Initiative gegen Atomwaffen-Lager: Nuklearer Countdown in der Eifel

Eine Friedensinitiative in der Eifel kämpft seit Jahren gegen das Atomwaffen-Lager in Büchel. Im August soll in der Region die größte Friedensdemonstration des Jahres stattfinden.

Atomwaffengegner erinnern an den Beginn der Proteste gegen die Stationierung der amerikanischen Mittelstreckenrakete Pershing II in Mutlangen vor 25 Jahren. Bild: dpa

Hinter Büchel in der Eifel beginnt der Kalte Krieg. Unweit des Ortsausgangs markieren Schutzzäune und Betonbauten den Waldrand. Bunker sind zwischen den Bäumen zu erkennen, man erblickt die Leuchtfeuer der Start- und Landebahn. Immer wieder steigt ein Tornado auf oder nähert sich im Landeanflug. Mehrere Kilometer dehnt sich der Luftwaffenstützpunkt der Bundeswehr aus. Erst spät taucht ein Hinweisschild auf, "Fliegerhorst" ist zu lesen, wenig später ist dann auch das Haupttor zu sehen. Mehrere ausgediente Flugzeuge stehen hinter dem Zaun, in der Ferne ist der Tower zu erkennen.

Hier lagern Atomwaffen auf deutschem Boden. Nach dem Abzug der Nuklearwaffen aus dem pfälzischen US-Stützpunkt Ramstein im vergangenen Jahr sind es wohl die letzten in Deutschland. Deutsche Tornadopiloten üben hier den Einsatz mit amerikanischen Atombomben.

Die Wartung der Waffen liegt in den Händen spezieller US-Einheiten. In Büchel ist dies die 702. MUNSS (Munition Support Squadron), der nach Angaben des Berlin Information-Center für Transatlantic Security (BITS) rund 140 amerikanische Soldaten angehören. Nur diese US-Soldaten haben auch Zugang zu den Atomwaffen. Auf dem Fliegerhorst in Büchel gibt es zudem eine zusätzliche Wachmannschaft, die Luftwaffensicherungsstaffel "S", wobei S für Sonderwaffen steht. Es ist die einzige ihrer Art in Deutschland.

Darum ist Büchel in den Fokus der Friedensbewegung geraten, im August soll die Eifel zum Schauplatz der größten Friedensdemonstration in diesem Jahr werden. Mehrere tausend Teilnehmer werden erwartet, mit Bussen wollen sie aus der ganzen Bundesrepublik kommen. Mit der Rocksängerin Nina Hagen und der Schauspielerin, Autorin und Politikerin Barbara Rütting gibt es bereits prominente Unterstützung. Und dafür sind neben vielen anderen vor allem drei Menschen als treibende Kräfte verantwortlich. Der evangelische Pfarrer Matthias Engelke ist einer von ihnen.

In seinem Pfarrhaus in Lobberich am Niederrhein koordiniert er seit Jahren die Protestaktionen. Er sagt: "Solange in Büchel Atomwaffen lagern, so lange werden wir auch in der Eifel sein." Engelke ist Mitglied des Initiativkreises gegen Atomwaffen, einer kleinen Gruppe, die seit 2002 in der Eifel gegen die dort gelagerten Nuklearwaffen mobil macht. Seit sechs Jahren umrunden sie jährlich den Fliegerhorst. So wie die Juden in der Bibel Jericho. Bei der siebten Umrundung fiel Jericho, im August soll sich das symbolisch in Büchel wiederholen. Denn: "So wie Jericho damals, so soll heute die nukleare Teilhabe fallen", sagt Pfarrer Engelke. "Die Atomwaffen sollen aus Deutschland verschwinden und geächtet werden."

Büchel hat Matthias Engelke zum Pazifisten gemacht. Bevor er Gemeindepfarrer am Niederrhein wurde, arbeitete der Theologe als Militärpfarrer bei der Luftwaffe in Birkenfeld im Hunsrück. Die dortige Einheit war auch für Eifel-Fliegerhorst zuständig. "Dadurch kam ich ins Nachdenken und das öffnete mir die Augen", sagt Engelke.

