Experte über deutsche Salafisten in Syrien: „Nicht sich selbst überlassen“

Der Bürgerkrieg in Syrien zieht deutsche Salafisten an. Der Staat muss auf diese Radikalisierung reagieren und Rückkehrern helfen, sagt Experte Michael Kiefer.

Salafismus mit friedlichem Anlitz: betende Anhänger des Predigers Pierre Vogel bei einer Kundgebung im September in Frankfurt Bild: dpa

taz: Herr Kiefer, mehr als 200 deutsche Islamisten sollen derzeit in Syrien sein, um im Bürgerkrieg gegen Machthaber Assad zu kämpfen, sagt der Verfassungsschutz. Werden diese Kämpfer hier gezielt rekrutiert, oder fahren die aus eigenem Antrieb dahin?

Michael Kiefer: Das wissen, wenn überhaupt, nur die Geheimdienste. Aber wir können davon ausgehen, dass diese jungen Leute aus salafistischen Gruppen stammen und sich dort dann relativ rasch radikalisiert haben. Diese Gruppen sind aber nicht in festen Moscheegemeinden organisiert.

Handelt es sich dabei nur um Salafisten?

Es gibt in Westeuropa derzeit eine Vielzahl von islamistischen Gruppen, die Hilfe für Syrien organisieren. Das reicht von humanitärer Hilfe und Medikamenten bis zum Geld sammeln, um Waffen für Kombattanten zu kaufen. Aber in der salafistischen Szene ist Syrien derzeit das zentrale Thema und ein großer Mobilisierungsfaktor, wie man an den einschlägigen YouTube-Videos im Internet ablesen kann.

Salafisten erkennt man rein äußerlich an ihren Bärten und ihren langen Gewändern, die Frauen tragen Ganzkörperschleier. Was unterscheidet sie aber ideologisch von anderen Islamisten wie den Muslimbrüdern?

In Ägypten konnte man sehen, dass die Muslimbruderschaft dort als politische Organisation aufgetreten ist und sich Wahlen gestellt hat. Bei den Salafisten war es bis vor Kurzem noch anders: Sie vertreten ein Konzept von Souveränität, hakkimiya, das alleine Gott zusteht und nicht dem Menschen. Deswegen hat man sich lange nicht an Wahlen beteiligt, sondern auf individuelle und demonstrative Frömmigkeit gesetzt. Da gibt es aber inzwischen ein Umdenken, wie etwa die Gründung der Partei an-Nur in Ägypten gezeigt hat.

ist Islamwissenschaftler und lebt in Düsseldorf. Gemeinsam mit Rauf Ceylan veröffentlichte der 52-Jährige das Buch: „Salafismus. Fundamentalistische Strömungen und Radikalisierungsprävention“ (Springer VS, Wiesbaden, 2013)

Wo liegen die ideologischen Wurzeln des Salafismus?

Das Spektrum ist außerordentlich vielfältig. Manche Gruppen orientieren sich an Scheich Nasiruddin Al-Albani (1914-1999), der einen Islam fernab von der Politik predigte. Und es gibt hochpolitisierte Salafisten, die sehr radikale Vorstellungen bis hin zum bewaffneten Kampf vertreten. Der Wahhabismus, also die Staatsideologie Saudi-Arabiens, spielt aber eine zentrale Rolle.

Wie modern ist diese Ideologie, die sich in den Gewändern der Vergangenheit kleidet?

Der Wahhabismus kann auf eine Geschichte von 200 Jahren zurückblicken. Ein Massenphänomen ist der Salafismus aber erst seit den 1970er-Jahren geworden, als sich die Bewegung weltweit ausgebreitet hat.

Was macht den Salafismus für deutsche Jugendliche attraktiv? In der Szene finden sich auffällig viele Konvertiten.

Sicher sind persönliche Faktoren wie Lebenskrisen ein Grund, sich der salafistischen Ideologie zuzuwenden. Dann ist es sehr wichtig, wer wen wann getroffen hat. Meist sind aber mehrere Faktoren im Spiel, man muss jeden Einzelfall betrachten. Man kann nicht sagen, bildungsferne Jugendliche oder Deutschtürken wären besonders gefährdet. Es gibt auch junge Konvertiten aus christlichen oder russlanddeutschen Familien.

Die Bundesregierung hat salafistische Hassprediger ausgewiesen und Vereine verboten. Müsste sie nicht mal in Saudi-Arabien vorsprechen, um den Propaganda-Import von dort zu unterbinden?

