Kinos nach der Pandemie: Mit Subway in die Sneak

Sie sind dunkel, klebrig und teuer. Ein Essay über die Liebe zum Kino und warum es nicht sterben darf.

Zwei rote Kinosessel

Die Seherfahrung im Kino formt uns als soziale Wesen: Kinositze im Admiralkino in Wien Foto: Robert Kalb/imago

Das Kino war schon immer ein Zufluchtsort für mich. Als Teenager verkroch ich mich vor den Sorgen zu Hause ins Multi­plex. Ein Ort, den man mit den Öffis erreichen konnte, gegen den die Eltern keinen Einwand hatten, wo man sich mit Freunden treffen konnte. Ein dunkler Raum, der unabhängig von dem Geschehen draußen existiert. Ein Saal, in dem die Realität verschwindet.

In meiner Abizeit entdeckten wir die Sneak Peak. Jede Mittwochnacht gingen wir in einen zufälligen Film für 5 Euro, der schon vor dem Kinostart gezeigt wurde. Davor kauften wir genügend Alk, manchmal schmuggelte ich ein Sandwich von Subway rein.

Illustration von Ali Arab Purian

🐾 Von der Kneipe an der Ecke bis zum solidarischen Garten in Bogotá: Junge Au­to­r*in­nen haben sich auf die Suche nach utopischen Ideen begeben. Die dabei entstandenen Artikel haben sie in einer Sonderausgabe der taz veröffentlicht.

Um 23 Uhr war das Kino voll, die Leute kamen aus dem ganzen Main-Taunus-Kreis. Aus der Sneak wurde ein kulturelles Event, wir im Saal hatten Insider. Wenn im Film jemand ans Telefon ging, schrie der ganze Saal „Wazzup“, wie in „Scary Movie“.

Jeden Mittwoch in die Sneak zu gehen, öffnete meinen Horizont für neue Genres und Filme, die ich sonst nie geschaut hätte – „Maudie“ oder „The Autopsy of Jane Doe“ zum Beispiel. Ich schaute Kunstfilme, Melodramen, Horrorfilme. Dann kam die Pandemie.

Von da an zog ich mir irgendwelche Sachen auf Streamingdiensten rein. Ich legte mich ins Bett, ging dieselben 20 Filme auf Netflix durch, entschied mich für einen Film, nur um nach fünf Minuten wieder auszuschalten. Weil mir ein anderer Film gefallen könnte. Abende, an denen ich mehr Zeit verbrachte, einen Film zu finden als einen Film zu schauen. Durch Binge-Watching hoffte ich zu vergessen, dass außerhalb der Wohnung eine Pandemie wütete. Meinen Zufluchtsort Kino gab es nicht mehr.

Verformung auf dem Sofa

Die Pandemie zeigte mir meine ganz persönliche Dystopie: Sie gab mir einen Vorgeschmack auf eine Zukunft, in der es keine Kinos mehr gibt, wie seit über zehn Jahren gewarnt wird.

Klar fragen sich viele, warum sie ins Kino gehen sollen, wenn der Film einige Wochen später auf Disney+ zu sehen ist und eine Karte plus Popcorn 20 Euro kostet. Für dasselbe Geld kann man auf Netflix hundert Filme sehen.

Aber die Seherfahrung im Kino formt uns als soziale Wesen. Auf dem Sofa verformen wir nur. Im Kino sitzen um mich herum Dutzende Leute, die das Gleiche tun, fühlen und sogar denken. Nach dem Film reden wir, verstehen Zusammenhänge, erfahren die Meinung anderer, reflektieren Eindrücke. Kino ist wie Unterricht in sozialem Miteinander.

Also sollten Kinos nicht rentabel sein müssen. Sie sollten frei sein von finanziellen Nöten, das Populäre genauso wie das Schöne zeigen. Theater könnten das Vorbild sein. Sie werden durch staatliche Mittel gefördert, weil erkannt wurde, dass die Theaterkultur unbezahlbar ist.

Für Kinos sollte Gleiches gelten, damit sie ein Ort bleiben, an dem Menschen sozial und kulturell reifen können.

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In Wien Theater-, Film- und Medienwissenschaften studiert. Jetzt irgendwas über Kultur schreiben.

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