Indierock-Legende: Ein Underdog im Nobelhotel

Frank Black wurde als Frontmensch der Pixies zur Legende. Sein neues Soloalbum widmet der Unberechenbare dem Junkie-Rocker Herman Brood.

Musik für einsame Großstadtcowboys: Farnk Black Bild: michael halsband

Herman Brood beging 2001 Selbstmord, indem er von einem Hoteldach sprang. In seiner Heimat, den Niederlanden, war er da längst eine Legende. Ende der 70er-Jahre hatte er die Etiketten "Punk" und "Wave" verpasst bekommen, obwohl er damit nie etwas zu tun hatte. Brood war Maler und exzessiver Junkie-Rocker. In Deutschland ist er manchen höchstens deshalb ein Begriff, weil er zeitweilig mit Nina Hagen liiert war. Auf jeden Fall: Fans von Frank Black dürften mit Herman Brood bisher kaum in Berührung gekommen sein. Black selbst sagt: "Ich wusste fast nichts über ihn, bis ich auf YouTube das Video zu 'You Cant Break A Heart And Have It' gesehen habe. Sehr charismatische Performance." So beginnt die Geschichte des Konzeptalbums "Bluefinger", das eine fiktionalisierte Version der Lebensgeschichte Broods erzählt.

In dem Clip, der alles auslöste, sieht man, wie Brood sich am Klavier fast verausgabt. Die alte Rampensau konnte auch im Fernsehen - der Ausschnitt stammt aus einer holländischen TV-Show - nicht aus ihrer Haut. Herman Brood war ein Underdog, und deshalb fühlt Frank Black sich ihm verbunden, obwohl er selbst, streng genommen, gar kein Underdog ist. Denn Underdogs geben ihre Interviews nicht im 13. Stock des SAS Radisson Hotels in Hamburg. Der heute 42-Jährige war eben die Frontfigur der Indie-Rock-Pionierband The Pixies, die seit ihrer Auflösung vor vierzehn Jahren sogar noch enorm an Popularität gewinnen konnte - wie 2004/05 die große Reunion-Tournee bewies.

Auch wenn Frank Black sich über die Bandgeschichte hinweg gern als Diva aufgeführt hat - im Interview sagt er, der Einfluss der Pixies auf die Popgeschichte sei ihm selbst manchmal nicht geheuer: "Wenn es eine Person gibt auf der Welt, die bei Nirvana keinen Pixies-Einfluss heraushört, bin ich das", sagt er. Nimmt man allerdings nur die fast anderthalb Jahrzehnte als Maßstab, die er jetzt als Solokünstler aktiv ist, kann man Frank Black durchaus als Underdog bezeichnen. Er selbst spricht nüchtern von einem "Mangel an Erfolg".

Frank Blacks überschaubarer Erfolg als Solokünstler dürfte teilweise seinem Arbeitsethos geschuldet sein. "Ich muss jedes Jahr wenigstens eine Platte machen. Alles andere wäre mit meiner Energie nicht vereinbar", sagt er. "Einige Leute fragen, warum ich nicht die besten Stücke auswähle. Ich weiß nicht, welches die besten Stücke sind, sogar meine Fans wissen das nicht, niemand weiß es. Mich beeindruckt zwar, dass Van Morrison Material für zirka zwölf Alben im Archiv haben soll, das er nach Bedarf mit neuen Songs kombinieren kann. Aber ich kann so nicht arbeiten, ich kann nicht ertragen, dass ein Song herumliegt. Wenn ich eine Platte aufgenommen habe, will ich sie loswerden." Viele Musiker kontemplieren nach den Aufnahmen für ein Album über die richtige Reihenfolge der Songs. Frank Black indes findet das "langweilig. Von mir aus könnte die auch alphabetisch sein." Obwohl sich Frank Black aka Black Francis mehr Resonanz für seine Platten wünscht: Mit den Pixies hat er sich einen Status relativer Sorglosigkeit erarbeitet, die Comeback-Tournee brachte der Band allein in den USA 180.000 Dollar pro Show ein. Beiläufig und ohne einen Anflug von Protzigkeit erwähnt er Gespräche mit der Architektin seines neuen Hauses - weil sie aus Holland kommt, wie Brood.

Frank Black geht es also gut, und dafür, dass er gerade die Strecke Paris - Hamburg im Nightliner zurückgelegt hat, wirkt er beinahe aufgekratzt. "Ich schlafe gut im Bus", sagt er. Der Mann wirkt überhaupt ziemlich sportlich - trotz beachtlicher Körperfülle. "Bluefinger" sei gar nicht geplant gewesen, erzählt er, er sei bloß mit seiner Band im Studio gewesen, um einen Bonustrack für das Best-of-Album "93-03" einzuspielen, das Mitte Juni erschienen ist. Doch weil er gerade auf dem Brood-Trip war, kam eins zum anderen, zusätzlich zu dem Bonustrack noch Material für ein ganzes neues Album. Um viele seiner Platten ranken sich ähnliche Entstehungsgeschichten: 1998 brachte er ein Album, das Rick Rubin produzieren sollte, lieber in einer Demoversion heraus, weil ihm Eingriffe des Maestros als nicht zweckdienlich erschienen; 2002 kamen zwei Platten gleichzeitig auf den Markt. Beide Entscheidungen waren ökonomisch wohl kaum besonders clever.

Bezeichnend ist, dass er sich für "Bluefinger" wieder den Namen Black Francis zugelegt hat, sein Alter ego aus Pixies-Tagen. Das habe er "insgeheim vermisst", sagt er. In den Texten kommen Broods Ehefrau und dessen Tochter vor, aber auch John Lennon und Yoko Ono - und zwischen den Zeilen haben einige Fans auch Anspielungen auf Nina Hagen entdeckt. Das musikalische Spektrum von "Bluefinger" reicht von Songs, die an unterproduzierte Lou-Reed-Rocknummern erinnern, bis hin zu gesittetem Punkrock. Musik für jene einsamen Großstadtcowboys, die nach den Pixies oder Hüsker Dü in ihrem Musikleben keine nennenswerte Erschütterung mehr erlebt haben.

So hingerotzt und erfrischend klang Frank Black schon häufig - vor 2003, als er seine Begleitband The Catholics auflöste, sich Country, Folk und Blues zuwandte und Platten mit Nashville-Haudegen aufnahm. In gewisser Weise sind die Pixies schuld an der Umkehr. Die Erfahrungen rund um die Live-Reunion in 2004 hätten sein Songwriting stark beeinflusst, erzählt er. Nicht zuletzt die Kritik der alten Bandmitglieder an seinen letzten Soloplatten. Und als er jetzt im Studio stand, habe er sich einfach gesagt: "Ihr glaubt, ich weiß nicht mehr, wie man Rock-n-Roll-Songs schreibt? Ihr wollt verdammten Indie-Rock? Hier habt ihr ihn!"

Black Francis: "Bluefinger" (Cooking Vinyl/Indigo)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.