Würde das etwas nutzen? In der Tat sind die saudischen Bemühungen erheblich, da fließt unheimlich viel Geld. Aber im Internet ist eine Vielzahl von salafistischen Angeboten zu finden. Mit Verboten kann man dieser Bewegung deshalb nicht beikommen. Präventionsmaßnahmen bringen da mehr. Leider ist dieser Bereich in Deutschland noch unterentwickelt.

Auch wenn sie nicht zur Gewalt aufrufen, steht ihre ultraorthodoxe Auslegung des Islam doch im Widerspruch zu demokratischen Werten und der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wie soll sich die deutsche Gesellschaft zu den Salafisten verhalten?

Sofern sich Salafisten in ihren Predigten und Aktivitäten an gültiges Recht halten, fällt das unter die Religionsfreiheit, da hat der Staat keine Handhabe. Er muss solche Bewegungen schlicht und einfach zulassen, auch wenn es ihm missfällt. Problematisch wird es dort, wo Freiheitsrechte anderer Menschen eingeschränkt werden.

Ist die Gewalt in der salafistischen Ideologie angelegt?

Grundsätzlich ist der Salafismus in diese Richtung anschlussfähig. Aber deswegen können wir nicht die ganze Bewegung verbieten. Es gibt auch moderate Salafisten, deren Moscheegemeinden friedfertig sind und die eine Jugendarbeit machen, die Jugendliche von Gewalt abhält. Da kann man nicht sagen, denen muss man Einhalt gebieten.

Muss man mit moderaten Salafisten wie dem Leipziger Imam Hassan Dabbagh einen Dialog führen? Ist es richtig, ihn in Talkshows einzuladen, wie es Sandra Maischberger schon mal gemacht hat?

Ich würde diesen Leuten keine Plattform bieten, auf der sie ihre Ideologie verbreiten können. Die Salafisten wissen, sich in Szene zu setzen. Mit ihrer Koran-Verteil-Aktion haben sie gezeigt, wie man mit einem relativ geringen Aufwand ein sehr großes Medienecho erreichen kann. Die öffentliche Empörung hat ihnen noch in die Hände gespielt.

Wie kann man der Radikalisierung von Jugendlichen vorbeugen, die über den Salafismus in die Militanz abgleiten?

Das Spektrum der möglichen Maßnahmen reicht von der primären Prävention, die nicht zielgruppenspezifisch ist, bis hin zu indizierten Maßnahmen, die sich gezielt an Menschen richten, die schon straffällig geworden sind, wie bei der Arbeit mit Gefangenen. Für alle Maßnahmen braucht man aber andere Akteure.

Bei der primären Prävention geht es darum zu verhindern, dass Jugendliche in salafistische Kreise geraten - und bei der sekundären Prävention darum, dass sie von dort in die Militanz abgleiten?

Genau. In der Regel bekommt es das direkte Umfeld - also die Lehrer, die Leute im Jugendzentrum oder die Mitglieder der Peer Group - ja mit, wenn sich jemand radikalisiert. Da gibt es bei allen Menschen ein Fenster, indem sie sich zugänglich zeigen – das muss nur jemand machen. Denn irgendwann ist es zu spät. Wenn sie in relativ abgeschottete Gruppen abdriften, die ihre eigenen Diskurse führen, dann ist es schwierig, noch an sie ranzukommen. In Großbritannien gibt es weitreichende Präventionsprogramme. Ein Blick nach dort könnte uns Impulse geben, was sich hier noch verbessern lässt.

Was sollte denn mit denen passieren, die aus dem Bürgerkrieg in Syrien nach Deutschland zurückkehren?

Derzeit betrachten wir sie nur als Gefährder und lassen sie durch die Verfassungsschutzbehörden beobachten. Wichtiger wäre es aber zu schauen: In welchem Zustand kommt der Mensch zurück? Wenn jemand als gestählter Kader aus dem Bürgerkrieg zurück kommt und terroristische Absichten hegt, dann ist er ein Fall für die Sicherheitsbehörden. Ist er aber traumatisiert und zurückgekehrt, weil er die Grausamkeit nicht mehr ausgehalten hat, dann muss man ihm helfen. Das wäre eine Aufgabe für die Jugendhilfe, die Stadt oder die Kommune. Auf jeden Fall kann man die Leute nicht sich selbst überlassen.

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