Gastkommentar zur Versammlungsfreiheit: Protest braucht Freiraum

Das Recht auf Versammlungsfreiheit muss vom Staat respektiert werden. Im Wendland wird es durch Verbote und Stacheldraht unterlaufen. Dieses Vorgehen können wir nicht akzeptieren.

Die Bilder aus dem Stuttgarter Schlossgarten vom 30. September 2010 haben sich in die Erinnerung eingebrannt. Wir werden nicht vergessen, wie ältere Menschen, Schülerinnen und Schüler mit Reizgas und Wasserwerfern angegangen wurden. Das Erschrecken über dieses Ausmaß polizeilicher Gewalt und die dadurch verursachten Verletzungen hat eine neue Öffentlichkeit erreicht.

Doch "Stuttgart 21" ist überall, und eine Konfrontation wie diese kein Einzelfall. Sie ist eine ständige Begleiterscheinung von Versammlungen und Protesten. Gerade erst wurde ein Beamter für sein Vorgehen am Rande der letztjährigen Demonstration "Freiheit statt Angst" verurteilt. Sosehr dieses Urteil zu begrüßen ist, so deutlich fordern wir, dass den Ursachen polizeilicher Übergriffe nachgegangen wird, dass Anweisungen an die Beamten geprüft werden und die offensichtlichen strukturellen Defizite in der Polizeiausbildung behoben werden.

Ausnahmezustand im Wendland

Protest braucht Freiraum. Das Recht auf Versammlungsfreiheit muss von allen staatlichen Stellen respektiert werden.

Im Zusammenhang mit den Anti-Atom-Protesten gegen den bevorstehenden Castor-Transport ist aber eine massive Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch die Staatsgewalt zu befürchten: durch Androhung und Ausüben von unmittelbarem Zwang, durch Einschüchterung aufgrund martialischen Auftretens und durch weiträumige Versammlungsverbote.

Schon jetzt herrscht im Wendland der Ausnahmezustand. Bahnstrecken sind mit Stacheldraht abgesichert, Kolonnen hunderter Einsatzfahrzeuge rasen über die Autobahnen. An Kontrollstellen, auf Autobahnparkplätzen oder Bahnhöfen, werden Bürgerinnen und Bürger, die ihre Grundrechte wahrnehmen wollen, festgehalten, ihre Taschen werden kontrolliert, und häufig werden auch die Personalien aufgenommen. Dieses generelle und grundlose Vorgehen, das auf Verdacht, Kontrolle und Überwachung setzt, akzeptieren wir nicht.

Belagerungsartige Zustände, wie sie sich Mal um Mal in Gorleben wiederholen, oder Einschüchterungsgesten, wie die Überflüge mit Kampfflugzeugen über Zeltplätze beim G-8-Gipfel in Heiligendamm, sollen Bürgerinnen und Bürger davon abschrecken, ein grundlegendes Recht auszuüben.

Versammlungsverbote entlang der Castorstrecke

Dieses Recht wird im Wendland auch dadurch unterlaufen, dass die Polizeidirektion Lüneburg ein generelles, entlang der Transportstrecke geltendes Versammlungsverbot ausgesprochen und zumindest ein Camp schon verboten hat. Sie versucht somit, berechtigten Protest von vornherein als illegitim zu erklären, und bereitet damit den Boden für unverhältnismäßige Polizeieinsätze. Ein deeskalierendes Konzept ist darin nicht zu erkennen. Doch gerade Deeskalation ist generell die Vorgabe für polizeiliche Einsätze.

Es kann nicht die Aufgabe der Polizei sein, den Protest gegen eine verfehlte Energiepolitik mit überlasteten und übernächtigten Einsatzkräften beiseitezuräumen oder räumen zu müssen. In der Vergangenheit wogen oft die Zeitpläne der AKW-Betreiber schwerer als das Demonstrationsrecht. Diese Politik nimmt überharte und unnötige Polizeieinsätze billigend in Kauf.

Wir fordern in Gorleben erneut unser Recht ein und fordern die staatlichen Stellen auf, die Grundrechte auf Versammlungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit zu schützen.

Die Autoren:

Malte Spitz, Bundesvorstand Bündnis 90/Die Grünen // Prof. Dr. Rosemarie Will, Vorsitzende Humanistische Union (HU) // Wolfgang Wieland, MdB Bündnis 90/Die Grünen, Sprecher für Innere Sicherheit // Peer Stolle, Vorstand Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.