EU-Gipfel in Brüssel: Krisen, Krisen, nichts als Krisen

Eigentlich wollten die Staats- und Regierungschefs beim Weihnachtsgipfel in Brüssel nur Erfolge feiern. Nun droht die EU zu zerbröseln.

Fünf EU-Flaggen auf Halbmast vor der EU-Kommission

Wegen des Anschlags in Straßburg hängen die EU-Flaggen in Brüssel auf Halbmast Foto: reuters

BRÜSSEL taz | Es ist der letzte EU-Gipfel vor dem Start in den Europa-Wahlkampf. Fünf Monate vor der Wahl des neuen Europaparlaments im Mai 2019 wollen die 28 Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag in Brüssel zeigen, dass ihre Union funktioniert und Reformen vorantreibt. „Wir müssen liefern, was wir versprochen haben“, fordert Gipfelchef Donald Tusk in seinem Einladungsbrief.

Doch kurz vor dem Treffen, das die Bürger beruhigen soll, macht sich Verunsicherung breit. Die britische Premierministerin Theresa May muss sich einem Misstrauensvotum stellen, der Brexit droht im Chaos zu enden. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron sucht eine Antwort auf die Revolte der Gelbwesten – und könnte dabei die strikten EU-Budgetregeln sprengen. Und dann ist da noch der Terror in Straßburg, die Regierungskrise in Belgien und der Budgetstreit mit Italien. „Wir haben Vertrauen in Europa“, sagt der Chefsprecher von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. „Zu allen Problemen liegen detaillierte Vorschläge auf dem Tisch.“

In der Tat: Zu den großen Themen dieses Gipfels – Brexit, Euro-Reform, Asylpolitik und neues EU-Budget – hat die Kommission geliefert. Leider spielen die EU-Staaten nicht mit. Besonders ernst ist die Lage beim Brexit. Gipfel-Chef Tusk hat für Donnerstagabend ein Krisentreffen der EU 27 (ohne Großbritannien) einberufen. Man wolle May helfen, heißt es in Brüssel. Doch wie? Weil niemand weiß, wie es in London weitergeht, will die EU nun die Vorbereitungen auf den „Worst Case“, einen Austritt ohne Vertrag, beschleunigen. Der 29. März 2019 – der Tag, an dem der Brexit kommen soll – wird zum Angsttermin.

Auch die Euro-Reform steht auf wackligen Füßen. Die EU-Chefs sind sich nach monatelangem Ringen zwar einig, dass der Euro-Rettungsfonds ESM gestärkt werden soll. Doch ein neuartiges Euro-Budget, wie es Frankreich und Deutschland gemeinsam fordern, ist immer noch heftig umstritten.

Es droht Streit

„Ich schlage vor, dass wir die Finanzminister anweisen, an einem Haushaltsinstrument des Eurogebiets zu arbeiten“, schrieb Tusk in seine Gipfel-Einladung an die Staats- und Regierungschefs. Die Niederlande und andere liberale und konservative Euro-Staaten, die sich in einer „Hanseatischen Liga“ zusammengeschlossen haben, könnten den Vorschlag jedoch niederstimmen. Beim Eurogipfel am Freitag droht also Streit.

Von den großen Visionen des französischen Staatschefs Emmanuel Macron war schon beim letzten Treffen der Eurogruppe vor rund einer Woche nicht mehr viel übrig. Einen Euro-Finanzminister wird es ebenso wenig geben wie eine parlamentarische Kontrolle der Eurozone. Die Währungsunion bleibt unvollendet und krisenanfällig.

Donald Tusk, EU-Ratspräsident, vor dem Gipfel

Wir müssen liefern, was wir versprochen haben

Statt als großer Reformer dürfte Macron bei diesem Gipfel als Defizitsünder dastehen. Denn seine Zugeständnisse an die Gelbwesten stoßen in Brüssel nicht auf Verständnis. Monatlich 100 Euro mehr Mindestlohn, Steuerbefreiung für niedrige Renten und steuerfreie Überstunden – diese Angebote werden die Neuverschuldung erhöhen und die Drei-Prozent-Grenze beim Defizit sprengen. Die strikten Stabilitätsregeln der EU halten der Krise nicht stand.

Nicht einmal Fortschritte in der Asylpolitik

Auch Kanzlerin Angela Merkel muss Federn lassen. Sie hat es bis jetzt nicht geschafft, der EU gemeinsam mit Macron neue Impulse zu geben. Vom „Aufbruch für Europa“ ist in Brüssel nichts angekommen. Nicht einmal in der gemeinsamen Flüchtlings- und Asylpolitik geht es voran.

Die Asylreform steht zwar noch auf der Gipfel-Agenda. Aber da sich die EU-Chefs bei der Dublin-Reform und der Verteilung der Flüchtlinge immer noch nicht einig sind, dürfte das Asylpaket der EU-Kommission aufgesplittet werden. Der Gipfel würde dann nur noch die unstrittigen Teile verabschieden können. Die von Merkel seit 2015 versprochene „europäische Lösung“ ist das nicht – sondern vielmehr ein Rückzug ins Nationale.

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