Fachkräftemangel an Schulen: Hausaufgaben für die Sommerferien

Verzweifelte Lehrkräfte, überforderte Kinder: Für das Bildungsministerium gibt es in der schulfreien Zeit viel zu tun. Ein Blick auf die To-do-Liste.

Zwei Kinder putzen eine Tafel

Tafel bitte nicht putzen: Die Bil­dungs­min­s­te­r:in­nen haben Hausaufgaben für die Sommerferien Foto: Uwe Zuchhi

BERLIN taz | Vor den Sommerferien haben die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen ordentlich Hausaufgaben an den Bund verteilt. In einem vertraulichen Gespräch musste Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) dabei einige Wünsche ihrer Kol­le­g:in­nen aus den Ländern in ihr Heft notieren. Welche das waren, erklärten die verantwortlichen Mi­nis­te­r:in­nen am vergangenen Freitag einige Stunden vor ihrem Gipfeltreffen. Folgende Schulthemen stehen bei den Mi­nis­te­r:in­nen aktuell ganz oben auf dem Zettel.

Digitalisierung

Aus Sicht der Länder muss der Bund dringend den versprochenen „Digitalpakt 2.0“ auf den Weg bringen. „Der brennt uns am meisten auf den Nägeln“, sagte Hessens Bildungsminister Alexander Lorz (CDU), der in der Kultusministerkonferenz (KMK) die unionsgeführten Länder koordiniert. Sollte die Ampel ihre Zusagen aus dem Koalitionsvertrag nicht einhalten, wäre das „eine Katastrophe“.

Ähnlich äußerte sich auch Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD), der die SPD-regierten Länder vertritt. Er verwies auf der gemeinsamen Pressekonferenz am Freitag auf die „technische Verfallszeit“ von Tablets und anderen Geräten, die Schul­träger in den vergangenen Jahren angeschafft hätten. Lorz und Rabe zeigten sich beide alarmiert von „Gerüchten“, wonach sich der Bund aus der Finanzierung des Digitalpakts zurückziehen könnte. Sie appellierten an Stark-Watzinger, hier für Klarheit zu sorgen.

Der bereits laufende Digitalpakt endet 2024. Über ihn stellte der Bund im Jahr 2019 5 Milliarden Euro für den Ausbau der digitalen Infrastruktur an Schulen zur Verfügung. 500 Millionen steuerten die Länder bei. Während der Pandemie packte der Bund noch mal insgesamt 1,5 Milliarden für digitale Endgeräte und Systemadministration drauf. Laut KMK waren im März mehr als 80 Prozent aller Mittel gebunden. Wann und in welchem Umfang der Bund einen Digitalpakt 2.0 ausstatten würde, ist bislang nicht bekannt. Aus dem Bundesbildungsministerium (BMBF) heißt es, zum jetzigen Zeitpunkt könnten noch keine Zusagen gemacht werden.

Chancengleichheit

Der zweite Länderwunsch an den Bund betrifft das sogenannte Startchancenprogramm, das Prestigeprojekt von Stark-Watzinger gegen die anhaltend hohe Chancenungleichheit. Ab dem Schuljahr 2024/25 sollen bundesweit 4.000 Brennpunktschulen gefördert werden. Viele Fragen sind auch nach monatelangen Verhandlungen trotz erster Annäherungen zwischen Bund und Ländern weiter ungeklärt. Unter anderem die Finanzierung, die rechtliche Umsetzung und die genaue Mittelverteilung. Auch hier erwarten die Länder Bewegung beim Bund. Sie benötigten „endlich verbindliche Aussagen, um jetzt weiterzukommen“, sagte Lorz.

Vor allem fürchten die Länder, dass wegen des Startchancenprogramms am Ende nicht mehr genügend Geld für den Digitalpakt übrig sein könnte. Auch wenn das so niemand offen sagt: Die Länder werden ungern dem einen Programm zustimmen, solange das andere nicht unter Dach und Fach ist. Auch KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch (CDU) machte deutlich, dass diese Fragen im Gespräch mit Stark-Watzinger angesprochen würden.

Am Montag jedoch teilten mehrere Bildungsministerien auf taz-Anfrage mit, dass das Treffen „ernüchternd“ verlaufen sei. Heißt: Eine klare Zusage des Bundes zur Finanzierung der beiden Programme hat es nicht gegeben – was Stark-Watzinger allerdings auch nicht versprochen hatte. Eine Einigung beim Startchancenprogramm muss aber „bis Spätsommer“ her, damit das Programm wirklich noch im kommenden Jahr starten kann. Der Digitalpakt, so hört man bei den Ländern, werde nun „auf Ebene der MPs verhandelt“ – also der Ministerpräsident:innen. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) kündigte bereits an, in der Frage „Druck“ aufbauen zu wollen.