Auch Rüdiger Lancelle will, dass die Atomwaffen aus Büchel verschwinden. Wie Engelke ist er Mitglied im Initiativkreis. Der 68-Jährige mit dem langen weißen Haar und dem sanften Blick war in der Studentenbewegung der 60er Jahre aktiv, engagierte sich im SDS, organisierte Mensa-Proteste in Frankfurt und war erster Bürgermeister des Studentendorfes der FU Berlin. "Bewegte Zeiten", wie er sich erinnert. Dann zog er in das beschauliche Cochem an der Mosel. Hier engagiert er sich nun seit Jahren in der Friedensbewegung. "Jeder, der ein wenig nachdenkt, weiß, dass solche Massenvernichtungswaffen Mensch und Natur zerstören. Darauf wollen wir immer wieder hinweisen, die Soldaten hier in Büchel ebenso wie die Menschen, die hier leben", so der frühere Konrektor der Cochemer Realschule.

Auch das idyllische Haus von Elke Koller in der kleinen Eifelgemeinde Leienkaul, unweit des Fliegerhorstes, ist seit vielen Jahren zu einem festen Anlaufpunkt für die Friedensbewegung geworden. Hier sitzen sie oft zusammen, um über die Proteste zu beraten, um die Aktionen vorzubereiten. Die 65-jährige Apothekerin, die 1980 hierher in die Eifel zog, engagierte sich bei den Grünen, war im Kreistag, kandidierte für den Landtag und organisierte den Protest gegen die Castor-Transporte entlang der Mosel. Heute gehört sie den Grünen nicht mehr an, sie verließ die Partei nach deren Zustimmung zum Kosovo-Militäreinsatz. Seit Jahren nun bestimmt der Protest gegen die Bücheler Atomwaffen ihre Arbeit. Sie tritt bei Ostermärschen als Rednerin auf, sie war gemeinsam mit Rüdiger Lancelle auf dem Kölner Kirchentag, um dort über die atomare Rüstung in der Eifel zu informieren. Unentwegt zeigt sie Flagge gegen die Atomwaffen in Büchel.

Engelke, Lancelle und Koller verleihen seit Jahren dem Protest in der Eifel ein Gesicht. "Viele wissen nichts von der nuklearen Gefahr, die von Büchel ausgeht. Oder sie wollen nichts davon wissen", sagt Elke Koller. Doch ihr Protest verlief bislang weitgehend ohne überregionale Resonanz. Es sind meist nur wenige, die seit mehr als zehn Jahren hier in der Eifel gegen die Atomwaffen demonstrieren. Mal sind es 150 Menschen, mal auch nur 50. Darum freuen sie sich, dass es in diesem Jahr anders wird. Zur siebten Umrundung des Fliegerhorstes. Seit 2001 arbeiten sie darauf hin. Immer getragen von dem Ziel, dass auch in der Eifel die Atomwaffen verschwinden. "Der Abzug der Atomwaffen aus Ramstein war ein erster wichtiger Schritt, dem nun auch Büchel folgen muss", fordert Elke Koller. Die Großdemonstration im August soll ein deutliches Signal werden.

All das bleibt in der eher konservativen Eifel, wo die CDU immer noch locker Ergebnisse weit jenseits der 50 Prozent einfährt, natürlich nicht ohne Widerspruch. "Die Bundeswehr ist einer der größten Arbeitgeber. Hier haben viele Angst um ihre Arbeitsplätze", schildert Elke Koller die Sorgen vieler Menschen in der Eifel. Sorgen, die auch die Menschen in Büchel bewegen. Büchel, das ist eine typische Eifelgemeinde, mit einer großen katholischen Kirche im Ortsmittelpunkt, mit zwei Bankfilialen, einer Tankstelle, an der gerne auch die Bundeswehrsoldaten anhalten, einigen Restaurants und einem kleinen Gewerbegebiet am Ortsausgang. Ein Eifelort wie viele andere auch. Wenn nicht die Bundeswehr hier wäre.

