahlreiche kleine Gassen, von denen viele durch die Luftangriffe der Nazis im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Die sieben erhalten gebliebenen „Entries“, wie sie heißen, wurden später aufgemöbelt. Es gibt kleine Läden und grandiose Pubs wie den Morning Star, eine ehemalige Postkutschenstation aus dem Jahr 1810. Man sollte die Dubliner Stadträte dort so lange einsperren, bis ihnen etwas Besseres einfällt als die Absperrung von Gassen.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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