Kasachstan und der Pluralismus: Ein Autokrat macht auf Demokratie

Präsident Nasarbajew will dem Einparteienparlament bei den Wahlen Pluralismus geben. Nach 21 Amtsjahren. In der Hochburg streikender Ölarbeiter glaubt daran niemand.

Ob er nach 21 Jahren des alleinigen Regierens mit harter Hand einfach die Lust daran verloren hat? Bild: dpa

Die Einschusslöcher sind notdürftig zugeschmiert. Tausende schwarz gekleidete Polizisten und Soldaten patrouillieren durch die Straßen, ausgerüstet mit schusssicherer Weste, Helm, Maschinengewehr und Schlagstock. Das ist die westkasachische Ölstadt Schanaozen vor der Parlamentswahl am Sonntag.

Um den ausgebrannten Sitz der örtlichen Ölfördergesellschaft zeigt ein Bauzaun aus Postern das glückliche Leben in Kasachstan. Die Farbfotos wirken wie von einem anderen Stern. Bei blutigen Zusammenstößen zwischen streikenden Ölarbeitern und Sicherheitskräften waren am 16. Dezember in Schanaozen nach offiziellen Angaben 16 Menschen getötet worden. Jetzt eilen Einwohner eingeschüchtert über die Straßen, über ihnen lächelt von einem Wahlplakat der Partei "Strahlendes Vaterland" (Nur-Otan) Staatspräsident Nursultan Nasarbajew.

Im Hof eines Plattenbaus steht Aischan, ihren richtigen Namen will sie nicht nennen. "Ich werde nicht wählen gehen", sagt sie. Die Frau, die den seit Mai währenden Ölarbeiterstreik unterstützt, berichtet von Verhaftungen und Einschüchterungen. Sie ist überzeugt, dass es am 16. Dezember weit mehr Tote gab. "Sie haben gnadenlos auf uns geschossen", sagt sie.

Nasarbajew verhängte damals über die 250.000-Einwohner-Stadt den Ausnahmezustand. Letzte Woche schloss der Verfassungsrat Schanaozen von der Wahl aus, doch ein Veto des Präsidenten ermöglicht den Urnengangt. Eigentlich soll die Parlamentswahl Kasachstan einen demokratischen Anstrich geben. Bisher sitzt in der Volkskammer lediglich die Regierungspartei, nun soll das Land mit 15 Millionen Einwohnern ein Mehrparteiensystem erhalten. Denn der 71-jährige Präsident plant nach 21 Amtsjahren die Machtübergabe. Dazu braucht er ein Parlament mit einer gewissen Legitimität. Bisher wurde keine Wahl in Kasachstan von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als "frei" und "fair" bezeichnet.

Als sicher gilt, dass neben der Regierungspartei lediglich die zentristische Akschol ("Weißer Weg") ins Parlament einzieht. Dass die eigentliche sozialdemokratische Oppositionspartei OSDP die Siebenprozenthürde überspringt, ist unwahrscheinlich. Deren bekanntester Politiker Bular Abilow wurde zu Wochenbeginn wegen einer fehlerhaften Steuererklärung disqualifiziert. "Die Wahl ist eine Farce", schimpft er.

Nasarbajew gab sich nach den Ausschreitungen einsichtig. Er tauschte den Provinzgouverneur aus und erklärte bei einem Besuch in Schanaozen die Forderungen der seit Mai streikenden Ölarbeiter für "berechtigt". Eine eiligst eingerichtete Auffanggesellschaft soll für Entlassene Jobs schaffen. In Schanaozen nahmen die Arbeiter das Angebot an. In der Stadt Aktau aber setzen knapp hundert Streikende den Protest fort. "Ich will meine Arbeit zurück", sagt der 53-jährige Begbolat Sisenbajew. Er streikt seit Mai. Auch er wird nicht wählen gehen.

Der neue Ölförderdirektor Alik Aiderbajew sagt: "Auch wenn der Streik illegal war, hätten wir auf die Arbeiter zugehen müssen." Der neue Gouverneur der Westprovinz kritisiert den Schusswaffeneinsatz der Polizei. Neben der öffentlich zelebrierten Einsicht setzt die Macht die Repressionen fort. Bis kurz vor dem Wahltag wurden Aktivisten der Ölarbeiter verhaftet.

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