Lehrkräftemangel

Was bei dem Hin und Her mit dem Bund beinahe untergeht: Die KMK nimmt sich über den Sommer auch selbst in die Pflicht – zum Beispiel beim Lehrkräftemangel. Viele Länder sind gerade erst dabei, die Bedarfe für das kommende Schuljahr zu ermitteln. Sicher ist aber, dass vielerorts auch im Herbst wieder nicht alle Stellen besetzen werden können. Laut einer repräsentativen Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) blieben zu Beginn dieses Schuljahres bundesweit 50.000 Stellen unbesetzt.

Die Lage ist für die Ministerien äußerst ungünstig. Aus demografischen Gründen werden in den kommenden Jahren weniger Menschen Lehramt studieren, gleichzeitig gehen besonders viele Lehrkräfte in Pension. KMK-Präsidentin Günther-Wünsch betonte, dass die Ministerien jetzt ganz „grundsätzlich über das Lehramt nachdenken“ müssten. Im Fokus steht für die Länder dabei unter anderem auch das Duale Studium.

Bisher ist das Lehramtsausbildung geteilt in eine erste und zweite Phase, Studium und Referendariat. Dadurch ist sie vergleichsweise lang, durch die weitgehende Trennung von Theorie und Praxis sind die Abbrecherquoten im Studium hoch. Laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), ist die Abbrecherquote im Lehramtsmaster zuletzt von 9 auf 16 Prozent gestiegen. Von einem dualen Studium versprechen sich die Länder einen höheren Output in kürzerer Zeit. Bisher haben Schleswig-Holstein, Thüringen und Sachsen-Anhalt duale Studiengänge auf den Weg gebracht. Andere Länder haben dies angekündigt, zuletzt Baden-Württemberg. Die Länder haben bei der KMK-Sitzung vergangene Woche aber noch mal bekräftigt, dass auch die Hochschulen in der Pflicht sind, dass genügend Lehrkräfte nachkommen.

Ausländische Fachkräfte

Wie viel Potenzial in der Anerkennung von Lehrkräften aus dem Ausland liegt, zeigt eine Studie der GEW aus dem Jahr 2021. Demnach werden im Schnitt nur 20 Prozent der Anträge voll anerkannt. Rund 900 Lehrkräfte im Jahr gingen den Schulen so verloren. Bil­dungs­for­sche­r:in­nen empfehlen deshalb schon länger, die Sprachanforderungen erst einmal zurückzustellen und auch Lehrkräfte mit nur einem Schulfach anzunehmen. Das machen bislang nur einige Bundesländer.

KMK-Präsidentin Günther-Wünsch bekräftigte nun das Ziel, mehr Fachkräfte aus dem Ausland voll anerkennen zu wollen. Um das zu gewährleisten, hat die KMK auch eine personelle Aufstockung der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) beschlossen. Künftig sollen dort 400 statt bisher rund 330 Mit­ar­bei­te­r:in­nen arbeiten. Die Zahl der jährlich bearbeiteten Anerkennungsverfahren soll dadurch um 55.000 auf 255.000 steigen.

Die volle Anerkennung der sogenannten Ein-Fach-Lehrkräfte ist übrigens auch für das Lehramtsstudium in Deutschland im Gespräch. Der Bildungsforscher Klaus Klemm allerdings warnt vor ungewollten Nebeneffekten – etwa eine möglicherweise niedrigere Besoldung wegen der kürzeren Studienzeit oder die Frage, ob Ein-Fach-Lehrer für Erdkunde oder Religion auch die Klassenleitung übernehmen könne.

Lesekompetenz

Spätestens seit Veröffentlichung der Iglu-Studie im Mai stehen die Basiskompetenzen an Grundschulen auf der To-do-Liste der Ministerien. Mehrere Länder haben mittlerweile konkrete Pläne vorgelegt, wie sie die Lesezeit an Grundschulen erhöhen wollen. Die Bildungsministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Simone Oldenburg (Linkspartei), etwa hat angekündigt, im übernächsten Schuljahr eine verpflichtende Lesezeit von 20 Minuten in allen Grundschulklassen einzuführen – auch in Mathe und Sachkunde. Es gibt also viel zu tun. Schöne Ferien!

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