Graichens Fehler: Bildet linksgrüne Banden!

Habecks Staatssekretär Graichen hat einen Fehler gemacht. „Bild“-Zeitung und Konservative schlachten ihn gnadenlos aus. Das ist Teil einer Kampagne.

Ein Mann liest Zeitung und ruft entsetzt " No"

Skandal um Graichen! Foto: McMillan Digital Art/getty images

Kolumnen werden ja total unterschätzt. Sie denken vielleicht, da kommt so ein Heiopei daher und wirft ein paar Zeilen ab, die ihm auf dem Weg zum Klo eingefallen sind. Aber nein: Kolumnen decken Missstände auf und bringen Mächtige zu Fall. Also nicht meine, aber die von den Kollegen.

Im Dezember 2021, da war die Ampel-Koalition keine zwei Wochen alt, schrieb Bernhard Pötter in seiner taz-Kolumne über die Familienbeziehungen im Wirtschaftsministerium. Das Ministerium ging damit offen um, und auch sonst störte sich niemand daran.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Das Interesse am grünen Familienclan änderte sich, als Robert Habeck und seine Buddies es wagten, in den deutschen Heizungskeller einzubrechen, also vorsichtig darauf hinzuweisen, dass eine neue Gasheizung vielleicht keine gute Idee ist. Seitdem läuft eine Kampagne der Bild gegen den „Heizhammer“, voller Lügen und Halbwahrheiten.

In die Aufregung platzte eine weitere Kolumne, die von Alexander Neubacher im Spiegel, der dort den vakanten Lehrstuhl für konservative Polemik von Jan Fleischhauer übernommen hat. Neubacher hatte die taz-Kolumne gelesen und ansonsten nichts Neues zu vermelden. Aber Bild und konservative Politiker hatten endlich, was sie brauchten: einen Fehler, den sie ausschlachten können.

In Deutschland wird nicht aus politischen Gründen zurückgetreten, sondern wegen persönlicher Fehler. Sie können Peter Altmaier sein und die Energiewende verschleppt haben, Sie können Manuela Schwesig sein und mit der russischen Diktatur schmutzige Geschäfte machen, Sie können Andreas Scheuer sein und hunderte Millionen Steuergeld in der Maut versenken. Alles eeeegaaaal.

Ein Kasten Bier auf Rücktritt

Zurückgetreten dagegen ist Kurzzeit-Familienministerin Anne Spiegel. Und zwar nicht gleich, als ihr Urlaub nach der Flut im Ahrtal bekannt wurde. Sondern erst, als klar wurde, dass sie der Bild nicht die Wahrheit gesagt hatte über ihre Teilnahme an Videokonferenzen des Ministeriums.

Linksliberalen wird gern vorgeworfen, moralisch zu sein. Aber eigentlich sind es ihre Gegner, die sich gern empören.

Als nun Patrick Graichen, Staatssekretär von Habeck und wichtigster Mitarbeiter für die Energiewende, nun auch noch zugeben musste, dass er seinen Trauzeugen für einen Spitzenposten vorgeschlagen hat, ohne das transparent zu machen, war der Skandal perfekt.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Graichen hat einen Fehler gemacht. Und ich wette einen Kasten Bier, dass er diese Affäre politisch nicht überstehen wird. Schließlich will Robert Habeck Kanzler werden. Und der kann es sich nicht leisten, wenn seinem engsten Mitarbeiter der Vorwurf der Korrumpierbarkeit anhängt.

Der weitere Verlauf ist vorhersehbar: Habeck wird an Graichen festhalten, bis ein weiterer Fehler öffentlich wird. Und der wird gefunden werden: In diesem Moment beugen sich zwei Dutzend Hauptstadtjournalisten über das Wirtschaftsministerium und sezieren jedes Stück Papier, das Graichen angefasst hat.

Es lohnt sich, die Aufregung als das zu begreifen, was sie ist: Als Teil einer Kampagne. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass konservative Medien und Politiker versuchen, die von ihnen verzögerten Reformen zu torpedieren. Diesmal sind es die Heizungspläne, als nächstes trifft es vielleicht den vegetarischen Cem Özdemir.

Was tun? In den kommenden Jahren wird mit härteren Bandagen gekämpft werden, am besten auch von links. Also: Bildet Banden, bildet linksgrüne Familienclans in Ministerien und Redaktionen! Eine linke Boulevardzeitung, die Konservative so hart anfasst wie der politische Gegner, das wär’ doch was.

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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