Interview mit Opferbeauftragten Kober: „Behörden müssen sich erklären“

Deutschland begeht erstmals einen Gedenktag für Terroropfer. Der Bundesopferbeauftragte Kober fordert, der Staat müsse mehr auf Betroffene zugehen.

Der Bundesopferbeauftragte Pascal Kober im Porträt

Fordert mehr Zugehen des Staates auf Terrorbetroffene: der Bundesopferbeauftragte Pascal Kober

taz: Herr Kober, am Freitag wird in Berlin erstmals der Nationale Gedenktag für Opfer terroristischer Gewalt begangen. Warum ist das ein nötiges Zeichen?

Pascal Kober: Terroristische Anschläge richten sich gegen die ganze Gesellschaft. Der Anschlag ist für den Täter Mittel zum Zweck, um seinen perversen Protest gegen die demokratische Grundordnung auszudrücken. Dem setzen wir ein Zeichen der Solidarität mit den Betroffenen entgegen: Die Opfer sind nicht allein, wir stehen zu ihnen. Wir sind uns bewusst, dass wir durch diese Taten als Gesamtgesellschaft getroffen sind und deshalb eine Verantwortung haben.

50 Jahre, FDP, ist seit Januar 2022 Beauftragter der Bundesregierung für die Anliegen von Betroffenen von terroristischen und extremistischen Anschlägen. Der Reutlinger und evangelische Pfarrer saß von 2009 bis 2013 und seit 2017 im Bundestag.

Der Gedenktag wurde erst Mitte Februar von der Bundesregierung eingeführt. Warum gab es ihn nicht schon früher?

Ich bin erst seit Jahresbeginn im Amt und kann das aus heutiger Sicht nicht vollständig erklären. Die Europäische Union hat bereits 2005 einen entsprechenden Gedenktag eingeführt. In Deutschland gab es dagegen lange eine Sprachlosigkeit des Staates gegenüber Opfern terroristischer Gewalt. Das hat sich erst mit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz 2016 verändert. Erst da begangen Diskussionen über einen besseren Opferschutz. Damals wurde mit Kurt Beck ein Ansprechpartner für die Opfer auf Bundesebene benannt. Er und sein Nachfolger Edgar Franke haben bereits vieles bewirkt. Die Einführung des Gedenktags war ein logischer nächster Schritt. Das Land hat einen Lernprozess durchgemacht. Ich kann es nur begrüßen, dass der Staat heute den Opfern so beiseite steht: Dass er die Betroffenen wahr und ernst nimmt und ihnen die zustehende Unterstützung gewährleistet.

Auf dem Gedenktag werden Sie oder Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprechen. Terroropfer selbst werden jedoch nicht vor Ort sein. Warum nicht?

Es war mir und der Koalition wichtig, dass dieser Gedenktag schon in diesem Jahr begangen wird. Das haben wir umgesetzt, in einem kleinen Rahmen – was einerseits der Corona-Pandemie geschuldet ist, andererseits der kurzen Vorbereitungszeit. Ich habe diejenigen Betroffenen, die mit unserer Geschäftsstelle in Kontakt stehen, angeschrieben und ihnen angekündigt, dass sich dies im kommenden Jahr ändern wird. Am Freitag wird Frau Petra Terhoeven von der Universität Göttingen sprechen, die zur Rolle von Terroropfern in modernen Gesellschaften forscht. Sie kann natürlich nicht für die Opfer sprechen, aber sie wird deren Perspektive einbringen.

Zuletzt beklagten die Opfer des Hanau-Anschlags, dass sie nach der Tat von Behörden schlecht behandelt und kaum informiert wurden. Ähnliches hörte man auch nach den Anschlägen in Halle, auf dem Breitscheidplatz oder beim NSU-Terror. Warum wiederholt sich das immer?

Jeder Anschlag stellt die Behörden vor neue Herausforderungen. Es ist aber wichtig, aus den Erfahrungen Schlüssen zu ziehen und Verbesserungen zu erreichen. Das genau ist meine Aufgabe. Ich möchte zum einen, dass die Beteiligten – Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichtsmedizin oder Versorgungsämter – besser geschult werden im Umgang mit traumatisierten Terroropfern. Und dass sie frühzeitiger das Gespräch mit den Betroffenen suchen, um ihr Handeln zu erklären und sich, wenn nötig, auch für Fehler entschuldigen. Der Rechtsstaat muss sich an bestimmte Grundsätze halten, aber er hat auch die Aufgabe, diese den Opfern zu vermitteln. So muss etwa Angehörigen gut erklärt werden, warum es wichtig ist, dass ein Todesopfer obduziert wird.

Genau das passierte in Hanau nicht.

Genau das passierte in Hanau nicht. Ja, die Kommunikation mit den Betroffenen dort hätte besser laufen müssen. Der hessische Innenminister etwa hat bis heute nicht mit den Opfern gesprochen. Es gab Missverständnisse und Verletzungen. Und das müssen wir dringend vermeiden, um das Vertrauen der Betroffenen in unseren Rechtstaat nicht zu erschüttern.

Viele Terrorbetroffene beklagen auch eine überbordende Bürokratie bei Hilfsanträgen. Was kann dagegen getan werden?

Hier muss und kann tatsächlich etwas getan werden. Wir brauchen einen Abbau dieser Bürokratie und einen einfacheren Zugang zu Hilfen. Das Ziel muss es sein, dass die zuständigen Stellen sich in Fallkonferenzen organisieren und selbst auf die Betroffenen zugehen, um sie über Hilfsangebote informieren – wie es heute etwa bei Unfallkasse geschieht. Wichtig sind auch dauerhafte Ansprechpartner. Damit wäre schon viel erreicht.

Viele Opfer leiden ihr Leben lang unter der Tat, können teils nicht mehr arbeiten. Braucht es mehr finanzielle Unterstützung für sie?

Die finanziellen Hilfen sind wichtig und zuletzt wurden ja auch die Härteleistungen bereits verdreifacht. Zudem gibt es inzwischen auch in mehreren Ländern Entschädigungsfonds, weitere sind in Planung. Das ist eine wichtige Entwicklung, weil mit den Geldern auch unbürokratisch geholfen werden kann.

Aber braucht es nicht mehr als einmalige Zahlungen, etwa eine Grundrente auch für Terroropfer?

Wir müssen uns immer den Einzelfall anschauen und wo finanzielle Hilfen nötig sind, sollten wir diese ermöglichen. Grundsätzlich sollte es aber unser Ziel sein, den Menschen Hilfen zu bieten, die ihnen eine Rückkehr ins Leben und den Berufsalltag ermöglichen. Entscheidend sind da etwa psychotherapeutische Angebote oder Traumatherapien, und das auf fachlich hohem Niveau.

Betroffene beklagen auch immer wieder einen mangelnden Aufklärungswillen der Behörden nach den Terrortaten und fehlende Fehlereingeständnisse. Was kann sich hier ändern?

Gerade die Opfer des Hanau-Anschlags haben diesen Punkt sehr deutlich gemacht. Und ich sehe auch, dass dieser Punkt für die Verarbeitung der Tat und des eigenen Traumas von großer Bedeutung ist. Es kann sein, dass nach solchen Taten nicht alles aufzuklären ist. Aber dann gilt, was ich eingangs sagte: Die Behörden müssen sich erklären und, wo nötig, auch entschuldigen. Wir dürfen die Betroffenen nicht mit offenen Fragen zurücklassen, das hat fatale Auswirkungen. Da tragen wir alle eine Verantwortung.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

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■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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