Einwanderung von Arbeitskräften: Bei Fachkräften punkten

Das Fachkräfteein­wan­de­rungs­­gesetz soll Arbeitskräfte locken, auch Geflüchtete können davon profitieren. Das Gesetz soll diese Woche verabschiedet werden.

Ein Mitarbeiter überprüft Verschlüsse einer Filteranlage

Deutschland braucht Fachkräfte, die die Ampel­koalition nun verstärkt aus dem Ausland anwerben will Foto: Jan Woitas/dpa

BERLIN taz | Normalerweise ist die Tagesordnung des Bundestags kein großes Thema. Doch nachdem sich SPD, Grüne und FDP wochenlang gefetzt hatten, ob und wann das Gesetz zum Heizungstausch endlich ins Parlament kommt, setzen sie ein weiteres Mammutprojekt nun demonstrativ und in aller Eintracht auf die Agenda: das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Die Botschaft: Wir können auch große Themen zusammen stemmen, und zwar „geräuschlos und im Zeitplan“.

Noch in dieser Woche, so kündigten es die Parlamentarischen Ge­schäfts­füh­re­r:in­nen von SPD, Grünen und FDP am Montag an, wird der Bundestag das Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung in zweiter und dritter Lesung beschließen. Mit dem Abbau von Hürden und dem Anreiz, die Familie nachholen zu können, sollen mindestens 75.000 Arbeitskräfte aus Ländern außerhalb der EU nach Deutschland gelockt werden. Und zwar Jahr für Jahr.

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, sprach von einem „Riesenmeilenstein“ für die Fachkräftegewinnung in Deutschland. Johannes Vogel von der FDP betonte, man stärke mit dem Gesetz die reguläre Einwanderung. Beim internationalen Wettstreit um Talente sei Deutschland derzeit nicht gut genug. „Wenn das Einwanderungsgesetz mit Punktesystem diese Woche durch den Bundestag geht, dann schreiben wir Geschichte“, zeigte sich Vogel zuversichtlich.

Die Grüne Irene Mihalic zeigte sich ebenfalls „rundum zufrieden“. Es gehe darum, „anzuerkennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, und die Rahmenbedingungen zu schaffen“. Den Grünen war es wichtig, dass angeworbene Arbeitskräfte leichter ihre Familien inklusive der Eltern nach Deutschland holen können.

Asyl­be­wer­be­r*in­nen dürfen Wechseln

Außerdem hatten sie sich dafür starkgemacht, dass Ausländer:innen, die bereits da sind, aber unter anderen Voraussetzungen eingereist sind, sei es mit einem Touristen­visum oder als Asylsuchende, nun leichter zum Arbeiten bleiben können. Geflüchtete, deren Asylantrag abgelehnt wird, sollen also bleiben können, wenn sie einen Job finden. Allerdings ist für diese Regelung eine Begrenzung auf all diejenigen Asyl­be­wer­be­r:in­nen vorgesehen, deren Antrag am 29. März dieses Jahres noch bearbeitet wurde.

„Menschen, die ohnehin schon in Deutschland leben, sind fortan nicht mehr vom leergefegten Arbeitsmarkt ausgeschlossen“, sagte dazu die grüne Innenpolitikerin Misbah Khan. „Damit beenden wir endlich die restriktive Migrationspolitik in der Erwerbsmigration der letzten Jahrzehnte.“

Neben diesen Neuerungen, die bislang noch nicht vorgesehen waren, bleibt der Kern des Gesetzesvorhabens: Zahlreiche Hürden für qualifizierte Ein­wan­de­re­r:in­nen sollen abgesenkt werden. Wer einen in Deutschland anerkannten Berufsabschluss hat, soll künftig auch kommen dürfen, um in einem Beruf zu arbeiten, der mit dem Abschluss nichts zu tun hat.

Auch wer einen Berufsabschluss hat, der in Deutschland nicht anerkannt ist, soll künftig kommen dürfen, sofern er oder sie zwei Jahre Berufserfahrung nachweisen kann. Zudem soll es möglich sein, einen Abschluss erst nach der Einreise in Deutschland anerkennen zu lassen. Dafür ist eine sogenannte Anerkennungspartnerschaft vorgesehen, in der sich Arbeitgeber und ein­ge­wan­der­te:r Ar­beit­neh­me­r:in zur Nachqualifizierung verpflichten.