Für Richard Benz, den parteilosen Bürgermeister von Büchel, sind die Sorgen der Menschen in der Eifel vertraut: "Die Bundeswehr in Büchel ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region. Wir fürchten, dass bei einem Abzug der Atomwaffen dieser Standort in Frage gestellt wird", meint er. Argumente, die auch von der örtlichen CDU gerne vorgebracht werden. Argumente, mit denen sich auch Elke Koller immer wieder auseinandersetzen muss: "Hier wird vergessen, dass nach meinen Informationen allein der Unterhalt des Luftwaffenstützpunktes über 500 Millionen Euro kostet", rechnet Elke Koller vor. Das Geld sollte besser in alternative Projekte vor Ort gesteckt werden, damit neue Arbeitsplätze in der Eifel entstehen können, sagt Koller.

Immerhin: Auch in der Eifel beginnt langsam ein Umdenken. Die Bevölkerung ist den Protesten gegenüber aufgeschlossener geworden. Soldaten lassen sich auf Gespräche ein und mischen sich unter die Demonstranten, die lokale Polizei zeigt Verständnis für die Aktionen. Und stellten früher vor allem Demonstranten aus Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg das Gros bei den Demonstrationen, so kamen im vergangenen Jahr auch viele Menschen aus der Region. "All das wäre vor Jahren noch undenkbar gewesen, man fängt an, uns auf beiden Seiten des Zaunes ernst zu nehmen", so Elke Koller überzeugt. "Damals, als wir mit den Protesten hier anfingen, gab es viel Unmut unter der Bevölkerung", erinnert sich Roland Blach aus Kornwestheim, der Koordinator der Kampagne "atomwaffenfrei". Er gehört zu denen, die seit 1997 dabei sind. "Zwar gibt es immer noch hier keine große Bereitschaft, sich stärker an den Protesten zu beteiligen, aber wir merken eine gewachsene Nachdenklichkeit bei den Menschen", so Blach. "Wir haben uns all die Jahre nicht entmutigen lassen, auch wenn manchmal nur wenige vors Haupttor kamen bei den Kundgebungen. Die Proteste sind dennoch immer weiter gegangen, wir haben einen langen Atem bewiesen", betont Roland Blach.

Rückendeckung gibt es zunehmend aus der Politik. Im Bundestag liegen mehrere parlamentarische Initiativen aller Oppositionsfraktionen vor, in denen ein Atomwaffenabzug gefordert wird, und zahlreiche Bundestagsabgeordnete unterstützen die Forderung nach einem Abzug dieser Nuklearbomben aus Büchel. "Sowohl aus den Oppositionsparteien als auch aus der SPD", freut sich Elke Koller. Doch die Bundesregierung sperrt sich weiterhin gegen eine Aufgabe der nuklearen Teilhabe Deutschlands. Im Weißbuch von 2006 heißt es lapidar, dass die Regierung auf das Abschreckungspotenzial von Atomwaffen vertraue und die Bundesrepublik daher an der nuklearen Teilhabe als Bekenntnis zur Kriegsverhinderung und als Demonstration von Bündnissolidarität festhalte.

"Dabei wäre es an der Zeit, dass die Bundesrepublik ebenso wie vor sieben Jahren Griechenland diesen nuklearen Klub der NATO endlich verlässt und sich von Atomwaffen verabschiedet", betont die Friedensaktivistin aus der Eifel. Darum lässt der Initiativkreis nicht locker. Anfang des Jahres hat die Gruppe einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschrieben.

Nach dem Bericht der US-Luftwaffe fordert Lancelle nun "eine Stellungnahme der Bundesregierung."Auf unser Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel haben wir bisher keine Antwort erhalten." Von der Bevölkerung erwartet Lancelle nun mehr Verständnis für die Anliegen der Friedensbewegung bei der Demonstration im August. "Es zeigt, dass wir mit unseren Fragen zur nuklearen Teilhabe Recht haben und dass die Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden müssen. Ich habe die große Hoffnung, dass dieses Ziel schneller erreicht werden kann als noch vor kurzem erhofft." Sollte bis August keine Antwort der Kanzlerin vorliegen, kündigt der Initiativkreis schon jetzt an, "dass es in Büchel zukünftig keinen reibungslosen Ablauf mehr geben wird", so Pfarrer Engelke.

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