Expertin über geflüchtete Erzieher_innen: „Seit Jahren brennt es schon“

Familienministerin Paus will geflüchtete Erzieher_innen besser fördern. Delal Atmaca von DaMigra fordert eine bessere Ansprache im Jobcenter.

Eine Kinderhand hält einen Stift, eine Erwachsenenhand ebenso

Die Schule München-Odessa bietet Deutschunterrricht für Geflüchtete aus der Ukraine Foto: Florian Peljak/picture alliance

taz: Frau Atmaca, die Bundesfamilienministerin Lisa Paus will geflüchtete Erzieherin_innen besser in den Arbeitsmarkt bringen. Wie schätzen Sie diese Nachricht ein?

Delal Atmaca: Es ist tatsächlich positiv, was die Anerkennung von Berufen angeht. Aber die selektive Anerkennung von ausländischen Berufsausschlüssen ist schade. Und die Fachverbände fragen sich natürlich: Warum erst jetzt? Es wird seit Jahren gefordert, seit Jahren brennt es schon. Dazu kam die Studie der Bertelsmann Stiftung letztes Jahr.

Sie meinen die Studie, die berechnet hat, dass bundesweit etwa 384.000 Kitaplätze und etwa 100.000 Erzieher_innen fehlen.

Genau. Fachkräftemangel in Erziehungseinrichtungen besteht auch, weil diese Berufe nicht attraktiv sind. Mitarbeitende sind überarbeitet, werden schlecht bezahlt, Ressourcen fehlen. Das ist oft so in Berufen, die feminisiert sind. Viele Geflüchtete, die bereits als Erzieher_innen gearbeitet haben, würden natürlich gerne arbeiten. Aber es hat einen bitteren Beigeschmack, wenn unter dem Deckmantel von Integration und Systemrelevanz Zugänge geschaffen werden, die weiterhin stereotype Geschlechterrollen zementieren, und Betroffene immer noch an Hürden scheitern.

ist Geschäftsführerin und Mitbegründerin des Dachverbandes der Migrantinnenorganisationen (DaMigra e.V.). Sie studierte Rechtswissenschaften und Kooperationsökonomik und promovierte in Volkswirtschaftslehre.

Haben Sie ein Beispiel?

Das fängt dabei an, dass man immer einen Arbeitsnachweis braucht. Wenn ich aus der Ukraine fliehe, nehme ich vielleicht meinen Personalausweis mit, aber doch nicht meinen Berufsnachweis. Oder mein Diplom oder mein Abiturzeugnis. Das ist eine Hürde von vielen. Oder dass neu zugewanderte oder geflüchtete Frauen ihre Rechte oft nicht kennen, heißt, Arbeitsagenturen müssen Informationen mehrsprachig und zugänglich zur Verfügung stellen.

Gibt es da geschlechtsspezifische Unterschiede?

Klar. Geflüchtete Frauen haben oft keinen Zugang zu Sprachkursen, aber verlangt werden Sprachkenntnisse. Sie finden keine Kitaplätze. Auch bei ihnen ist das Patriarchat nicht abgebaut, die stereotype Rollenverteilung ist auch nicht anders als in Deutschland: Es wird verlangt, dass die Frau sich um die Kinder kümmert. Aber wenn sie in einen Sprachkurs gehen würden, hätten sie auch mehr Möglichkeiten.

Quasi ein Teufelskreis. Auf welchem Niveau sollten Erzieher_innen Ihrer Meinung nach denn Deutsch sprechen – ginge es im Zweifel auch ohne Sprachkenntnisse?

Es ist sehr wichtig, dass sie Deutsch können, für das gemeinsame Miteinander und die Verständigung. Aber es kommt auch immer darauf an: Gibt es schon fünf Erzieher_innen in der Kita, deren Muttersprache Deutsch ist? Dann können sie es auffangen, dass zwei geflüchtete Erzieher_innen noch nicht gut Deutsch können. Sie lernen dann im Alltag. Und es kommt auch darauf an, was das für eine Kita ist.

Inwiefern?

Wenn es eine Sprachkita ist, in der die Kinder türkisch-deutsch erzogen werden, macht es vielleicht weniger aus als anderswo. Aber alles ist Kontext. Zum Beispiel fehlen prozentual gesehen die meisten Erzieher_innen in Mecklenburg-Vorpommern. Da stellt sich die Frage: Wollen Geflüchtete in ländliche Regionen, in denen normalisierte rassistische Anfeindungen sie vielleicht mehr treffen? Man muss es ganzheitlich sehen.

Die Familienministerin spricht vor allem mit der Arbeitsagentur dazu. Was sollte Ihrer Meinung nach dort verbessert werden?

Behördenmitarbeitende sprechen die Frauen zu wenig an oder sagen zum Beispiel: Ach, du hast im Bereich Erziehung Erfahrung – schlagen dann aber nur einen Praktikumsplatz vor. Da fehlt Wertschätzung für Erfahrung und Leistung. Und zeitgleich gibt es Frauen, denen jahrelange Praxiserfahrung fehlt, die total gerne in der Kita oder der Schule ein Praktikum machen würden, um das Praktische zu erleben. Sie müssen gezielter angesprochen werden.

An welcher Stelle sollte das eingebracht werden?

Das kann beim Asylantrag schon gefragt werden, wenn es zum Beispiel um die Erfahrung geht. Aber auch bei der Beratung im Jobcenter könnte das besser angesprochen werden. Und gesamtgesellschaftlich natürlich auch: Die Menschen, die hierher nach Deutschland gekommen sind, verfügen über wertvolles Wissen und Fähigkeiten. Das muss Wertschätzung erfahren und gefördert werden.

Also braucht es vor allem Schulungen beim Personal, wenn ich es richtig verstehe?

Genau. Und wir müssen aufpassen, dass wir geflüchtete Frauen, die andere Erfahrungen mitbringen, nicht zu Quereinsteiger_innen machen. Oft wird übersehen, dass Frauen, zum Beispiel aus dem Iran, Irak oder afrikanischen Ländern, beispielsweise Ingenieurinnen sind. Wenn wir sie zu Erzieherinnen umschulen oder in Care-Berufe im Gesundheitswesen stecken, ist das keine Gleichstellung. Der Zugang zu Weiterbildung oder zum Arbeitsmarkt ist mit Schwierigkeiten verbunden und Barrieren müssen abgebaut werden. Die Politik sollte Veränderung vorantreiben und die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteur_innen vertiefen. Nur so wird die Theorie der Praxis gerecht.

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