Punkte auf der Chancenkarte

Außerdem sollen die geltenden Gehaltsschwellen abgesenkt werden, über denen der Lohn der Stellen liegen muss, für die ausländische Fachkräfte nach Deutschland kommen. Neue Grenze soll ein Wert von mindestens 45 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung sein, also etwa 3.200 Euro brutto im Monat.

Auch Personen, die bisher keine konkrete Jobzusage haben, sollen künftig nach Deutschland kommen dürfen. Dafür sieht der Gesetzentwurf mit der sogenannten Chancenkarte ein Punktesystem vor. Punkte gibt es für Qualifikation, Deutsch- und Englischkenntnisse, Alter, Verbindungen zu Deutschland sowie für Qualifikationen des oder der Partner:in. Dabei orien­tiert sich Deutschland an Ländern wie Kanada, die über ein solches System etwa die Hälfte ihrer Einwanderung organsisieren. Auch der Familiennachzug soll erleichtert werden.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) der das Gesetz zusammen federführend mit Innenministerin Nancy Fae­ser (SPD) erarbeitet hatte und Ende April in den Bundestag in erster Lesung eingebracht hatte, sprach am Montag von einem „Signal“, das Deutschland in die Welt sende. Auch er lobte noch einmal die „konstruktiven Verhandlungen“ und sprach vom Beweis, dass die Ampel mehr könne als nur Krisenmanagement. Damit das Gesetz seinen Zweck erfülle, brauche es nun aber eine „massive Anwerbekampagne der Wirtschaft“.

Von dort kamen am Montag positive Reaktionen auf die Einigung. Der DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks begrüßte die Einigung. Er sagte auch: „Wir müssen die vielfältigen Angebote zur Integration stärker vernetzen, um Fachkräfte aus aller Welt für uns zu gewinnen.“

Kritik von Union und Linkspartei

Deutliche Kritik kam dagegen von der Opposition. Der CDU-Abgeordnete Detlef Seif, sagte: „Hier wird nur den Menschen Sand in die Augen gestreut, weil die eigentlichen Probleme nicht gelöst werden“. Der Vize-Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion, Hermann Gröhe, erklärte: „Statt die Antragsverfahren zu beschleunigen, erhöht die Ampel die Zahl der Antragsberechtigten und verschärft so die bestehenden Probleme.“

Die Linken-Abgeordnete Gökay Akbulut sagte, der Gesetzentwurf orientiere sich „primär an den Interessen der Wirtschaft“ und müsse „dringend nachgebessert werden, damit das Recht auf Familienzusammenleben gestärkt und Nachzugsbestimmungen erleichtert werden.“

Der Bundesrat muss dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht zustimmen. Damit das Gesetz umgesetzt werden und mit Leben gefüllt werden kann, ist der Bund aber auf die Länder angewiesen. Sie sind zum Beispiel für die Anerkennung von Berufsabschlüssen verantwortlich, doch nur die Hälfte der Länder erfasst die Daten der bei ihnen lebenden Aus­län­de­r:in­nen zentral.

Deutsche Botschaften sind personell nicht vorbereitet

Doch auch der Bund muss noch ein paar Hausaufgaben erledigen. Einwanderungswillige scheitern derzeit oft daran, die nötigen Visa und Unterlagen zu bekommen, die deutschen Botschaften sind personell darauf nicht vorbereitet. In Koalitionskreisen heißt es, das Auswärtige Amt müsse sich nun darum bemühen, Personal in den Botschaften aufzustocken.

Per Verordnung will die Bundesregierung außerdem die Westbalkan-Regelung verlängern, über die Arbeitskräfte aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien nach Deutschland kommen dürfen. Die Grenze der Personen, die aus diesen Ländern jährlich einwandern dürfen, wird auf 50.000 Arbeitskräfte verdoppelt.

Neben der Anwerbung von ausländischen Fachkräften will die Ampel auch das inländische Arbeitskräftepotenzial besser heben. Parallel zur Fachkräfteinwanderung will sie eine Ausbildungsgarantie für alle Jugendlichen einführen und Betrieben mit einem Qualifizierungsgeld die Weiterbildung ihrer Beschäftigten im Zuge der Transformation schmackhaft machen. So will die Ampel verhindern, dass die beiden Themen gegeneinander ausgespielt werden.

Aktualisiert am 20.06.2023 um 09:05 Uhr. d. R.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.