Greta Thunberg und Atomkraft: Wie viel CO2 macht eine Nebelkerze?

Konservative Medien behaupten, die Umweltaktivistin befürworte Atomenergie. Das ist nicht nur falsch – es ist ein bewusstes Ablenkungsmanöver.

Greta Thunberg guckt in die Kamera

Viel Rauch um nichts: Die konservative Kommunikationstaktik gegen Greta Thunberg Foto: dpa

BERLIN taz | Anscheinend ist ein Gutteil meinungsstarker älterer Männer in der Medienbranche nicht in der Lage, ordentlich zu zitieren. Am vorigen Sonntag gegen halb zwei postete Greta Thunberg etwas auf Facebook. Das ist für ein 16-jähriges Mädchen nicht ungewöhnlich. Trotzdem beschäftigte der Eintrag tagelang konservative bis rechte Medienschaffende vom Schweizer Blick über Focus, Welt bis hin zu Tichys Einblick und Russia Today (ja, warum die nicht ruhig mal in einem Atemzug erwähnen?).

Nicht fehlen durfte Jan Fleischhauer. Für den Spiegel schrieb er von „Thunbergs Bekenntnis zur Atomenergie.“ Im Online-Teaser, den der Journalist auf Twitter teilte, steht: „Greta Thunberg hat sich für die Atomkraft ausgesprochen.“ Das stimmt nicht. Wer sich Thunbergs Eintrag vom 17. März anschaut, findet dort explizit den Satz: „Personally, I am against nuclear power.“

Persönlich sei sie gegen Atomkraft, schreibt Thunberg also. Sie schreibt nicht, dass sie sich zu ihr bekenne. Jedoch verweist sie auf den Weltklimarat IPCC, der 2014 in einem Bericht namens „Milderung des Klimawandels“ die Rolle von Kernenergie als Teil einer kohlendioxid-armen Versorgung diskutierte.

Die oben zitierte Präzisierung, sie lehne Atomkraft persönlich ab, fügte Thunberg dem Ursprungspost am 20. März in einem Edit hinzu, was sie per Kommentar transparent machte. Der Spiegel-Online-Text erschien einen Tag später, ohne auf diese Aktualisierung Rücksicht zu nehmen. Doch auch zuvor schon dürfte es keinen Zweifel daran gegeben haben, dass Greta Thunberg nicht für Atommeiler wirbt.

Verwässerungen, Fehlübersetzungen, Umdeutungen

Ein ganzheitlicher, globaler Schritt nach vorne könne nicht passieren, solange man sich immer noch an der Frage aufhänge, „was denn jetzt mit Atomkraft sei.“ Das sei Zeitverschwendung und Verzögerungstaktik. „Let's leave that debate until we look at the full picture“, schreibt Thunberg. Aus „Lasst uns diese Debatte beiseitelegen“ macht Fleischhauer ein Bekenntnis zu Kernkraft.

Und nicht nur er: „Ich bin eigentlich gegen die Nuklearenergie“ zitiert Gabor Steingart auf Focus Online. Der ehemalige Spiegel- und Handelsblatt-Redakteur dürfte den Unterschied zwischen „eigentlich“ und „persönlich“ (personally) kennen. So liest sich der Satz bestenfalls als Fehlübersetzung. Oder aber als bewusste Verwässerung der klaren Aussage Thunbergs.

Die Bild will derweil im Thunberg-Post gelesen haben: „Auf der Suche nach einem globalen Weg nach vorn dürfe man auch die Atomkraft nicht verteufeln.“ Das ist entweder unsauber wiedergegeben oder verfälscht, über „Verteufelungen“ verliert Thunberg jedenfalls kein Wort. Und Bild-Cousine Welt titelt zum überarbeiteten Post am 20. März: „Plötzlich ändert Greta Thunberg ihre Meinung zur Atomkraft“. Eine offengelegte Präzisierung wird also zur ruckartigen Kehrtwende umgedeutet.

Ein letztes Beispiel dafür, dass die aktuelle Posse nicht nur eine Frage handwerklich gewissenhaften Journalismus ist: „Die Prophetin des Klimawandels plädiert für Kernenergie“, schreibt Josef Kraus für Tichys Einblick. Soweit, so falsch. Außerdem datiert er den Facebook-Post fälschlicherweise auf den 15. statt den 17. März. Das Sprachbild der Prophetin indes nutzt Kraus, wie auch Jan Fleischhauer im Spiegel, in Anlehnung an Kathrin Göring-Eckardt.

Polemik über Nebensätze lenkt ab von Inhalten

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende habe Greta Thunberg in einer Predigt in der Salvatorkirche Duisburg zur Prophetin erklärt, sagt Fleischhauer. So meldete es ja auch der Evangelische Pressedienst am 18. März. Fleischhauer klöppelte daraus eine ganze Kolumne über die angebliche Beatifikation einer jungen Frau. Nur: Liest man die Kanzelrede Göring-Eckhardts im Wortlaut (wofür ein Anruf bei ihrer Pressereferentin ausreichend ist), dann kann man feststellen, was mit der Parallelenziehung eigentlich gemeint war.

Der ehemaligen Theologie-Studentin Göring-Eckhardt Zufolge waren Propheten nämlich jene, „die aussprechen, was alle verdrängen, die hinschauen, wovor alle die Augen verschließen.“ Eine Heilserwartung klingt anders. Des weiteren formuliert Göring-Eckhardt, als hätte sie selbst vorhergesehen, was kommt: „Ich finde es geradezu entlarvend, wie wenig in der Öffentlichkeit inhaltlich über ihre Argumente diskutiert wird, und wie sehr man sich stattdessen auf die Person Greta Thunbergs kapriziert.“

Genau das passierte jetzt: Konservative Meinungsmacher suhlen sich selbstgefällig in Nebensätzen von Facebook-Posts oder Kirchenmetaphern und Goldenen Kameras. Auch für die persönliche Flugzeugbilanz der Berliner Fridays-For-Future-Organisatorin Luisa Neubauer interessieren sich rechte Blogger mehr als für die inhaltlichen Forderungen der Bewegung.

Das sind Nebelkerzen, die ganz schön viele Emissionen freisetzen – weil sie die die nötige Debatte über die Restrukturierung von Energiebudgets und Wirtschaftsordnung überdecken. Anstatt auf inhaltliche Argumente einzugehen, werden Satzfragmente absichtlich missverstanden oder Nebensächlichkeiten wie das Schuleschwänzen diskutiert. Hauptsache, man muss sich nicht ernsthaft mit „Fridays for Future“ und den existenziellen Bedrohungen durch den Klimawandel befassen. Manch einer macht lieber Nebel und stochert dann darin.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.