Karlsruhe zu Sozialleistungen: Mehr Geld für Flüchtlinge in Heimen

Das Bundesverfassungsgericht kippt Leistungssenkungen für Menschen in Sammelunterkünften. Sie wirschafteten nicht „aus einem Topf“, so die Begründung.

Provisorische Unterkunft mit Doppelstockbetten.

Wer hier wohnt, bekommt etwas mehr Geld: Flüchtlingsunterkunft in Freiburg Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

FREIBURG taz | Viele Asyl-Antragsteller:innen in Sammelunterkünften bekommen ab sofort mehr Sozialleistungen. Das Bundesverfassungsgericht hat die seit 2019 geltende zehn-prozentige Absenkung der Leistungen für Bewohner von Flüchtlingsheimen für verfassungswidrig erklärt. Die Annahme, die Flüchtlinge könnten „aus einem Topf“ wirtschaften, sei nicht empirisch belegt.

Flüchtlinge, die sich legal mehr als 18 Monate in Deutschland aufhalten, bekommen laut Asylbewerberleistungsgesetz derzeit 448 Euro pro Monat, entsprechend dem Hartz IV-Satz.

Seit einer Gesetzesänderung im September 2019 bekommen Flüchtlinge, die in Sammelunterkünften und Heimen leben, allerdings zehn Prozent weniger Geld, derzeit also 404.10 Euro. Begründung: sie könnten beim Einkaufen, Kochen und Putzen gemeinsam wirtschaften. Wer Familienpackungen nutzt, braucht weniger Geld. Auch alleinstehende Flüchtlinge werden damit behandelt wie Ehepaare, die gemeinsam in einer Wohnung leben.

Die damals regierende Koalition aus CDU/CSU und SPD fand das wirtschaften „aus einem Topf“ auch zumutbar, schließlich seien die Flüchtlinge eine „Schicksalsgemeinschaft“. Da könne erwartet werden, dass sie sich solidarisieren, um Spar- und Synergieeffekte zu erzielen.

40.000 Flüchtlinge profitieren

Schon im Gesetzgebungsverfahren gab es allerdings verfassungsrechtliche Zweifel, vom DGB über die Kirchen bis zu Pro Asyl. Die Annahme des gemeinsamen Wirtschaftens sei in hohem Maße unrealistisch. Dagegen spreche die hohe Fluktuation in den Unterkünften und auch die Herkunft aus verschiedenen Kulturkreisen. Wer unterschiedliche Essgewohnheiten und sonstige Bedürfnisse hat, kann beim Einkauf auch nicht sparen.

Im konkreten Fall ging es um einen Mann aus Sri Lanka, der seit 2014 in Deutschland lebt. Sein Asylantrag ist abgelehnt, er war dann geduldet und hat inzwischen ein Aufenthaltsrecht. 2019 lebte er in einer Unterkunft mit sieben weiteren Männern zusammen, vier kamen aus Eritrea und je einer aus Guinea, Somalia und dem Irak. Sie teilten nichts.

Das Sozialgericht Düsseldorf hielt die Neuregelung von 2019 für verfassungswidrig und legte das Verfahren deshalb dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Die Düsseldorfer Rich­te­r:in­nen nutzten dabei eine Mustervorlage der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).

Nun hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die entsprechende Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz beanstandet. Die Absenkung sei nicht gerechtfertigt. Auch drei Jahre nach Inkrafttreten der Regelung gebe es keine empirischen Erkenntnisse, dass Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften Einsparungen erzielen können. Die zehnprozentige Kürzung ihrer Leistungen verletze daher das „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“.

Von der Entscheidung profitieren nach Angaben im Karlsruher Beschluss unmittelbar rund 40.000 Menschen, die sich länger als 18 Monate in Deutschland aufhalten.

GFF-Expertin Sarah Lincoln fordert, dass auch Flüchtlinge, die weniger als 18 Monate in Deutschland sind, von dem Beschluss profitieren sollen, wenn sie in Sammelunterkünften leben. Sie bekommen derzeit ungekürzt 367 Euro und wenn sie in einem Asylheim leben nur 330 Euro. Über diese Konstellation hat das BVerfG nicht entschieden, weil der Mann aus Sri Lanka schon seit 2014 in Deutschland lebt.

Dass Flüchtlinge in den ersten 18 Monaten knapp zwanzig Prozent weniger Sozialleistungen bekommen, ist ebenfalls umstritten. Das Landessozialgericht Niedersachsen/Bremen hält auch dies für verfassungswidrig. Hierüber wird Karlsruhe in einem anderen Verfahren entscheiden. Az.: 1 BvL 3/21

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